Christine Lambrecht und Olaf Scholz unterhalten sich im Bundestag bei der Generaldebatte.  | dpa
FAQ

Leerstelle im Kabinett Wie es nach Lambrechts Rückzug weitergeht

Stand: 16.01.2023 14:35 Uhr

Nach dem Lambrecht-Rücktritt hat Scholz neben dem Panzerproblem noch ein Personalproblem zu lösen - die Zeit drängt. Zugleich braucht er eine inhaltlich überzeugende Fachkraft für das Verteidigungsministerium. Wie es weitergehen könnte.

Die Ausgangslage

Es war ein Rücktritt mit Ansage: Bereits am Freitagabend verdichteten sich die Informationen, dass Christine Lambrecht vom Amt der Verteidigungsministerin zurücktreten wird. Die offizielle Bestätigung kam dann am Montagvormittag in Form einer dürren schriftlichen Erklärung der SPD-Politikerin. Darin beklagt sie "eine monatelange mediale Fokussierung auf ihre Person", die eine "sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands" kaum zulasse. Daher habe sie den Bundeskanzler um ihre Entlassung gebeten.

Olaf Scholz hat damit ein weiteres Problem zu lösen - die Leerstelle auf dem wichtigen Posten im Wehrressort nachzubesetzen. Und das nicht nur möglichst schnell, sondern auch inhaltlich überzeugend. Das Verteidigungsministerium gehört in diesen Zeiten zu den wichtigsten Ressorts im Kabinett überhaupt, die Bundeswehr steht vor massiven Problemen und enormen Herausforderungen. Stichwort: Zeitenwende. Der oder die Neue wird keine Zeit haben, sich lange einzuarbeiten. Lambrecht geht - die Probleme bleiben.

Das Anforderungsprofil

Scholz braucht eine Persönlichkeit mit Autorität, am besten vom Fach. Jemanden mit "Bundeswehr-Stallgeruch" wäre von Vorteil. Den Posten mit einer Nachwuchskraft aus der zweiten oder dritten Reihe zu besetzen, ist in diesen herausfordernden Zeiten wohl keine Option. Wichtig dürfte daher sein, dass derjenige oder diejenige viel politische Erfahrung mitbringt, im besten Fall schon große Ministerien erfolgreich geführt hat. Jemand aus der SPD muss es sein. Ob Frau oder Mann hängt davon ab, ob Scholz einen größeren Umbau im Kabinett plant.

Will er nur 1:1 den Posten Lambrechts ersetzen, müsste es auf eine Frau hinauslaufen, da Scholz zu Amtsantritt Geschlechterparität im Kabinett zugesagt hatte. Nutzt der Kanzler hingegen die Gelegenheit für einen größeren Ringtausch, könnte auch ein Mann an die Spitze des Verteidigungsressorts aufsteigen, solange es weiterhin gleich viele Frauen wie Männer im Kabinett gibt. Es wird davon ausgegangen, dass auch Innenministerin Nancy Faeser ihren Posten Anfang Februar aufgibt und als SPD-Spitzenkandidatin nach Hessen wechselt. Scholz könnte daher größer planen.

Warum Scholz unter Druck steht

Viel Zeit hat Scholz aber nicht. Ein Vakuum an der Spitze des Verteidigungsressorts kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Der Kanzler hat die Panzerdebatte weiter im Nacken, der Druck ist nach der jüngsten Zusage der Briten zur Lieferung von Kampfpanzern weiter gestiegen.

Am Freitag trifft sich in Ramstein die Ukraine-Kontaktgruppe der NATO und weiterer Verbündeter, um über weitere Waffenlieferungen für die Ukraine zu beraten. Deutschland sollte bei diesen Gesprächen nicht ohne Verteidigungsminister oder -ministerin dastehen. Seit Wochen lässt die Bundesregierung die schwierige Frage unbeantwortet, ob Deutschland "Leopard-2"-Panzer liefern wird oder anderen Staaten die Erlaubnis gibt, dass diese "Leopard"-Panzer an die Ukraine übergeben. In den Ampelparteien gibt es hier mehrere Meinungen.

Zugleich kann sich Scholz keinen "Schnellschuss" beim Personal leisten. Schon die Entscheidung für Christine Lambrecht kam für Beobachtende durchaus überraschend, und Scholz hielt trotz zunehmender Kritik sehr lange an der loyalen Parteifreundin fest. Zu lange, meint vor allem die Unions-Opposition.

Wer für die Nachfolge im Gespräch ist

Seit Tagen werden mehrere Namen gehandelt. Vorneweg: die Wehrbeauftragte Eva Högl. Der einstigen Innenpolitikerin wird bescheinigt, sich nach ihrem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren schnell in die Tiefen der Bundeswehr und ihrer Bedürfnisse eingearbeitet zu haben. Früh verwies sie auf die massiven Ausrüstungsmängel in der Truppe, setzte sich für einen höheren Frauenanteil in der Bundeswehr ein und forderte ein entschiedeneres Vorgehen gegen rechtsextremistische Soldatinnen und Soldaten.

Sollte Scholz sich tatsächlich für Högl als Lambrecht-Nachfolgerin entscheiden, muss er wohl auch mit mehr Widerspruch zu seinem Kurs im Ukraine-Krieg rechnen. Denn Högl steht Waffenlieferungen an die Ukraine deutlich offener gegenüber als Lambrecht. Gegen die 54-jährige SPD-Politikerin spricht auch, dass sie noch nie einen großen Verwaltungsapparat geführt hat.

Auch der Name Siemtje Möller fällt immer wieder. Die 39-Jährige ist seit 2021 parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, sie müsste sich also nicht lange einarbeiten. Dennoch werden ihr nur Außenseiterchancen zugerechnet, auch, weil sie noch nie ein Ministerium geführt hat. Möller kommt aus dem Landesverband Niedersachsen und wurde 2017 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt. Sie war von 2020 bis 2022 eine der Sprecherinnen des "Seeheimer Kreises", eines Zusammenschlusses von SPD-Bundestagsabgeordneten, der innerhalb der Fraktion als konservativer Flügel gilt.

Heißer Kandidat ist auch SPD-Chef Lars Klingbeil. Was gegen ihn spricht: Er ist ein Mann. Wenn er das Amt ohne weitere Veränderungen im Kabinett übernähme, wäre die Parität innerhalb des Kabinetts nicht mehr gewährleistet. Was außerdem gegen ihn spricht: Er ist SPD-Chef und eigentlich hatte sich die Partei dafür ausgesprochen, sich politische Beinfreiheit gegenüber Kanzler Scholz zu bewahren. Auch um zu verhindern, ein "Kanzlerwahlverein" zu werden.

Für Klingbeil spricht seine Fachkompetenz: Er gehört seit 2009 dem Bundestag an und ist dort unter anderem stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss. Er ist selbst Sohn eines Berufssoldaten und galt bereits 2021 als Kandidat für das Amt des Verteidigungsministers. Über den Kandidatenstatus kam er jedoch nicht hinaus. Ein Ministerium hat Klingbeil noch nie geführt.

Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt wird ebenfalls für die Lambrecht-Nachfolge gehandelt. Der Strippenzieher im Hintergrund gehört zu den engsten Scholz-Vertrauten, was wiederum gegen ihn spricht, weil Scholz im Kanzleramt kaum auf ihn verzichten will. Dem 52-Jährigen wird Expertise bei den Themen Verteidigung und Rüstung nachgesagt. 

Bleibt noch das "Schlachtross" Hubertus Heil. So bezeichnete Kanzler Scholz seinen Parteifreund, als er sein neues Kabinett vorstellte. Heil führt erfolgreich das Mammutressort Arbeit und Soziales, gerade hat er die Bürgergeldreform an den Start gebracht. Mit großen Regierungsapparaten kann der Niedersachse also umgehen. Heil leitet das Arbeits- und Sozialressort seit 2018. Er ist stellvertretender SPD-Vorsitzender, war mehrere Jahre SPD-Generalsekretär und gehört dem Bundestag seit 1998 an. 

Wenn für ihn eine SPD-Politikerin das Arbeitsministerium übernähme, könnte das auch die Frage der paritätischen Besetzung lösen. Denkbar wäre der Wechsel aber auch im Zuge eines größeren Umbaus im Kabinett.

Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios scheinen Kanzleramtschef Schmidt, SPD-Chef Klingbeil und Arbeitsminister Heil aber nicht abkömmlich zu sein oder nicht zu wollen. Ähnliches berichtet auch die "Bild"-Zeitung.

Wie geht es weiter?

Bundeskanzler Scholz will die Nachfolge von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht "zeitnah" regeln. Scholz habe die Bitte der SPD-Politikerin Lambrecht um Entlassung angenommen, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. "Der Bundeskanzler respektiert die Entscheidung von Frau Lambrecht und dankt ihr für die gute Arbeit, die sie in dieser schwierigen und herausfordernden Zeit als Verteidigungsministerin geleistet hat."

Mit einer Nachfolge-Entscheidung wird nun für Dienstag oder Mittwoch gerechnet. An der Geschlechterparität im Kabinett will Scholz festhalten: "Dem Bundeskanzler ist es wichtig, dass das Kabinett paritätisch besetzt ist", sagte Hoffmann.

Formell bleibt Lambrecht so lange Verteidigungsministerin, bis sie die Entlassungsurkunde vom Bundespräsidenten erhalten hat. "Das Verteidigungsministerium ist nicht führungslos", betonte ein Sprecher. Lambrecht selbst war am Montag den Angaben zufolge nicht im Verteidigungsministerium, zudem sei unklar, ob sie dort noch einmal erscheinen werde. Sie sei aber erreichbar.

Zweiter Rücktritt aus Scholz-Kabinett

Mit Christine Lambrecht tritt bereits die zweite Ministerin aus Scholz' Ampel-Kabinett zurück. Im April 2022 hatte Familienministerin Anne Spiegel ihr Amt aufgegeben. Auslöser war Kritik am Verhalten der Grünen-Politikerin als rheinland-pfälzische Umweltministerin während der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021. Nachfolgerin ist Lisa Paus.