Interview

Herausforderer punktet beim TV-Duell "Man traut Steinbrück jetzt mehr zu"

Stand: 02.09.2013 12:46 Uhr

SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück konnte zwar beim TV-Duell viele unentschlossene Wähler überzeugen. Dennoch ist unklar, ob diese Wähler ihm dann auch ihre Stimme geben werden, erläutert Meinungsforscher Hilmer im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Herausforderer Steinbrück konnte laut Infratest dimap beim TV-Duell mehr Zuschauer überzeugen als Kanzlerin Merkel. Wird dieses Ergebnis einen Einfluss auf das Wahlverhalten am 22. September haben?

Richard Hilmer: Ein solches TV-Duell hat aus Sicht der Kandidaten verschiedene Ziele. Das Wichtigste ist, dass die Leute in den eigenen Reihen erreicht werden. Das war bei der SPD zuletzt immer das größere Problem, weil Steinbrück bei den eigenen Wählern nicht so gut ankam wie Merkel bei der Union. Merkel hatte bereits die eigene Wählerschaft zu fast 100 Prozent hinter sich.

Bei Steinbrück gab es viele in den eigenen Reihen, die zwar die SPD wählen wollten, aber Steinbrück als Kandidat ablehnten. Das hat sich durch das Duell verändert und das ist für Steinbrück die wichtigste Botschaft. Es ist ihm offensichtlich gelungen, seine Positionen gegenüber denen der Kanzlerin klar herauszustellen. Jetzt hat er die eigene Wählerschaft zumindest unmittelbar nach dem Duell voll hinter sich: Wer ihn gesehen und erlebt hat, traut ihm ganz offensichtlich zu, dass er Kanzler werden kann.

Zur Person

Richard Hilmer ist Geschäftsführer des Berliner Meinungsforschungsinstitutes Infratest dimap. Seit 1997 liefert sein Institut Zahlen und Analysen für die ARD-Wahlberichterstattung.

tagesschau.de: Und was ist mit den Wählern, die noch unentschlossen sind, welcher Partei sie bei der Bundestagswahl ihre Stimme geben werden?

Hilmer: Das ist die zweitwichtigste Gruppe, denn sie entscheidet über den Wahlausgang. Auch bei dieser Gruppe konnte Steinbrück punkten. Hier war er laut unserer Umfrage der klare Sieger. Für ihn kommt es nun darauf an, ob das eine nachhaltige Veränderung ist oder eine Entscheidung für den Augenblick. Es steht noch nicht fest, dass die unentschlossenen Wähler Steinbrück dann auch tatsächlich wählen werden. Aber zumindest kann er jetzt damit rechnen, dass die Bürger in den nächsten drei Wochen für seine Botschaften offen sind.

Merkel steht mehr in der Öffentlichkeit als Steinbrück

tagesschau.de: Wie kann Steinbrück denn das positive Ergebnis in eine anhaltende Wirkung umsetzen?

Hilmer: Das ist für ihn ungleich schwerer als für die Bundeskanzlerin. Merkel steht mehr in der Öffentlichkeit, zum Beispiel beim G20-Gipfel in St. Petersburg in dieser Woche. Dort wird sie wieder eine entscheidende Rolle spielen. Deshalb war für Steinbrück das TV-Duell wichtiger als für Merkel. Denn für ihn war es eine der wenigen Chancen, vor einem großen Publikum seine Positionen zu verbreiten. Da muss er nun natürlich dranbleiben. Man hat ja schon ein wenig den Eindruck, dass er nun so langsam in Fahrt kommt. Man traut Steinbrück jetzt mehr zu. Seine Kampagne war bislang begleitet von einer relativ negativen Berichterstattung. Jetzt ist es so, dass man aufhorcht, die Bürger haben sich seiner ein anderes Bild verschaffen können.

tagesschau.de: Zeichnet sich da ein Stimmungswechsel im Hinblick auf die SPD ab?

Hilmer: Das werden die Sonntagsfragen zeigen. Aber grundsätzlich muss man mit Bewertungen sehr vorsichtig sein. Beim TV-Duell 2009 gab es einen sehr knappen Punktsieg für Frank-Walter Steinmeier. Er wirkte damals sehr sympathisch, konnte in vielen Bereichen punkten, aber letztlich war das nicht nachhaltig. Steinmeier konnte nicht nachhaltig deutlich machen, was die SPD anders machen würde als die CDU. Der Ausgang der Wahl ist ja bekannt.

Ob es diesmal anders ausgehen wird, bleibt abzuwarten. Dafür genügt nicht eine TV-Sendung, die positiven Impulse müssen auch jetzt im Wahlkampf immer wieder bestätigt werden.

"Positive Effekte können durch andere Dinge überlagert werden"

tagesschau.de: Besteht die Gefahr, dass die positive Wirkung des Auftritts von Steinbrück wieder verfliegt?

Hilmer: Es ist relativ ungewöhnlich, dass das TV-Duell drei Wochen vor der Wahl stattgefunden hat. In der Vergangenheit waren es nur zwei Wochen. Diesmal kommt erschwerend hinzu, dass sogar noch eine Landtagswahl, nämlich die in Bayern, dazwischenliegt. Insofern können die positiven Effekte des TV-Duells für Steinbrück auch sehr schnell ins Vergessen geraten, weil sie durch andere Dinge überlagert werden. Die Bundeskanzlerin ist in den nächsten drei Wochen weiter im Amt. Und mit der Amtsführung, das zeigen unsere Umfragen, ist die Mehrheit der Bundesbürger sehr zufrieden.

Aber es war dennoch ganz sicher ein wichtiger Meilenstein in der nun wirklich heißen Phase des Wahlkampfs.

tagesschau.de: Hat schon mal ein öffentlicher Auftritt eines Kandidaten eine Änderung des Wahlverhaltens ergeben?

Hilmer: Auf internationaler Ebene gab es das berühmte Duell Kennedy gegen Nixon. Das hat Kennedy damals mit Glanz und Gloria für sich entschieden - und damit dann auch die Wahl.

Auch in Deutschland führten TV-Duelle auf Landesebene eine Wende herbei – einmal in Schleswig-Holstein und einmal in Hamburg. In Hamburg war es SPD-Herausforderer Michael Naumann, der am Schluss wackelte. Die CDU mit Ole von Beust gewann die Wahl.

In Schleswig-Holstein trat Ministerpräsidentin Heide Simonis gegen Peter-Harry Carstensen von der CDU an. Vor dem Rededuell galt die SPD-Politikerin Simonis ähnlich wie Merkel gegenüber Steinbrück als die bessere Rhetorikerin und als die Sympathischere. Carstensen wurde von den Bürgern nicht als sonderlich argumentationsstarker Kandidat wahrgenommen. In der Sendung dann hat Carstensen aber ganz klar gepunktet. Da das TV-Duell nur fünf Tage vor der Wahl stattfand, hatte die Amtsinhaberin keinerlei Möglichkeiten mehr, das Ruder nochmal rumzureißen.

"Unterschiedliche Formulierungen bei den Fragestellungen"

tagesschau.de: Für Infratest dimap im Auftrag der ARD war Steinbrück der Gewinner des TV-Duells. Allerdings sah die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF Merkel vorn und beim Forsa-Institut lagen beide nahezu gleichauf. Haben Sie eine Erklärung für diese unterschiedlichen Ergebnisse?

Hilmer: Es gab unterschiedliche Formulierungen bei den Fragestellungen. Wir haben die Befragten gebeten, uns ein eindeutiges Urteil zu geben: Wer war überzeugender: Steinbrück oder Merkel? Es gab keine Antwortmöglichkeit, dass "beide gleichermaßen" überzeugend waren. Ich halte das für sehr wichtig, dass sich die Befragten in diesem Fall wirklich entscheiden mussten. Auch wenn dann die Entscheidung in dem ein oder anderen Fall mal knapp ausgefallen ist.

Die Forschungsgruppe Wahlen hatte zum Beispiel eben diese Ausweichmöglichkeit, dort gab es auch die Antwort "Beide gleichermaßen". Deswegen sind gut 25 Prozent der Befragten in diesem Lager gelandet.

Auf jeden Fall zeigen die Ergebnisse aber, dass die Entscheidung zum Schluss sehr knapp war. Das ist auch deshalb nachvollziehbar, weil weder Merkel noch Steinbrück gepatzt haben oder offensichtliche Fehler gemacht haben. Insofern sind es dann oft Nuancen, die entscheiden. Das kann die Körperhaltung sein, die Art und Weise, wie ein Kandidat argumentiert. Und da lag eben am Ende bei uns der SPD-Herausforderer knapp vorn.

tagesschau.de: Kann auch Merkels schwarz-rot-goldene Halskette eine solche Nuance gewesen sein?

Hilmer: Wir haben natürlich vorher nicht geahnt, dass eine Halskette beim TV-Duell eine Rolle spielen würde. Deshalb haben wir das später auch nicht abgefragt. Was aber auffallend war, dass bei den emotionalen Argumenten, wie zum Beispiel "wer war sympathischer" Merkel klar vorn lag. Körperhaltungen und das Erscheinungsbild sind nicht unbedeutend. Wir kennen das auch aus der Werbung, dass solche Merkmale die erste Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Steinbrücks Vorteile lagen hingegen ganz deutlich im intellektuellen Bereich. Er hat sich verständlicher ausgedrückt und vor allem hat er seine Positionen klarer vertreten.

Das Interview führte Julia Kuttner, tagesschau.de