Die Flaggen der USA und Deutschland stehen auf einem Tisch.

US-Zwischenwahlen Wie Deutschland auf die Midterms blickt

Stand: 08.11.2022 14:14 Uhr

Bisher waren die Zwischenwahlen in den USA für die deutsche Politik kein Anlass für Beunruhigung. Dieses Mal sorgen sich die Außenpolitiker des Bundestags jedoch um die künftige US-Außenpolitik - und die dortige Demokratie.

Von Claudia Buckenmaier, ARD Berlin

Es ist ein banger Blick über den großen Teich an diesem Dienstag, an dem die Menschen in den USA zur Wahlurne gehen. Früher galten die Zwischenwahlen meist als rein innenpolitische Angelegenheit, ein Votum über die Halbzeitbilanz des zwei Jahre zuvor gewählten Präsidenten. Die jeweilige Bundesregierung, die Außenpolitikerinnen und -politiker im Bundestag blickten mit Interesse in die USA, aber wirklich beunruhigt war kaum jemand, dass diese Wahl etwas Grundsätzliches verändern könnte - im Verhältnis der Bundesrepublik mit den Vereinigten Staaten oder gar in Bezug auf den demokratischen Zustand dieses für Deutschland und ganz Europa so wichtigen Partners.

Das ist dieses Mal anders. Die Wahlen seien wichtiger für die Zukunft Amerikas als frühere Midterms, sagen viele Politikerinnen und Politiker in Berlin. Sie sorgen sich, dass die Demokratie in den USA in Gefahr sein könnte.

SPD-Politiker Metin Hakverdi ist Mitglied der Parlamentariergruppe USA. Er war seit vergangenem November sechsmal in den USA, hat acht Bundesstaaten besucht. Überall, erzählt er, habe er Menschen getroffen, die am Ausgang der Präsidentschaftswahl 2020 zweifeln. Nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch unter den Kandidaten, die jetzt zur Wahl stehen. Wie er gehen viele davon aus, dass die Wahlleugner erfolgreich sein werden. Das beunruhigt Hakverdi.

Die Verantwortung trägt aus seiner Sicht die republikanische Partei. Vom Trumpismus gehe eine Bedrohung für die Institutionen aus. Natürlich gebe es auch populistische Tendenzen bei einzelnen Mitgliedern der Demokratischen Partei, aber nicht in dem Ausmaß wie bei den Republikanern. "Ich mache mir große Sorgen um Gewaltausbrüche", gesteht der Bundestagsabgeordnete. Er meint damit unter anderem Gewalt gegen Wahlhelferinnen und Wahlhelfer.

Mögliche Auswirkungen auf die Außenpolitik

Wenn bei der Wahl die demokratische Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses, im Repräsentantenhaus und im Senat, verloren gehen sollte, wird der Gestaltungsspielraum von US-Präsident Joe Biden stark eingeschränkt. Das weiß man in Berlin. Biden wird zur viel beschworenen "lame duck" - gelähmt möglicherweise auch durch ein Amtsenthebungsverfahren, mit dem einige Republikaner längst offen kokettieren.

Innenpolitisches Gezerre, das sich aber auch auf die US-Außenpolitik auswirken könnte. In den vergangenen Wochen sind immer wieder Stimmen laut geworden - auf der rechten wie der linken Seite des politischen Spektrums, in beiden Parteien - die die finanzielle und die militärische Hilfe für die Ukraine im bisherigen Ausmaß infrage stellten. Was passiert, wenn diese politischen Kräfte künftig eine Mehrheit im Kongress haben?

Scholz und Biden bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus in Washington Anfang Februar 2022.9

Scholz und Biden bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus in Washington Anfang Februar 2022.

Für den Grünen Anton Hofreiter gibt es keinen Zweifel: Wenn die Unterstützung der USA für die Ukraine nach der Wahl zurückgehen sollte, sei Deutschland stärker als bisher gefragt, in die Verantwortung zu gehen. Deutschland müsse dann mehr tun, so der Vorsitzende des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union.

Auch er sieht bei den Midterms die innere Stabilität des jahrzehntelangen Verbündeten in Gefahr. Langfristig beunruhigen ihn außerdem die Folgen für die globale Klimapolitik, sollten die Republikaner Bidens politische Entscheidungen blockieren können. Erinnerungen an die Zeit unter Ex-Präsident Donald Trump werden momentan bei vielen wach, der die USA aus dem Pariser Klimaabkommen geführt hatte.

Neue Unsicherheiten

Wie seine Kollegen hat auch CDU-Politiker Peter Beyer, der Transatlantik-Koordinator der früheren Regierung, in den vergangenen Wochen viele Gespräche mit US-amerikanischen Politikern geführt. Er fragt sich, wie groß der Erfolg der Republikaner tatsächlich ausfallen wird. Von der Größe der viel beschworenen "roten Welle" - rot, die Farbe der Republikaner - hänge ab, wie sehr sich das Land verändern wird. Die Midterms seien auch ein Votum über Trump, denn der ehemalige Präsident habe viele Kandidaten unterstützt.

Und so überlagert eine Frage diese Midterms, die eigentlich gar nicht zur Wahl steht: Wird der ehemalige Präsident noch einmal antreten? Mit Hilfe von permanenten Andeutungen hält Trump nicht nur die USA in Atem, da ist sich Beyer mit Vertretern anderer Parteien einig. Aber er glaubt nicht, dass die Unterstützung für die Ukraine nach einem Wahlsieg der Republikaner zurückgehen wird - egal wie sehr Einzelne im Wahlkampf mit dieser Möglichkeit liebäugelten. Beyer vertraut auf die Stabilität der transatlantischen Beziehungen.

Wie sehr die Berliner Politik mit den möglichen neuen Mehrheitsverhältnissen in Washington und die dadurch entstehenden neuen Unsicherheiten rechnet, zeigt sich auch beim Thema Handelsbeziehungen. Der von Biden verabschiedete "Inflation Reduction Act" stellt ganz Europa vor große Herausforderungen, da er US-amerikanische Unternehmen begünstigt und ausländischen Konkurrenten schlechtere Wettbewerbsbedingungen beschert. Die Bundesregierung will daher nun möglichst zügig mit den USA über ein neues Handelsabkommen sprechen. Auch wenn viele nicht damit rechnen, noch ein wirkliches Abkommen aushandeln zu können, hoffen sie doch auf klare Vereinbarungen. Allen ist klar, dass sich das Zeitfenster schnell schließen könnte, sollte Biden durch neue republikanische Mehrheiten immer stärker unter Druck geraten.

Sorge um die US-Demokratie

Regierungssprecherin Christiane Hoffmann lässt vor der Wahl alles offen und bleibt erwartungsgemäß vage: "Vieles interessiert uns natürlich sehr, aber wir können jetzt nicht gut spekulieren, was passieren wird. Wir warten die Wahlen ab." Sie verweist darauf, dass sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz mit Präsident Biden als auch Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem amerikanischen Kollegen Antony Blinken noch einmal über die Ukrainepolitik gesprochen haben, auch über die laut Umfragen gewachsene Skepsis in der Bevölkerung gegenüber amerikanischen Hilfslieferungen. Die beabsichtigte Botschaft: Wir haben uns rückversichert, es gibt keinen Grund zur Unruhe. Zumindest nicht, was die Hilfen für die Ukraine angeht.

Davon ungeachtet wird in Berlin schnell klar: Viele werden die Wahl in den USA mit großer Spannung verfolgen. Alle wollen pragmatisch auf die jeweiligen Sieger zugehen und haben doch oft die Sorge, dass die US-amerikanische Demokratie geschwächt aus dieser Wahl hervorgehen könnte. Auch weil zu befürchten ist, dass viele Wahlleugner im nächsten Kongress vereidigt werden - die nur dann bereit zu sein scheinen, eine Wahl zu akzeptieren, wenn sie selbst gewinnen.

Die Autorin war von Juli 2017 bis Juni 2022 ARD-Korrespondentin in Washington.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 08. November 2022 um 14:00 Uhr.