
Folgen für die Bundespolitik Fünf Erkenntnisse aus der Niedersachsen-Wahl
Stephan Weil schirmt sich ab gegen Ampel-Frust - und gewinnt. Die Merz-CDU muss mehr bieten als Regierungs-Bashing. Der FDP gehen die Optionen aus. Die Erkenntnisse aus der Niedersachsen-Wahl.
Es war eine außergewöhnliche Landtagswahl in Niedersachsen. Weniger wegen des Favoritensieges. Zugkräftiger Amtsinhaber gewinnt gegen blassen Herausforderer. So weit, so normal. Aber thematisch fühlte man sich eher an einen Bundestagswahlkampf erinnert. Deutschland ist im Krisenmodus: Energieknappheit, steigende Preise, Rezession, atomare Gefahr - all das macht vielen Menschen große Sorgen und Angst. Die Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine sind im Alltag der Menschen angekommen. Und damit auch in einem Landtagswahlkampf. War die Niedersachsen-Wahl nun auch eine Abstimmung über die Krisenpolitik der Ampel? Ausgerechnet die CDU, die genau diese Deutung befeuert hat, verlor. Einige Erkenntnisse aus der Wahl:
Weil gewinnt, weil ...
... der 63-jährige Ministerpräsident einen Amtsbonus aufgebaut hat, der auch anderen erfolgreiche Regierungschefs und -chefinnen bereits die Wiederwahl sicherten. Zuletzt Daniel Günther im Mai in Schleswig-Holstein. Aber dass Weil so deutlich gewann, ist schon ein starkes Zeichen.
Zum zweiten Mal in Folge musste der SPD-Mann gegen den Bundestrend ankämpfen. 2017 drehte er eine schon verloren geglaubte Wahl - nur drei Wochen nach der verkorksten Bundestagswahl schlug Weil dem Negativtrend ein Schnippchen. Die siechende Bundes-SPD konnte ihr Glück damals kaum fassen.
Auch 2022 hält Weil dem Gegenwind aus Berlin stand, dabei stellt seine SPD inzwischen den Kanzler. Weil gelang es, eine Brandmauer nach Berlin aufzubauen, die auch recht stabil hielt. So konnte er sich den Frust über die Pannen und Streitereien in der SPD-geführten Bundesregierung vom Leib halten. Mehr noch: Mit gut 33 Prozent bekommt Weil etwa doppelt soviel Zustimmung wie die SPD derzeit im Bund. Die SPD hält Niedersachsen - trotz allem. Und nebenbei sorgt Weil für eine Renaissance des rot-grünen Regierungsmodells.
Nach zwei verlorenen Landtagswahlen ist das ein versöhnlicher Abschluss des Wahljahres für die SPD. Der SPD-Kanzler kann sich bei den niedersächsischen Genossen bedanken. Zugleich dürfte Weils politisches Gewicht auf Bundesebene weiter zunehmen. Als neuer Vorsitzender der Ministerkonferenz spielt er zudem eine wichtige Rolle in den Verhandlungen mit dem Bund über die Entlastungspakete.
Der CDU muss mehr einfallen als Ampel-Bashing
Die CDU hat alles dafür getan, die Abstimmung in Niedersachsen zu einer kleinen Bundestagswahl zu machen. Doch die Ampel-Kritik verfing im Wahlkampf offenbar nicht. Im Gegenteil: Die CDU-Verluste sind größer als die der SPD, und die Grünen gewannen in dem Maße hinzu, in dem die CDU verlor. Dabei engagierte sich der Parteichef selbst in Niedersachsen. Für Friedrich Merz wäre ein CDU-Erfolg in dem Bundesland der perfekte Abschluss eines weitgehend erfolgreichen Jahres gewesen. Der Verlust der Staatskanzlei im kleinen Saarland war dank der Erfolge in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen schnell abgehakt. Die doch recht deutliche Niederlage in Niedersachsen verhagelt Merz seine Ein-Jahres-Bilanz als Parteichef, zumal es hier auch auf das Ende der Regierungsbeteiligung hinausläuft.
Merz hat als Parteichef dazu beigetragen, dass die CDU überraschend schnell ihre neue Rolle als Oppositionsführerin im Bundestag angenommen hat. Die Partei ist stabilisiert, doch einen klaren Kurs hat sie noch nicht gefunden. Sie mäandert zwischen konstruktiver Opposition und durchsichtigem Ampel-Bashing. Doch auch von den offensichtlichen handwerklichen Fehlern der Drei-Parteien-Regierung kann sie kaum profitieren. Konkrete Alternativkonzepte, wie die Menschen entlastet und die Wirtschaft gestützt werden kann, bleibt sie schuldig. Stattdessen driftet Merz in Populismus ab, Stichwort: "Sozialtourismus".
Die FDP hat wenig Optionen
Sogar die Grünen sollen der FDP für Niedersachsen die Daumen gedrückt haben. Weniger aus Mitleid mit dem politischen Gegner, sondern mehr aus Sorge um das gemeinsame Regieren im Bund. Seit die Liberalen in Berlin mitregieren, gingen alle Landtagswahlen verloren. NRW, Schleswig-Holstein, im Saarland gewann man zwar hinzu, schaffte es aber trotzdem nicht in den Landtag. Das Ergebnis in Niedersachsen bestärkt diejenigen in der Partei, die das Regieren mit SPD und Grünen schon immer für einen Fehler hielten. Zahlt sich die Ampel also nicht aus für die FDP? "Wir zahlen dafür gewiss einen Preis bei unserem politischen Profil", formulierte es Parteichef Christian Lindner am Wahlabend und erinnerte daran, dass seine Partei aus "staatspolitischer Verantwortung" in der Ampel sei und nicht etwa aus inhaltlicher Nähe zu SPD und Grünen.
Die FDP ist im strategischen Dilemma. Sie ist allein unter Linken - und sie hat im Grunde kaum noch Optionen. Die Regierung platzen zu lassen in diesen multiplen Krisenzeiten, würde sie nicht rechtfertigen können. Und auf der verzweifelten Suche nach mehr Profil in der Koalition trat sie zuletzt schon sehr laut auf - da ist kaum noch eine Steigerung möglich. Oder doch? "Die Rolle und die Stimme der FDP in dieser Koalition muss künftig noch deutlicher erkennbar sein als bisher", sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in der ARD. Vor allem mit den Grünen hatte es zuletzt offene Konflikte gegeben. In den Hauptrollen: die Minister Christian Lindner und Robert Habeck. Dabei geht es auch um gelbe und grüne Grundprinzipien wie die Einhaltung der Schuldenbremse oder die Frage nach den AKW-Laufzeiten.
Grüne mit Habeck-Malus?
Das Wahlergebnis der Grünen in Niedersachsen lässt sich gut als Erfolg verkaufen. Landesrekord, die höchsten Zugewinne aller Parteien, eventuell eine Regierungsbeteiligung. Dabei wäre wohl noch mehr drin gewesen. Im Sommer lagen die niedersächsischen Grünen in den Umfragen noch bei mehr als 20 Prozent, doch dann kamen die Atomdebatte, Streitereien in der Ampel in Berlin, Patzer und handwerkliche Fehler des grünen Vorzeigeministers Robert Habeck, verbunden mit sinkenden Zustimmungswerten für die Grünen insgesamt. Das alles setzte auch den Wahlkämpfern zu.
Von einem Habeck-Malus wird vermutlich niemand sprechen wollen, aber die Grünen tun gut daran, auf die Warnsignale zu hören und nicht allein auf ihre heimlichen Vorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock zu setzen. Zumal das Regieren in der Ampel künftig kaum leichter werden dürfte - siehe FDP. Und die großen Konflikte nicht ausgestanden sind, etwa die Frage nach den Laufzeiten für Atomkraftwerke. Nächste Woche treffen sich die Grünen zum Bundesparteitag. Zuletzt war es erstaunlich still geworden an der sonst so diskussionsfreudigen Basis. Es deutet sich an, dass es in Bonn mal wieder kontroverser zugeht.
Die Krisengewinner stehen rechtsaußen
Ohne viel eigenes Zutun hat die AfD in Niedersachsen ein zweistelliges Ergebnis geholt. Die Rechtsaußenpartei hat soviel an Zustimmung hinzugewonnen, wie die FDP insgesamt an Stimmen bekommen hat. Die Sorge vor weiter steigenden Preisen und unbezahlbaren Rechnungen, die Unsicherheit, die Zukunftsängste vieler Menschen und der Frust über die Regierungspolitik spielen der AfD in die Hände. Sie lebt von der Angst. Auch bundesweit gewinnt die AfD in Umfragen hinzu. Im Mai war die AfD in Schleswig-Holstein noch aus dem Landtag geflogen, Verluste gab es auch im Saarland und in Nordrhein-Westfalen. Doch inzwischen profitieren die Rechten von der Krise und schaffen es auch, ihre Anhänger zu mobilisieren, zuletzt bei der Demo am Samstag in Berlin. In vielen Städten ruft die AfD zu so genannten Montagsdemonstrationen auf. Die Sorgen vor einem "heißen Herbst", den der parlamentarische AfD-Geschäftsführer im Bundestag, Bernd Baumann, offensiv ankündigte, sind deshalb am Sonntag gewachsen.

Auch die Linkspartei hatte Protest gegen die Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung angekündigt und will mit Forderungen nach weiteren Entlastungen punkten. Bislang ohne Erfolg. Auch in Niedersachsen verpasste die Partei den Einzug in den Landtag deutlich. Seit dem knappen Wiedereinzug in den Bundestag, der nur aufgrund dreier Direktmandate gelang, kämpft die Partei ums Überleben. Schlagzeilen macht sie vor allem mit internen Konflikten.