
Linkspartei Ausnahmezustand ohne Ende
Soziale Gerechtigkeit, bezahlbarer Wohnraum, Friedenssicherung: Eigentlich haben klassische linke Themen gerade Konjunktur. Doch ausgerechnet die Linkspartei kann daraus keinen Nutzen ziehen. Warum nicht?
Janine Wissler strahlt. Betont gut gelaunt tritt sie vor die Pressewand im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Linken in Berlin. Anfang der Woche gibt die Parteispitze traditionell ein Statement zu aktuellen Themen ab.
Sie redet lange über die Lieferung schwerer Waffen und die Proteste anlässlich des 1. Mai. Es wirkt, als wolle Wissler ein Zeichen setzen, Zweckoptimismus verbreiten.
Nach dem überraschenden Rücktritt ihrer Co-Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow war sie tagelang abgetaucht. Auch auf Nachrichten von Parteikollegen blieb sie Antworten schuldig.
Die Spekulationen liefen heiß: Schmeißt auch Wissler angesichts der Sexismusvorwürfe in ihrem Landesverband hin? Nachfrage bei der Pressekonferenz: Sie sei sehr gern Parteivorsitzende und habe noch einiges vor. Ob sie sich auf dem Parteitag im Juni noch einmal zur Wahl stellen wolle, bleibt offen. Noch gebe es nichts zu verkünden.
Was fehlt
Die Antwort ist fast schon symbolisch für den Schwebezustand, in dem sich die Linke befindet, und das nicht erst seit dem Abgang von Hennig-Wellsow. Es fehlt an vielem: potenziellen Führungspersonen und einer konsistenten Programmatik.
Was die Linke allerdings seit Jahren gebrauchen könnte, ist innerparteilicher Frieden. Die Flügelkämpfe gehören zur linken Identität, auch wenn man in der Partei lieber von Vielstimmigkeit spricht.
Allerdings war das Konfliktlevel wohl selten so hoch wie nach der Bundestagswahl, als die Partei nur dank drei Direktmandate überhaupt in den Bundestag einziehen konnte.
Eine innerparteiliche Diskussion über die Kernthemen entbrannte. Vor allem Hennig-Wellsow wurde der Vorwurf gemacht, im Wahlkampf zu sehr darauf gepocht zu haben, mitregieren zu wollen. Die Veröffentlichung eines Thesenpapiers jagte das andere.
Zwei Fronten
Im Grunde stehen sich seitdem zwei Fronten gegenüber: diejenigen, die fordern, sich wieder auf linke Kernthemen zu besinnen wie soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung. Auf der anderen Seite stehen die, die einen Schwerpunkt auf Klimaschutz oder Geschlechtergerechtigkeit setzen wollen. Das eine schließe das andere nicht aus, wurden die beiden Vorsitzenden Wissler und Hennig-Wellsow nicht müde zu betonen.
Sexismus-Debatte in der Partei
Der Realitätscheck fiel allerdings häufig anders aus, was auch die aktuelle Sexismus-Debatte in der Partei zeigt. Die Jugendorganisation solid läuft Sturm ob der ihrer Ansicht nach verschleppten Fälle und der bisher offenbar fehlenden Aufklärung.
In der Bundestagsfraktion dagegen versteht der ein oder andere die Aufregung gar nicht. Von einem strukturellen Problem könne man nicht sprechen. Und auch von einer Neuaufstellung der Fraktionsspitze will man nichts hören. Die Notwendigkeit neuer Gesichter, wie es sie im Parteivorstand geben soll, sehen Dietmar Bartsch und Amira Mohammed Ali nicht. Zumindest in der Bundestagsfraktion ist offenbar klar, wie es weiter gehen soll: so wie gehabt.
Gefühlter Dauerausnahmezustand
Wäre die Linke nicht im gefühlten Dauerausnahmezustand, hätte sie sicher einige Möglichkeiten, Akzente zu setzen. Denn neben Union und AfD ist sie die einzige linke Oppositionspartei im Bundestag.
Mit der Nominierung des Arztes Gerhard Trabert als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gelang der Linken zuletzt tatsächlich ein Coup. Trabert kümmert sich um Obdachlose, durch seine Kandidatur rückte das Thema Armut in Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Sonst schafft es die Linke allerdings kaum, mit ihren Positionen Gehör zu finden.
Und das, obwohl die soziale Ungerechtigkeit sich weiter verstärkt: Deutschland leidet noch immer unter den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, und die des Ukraine-Krieges sind kaum abzusehen. Die Vielstimmigkeit der Linken wird hier besonders zum Problem.
Wagenknecht prägt das Bild
So prägt die ehemalige linke Galionsfigur Sahra Wagenknecht immer noch das öffentliche Bild der Partei. In Talkshows zweifelt sie an den Corona-Impfungen und zeigt sich verständnisvoll für das Agieren von Russlands Präsident Wladimir Putin. Nicht wenige potenzielle Linken-Wähler fragen sich, wofür die Partei eigentlich noch steht.
Es gehe um vieles - um nichts Geringeres als die Existenz der Partei, konstatierte Wissler vor dem jüngsten Vorstandstreffen, einer Art Krisensitzung nach dem Rücktritt von Hennig-Wellsow. Ähnliche Sätze fielen allerdings bereits nach der Bundestagswahl im September.
Seitdem ist mehr als ein halbes Jahr vergangen, und der Eindruck entsteht, dass die Linke statt in den Erneuerungs- in den Selbstzerstörungsmodus gewechselt ist. Nun soll der Parteitag in Erfurt die Kehrtwende bringen. In welche Richtung die Partei sich aber wenden wird, ist offen.