Machbarkeitsstudie NSU-Dokumentationszentrum bis 2028 in Chemnitz und Zwickau?

05. Mai 2023, 17:47 Uhr

Trotz umfangreichem Gerichtsprozess und Untersuchungsausschüssen in mehreren Parlamenten gibt es noch viele offene Fragen rund um den Terror des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Deswegen wird seit Langem ein Dokumentationszentrum gefordert, die Koalition in Sachsen unterstützt dieses Anliegen. Nun gibt es dafür ein Konzept. In Chemnitz und Zwickau, wo die Terroristen untertauchten, könnte es entstehen. Die Städte haben Bedenken.

Die Pläne für ein Dokumentationszentrum über den Terror des rechtsextremen NSU und seine Opfer nehmen Gestalt an: Einer Machbarkeitsstudie zufolge könnte es 2028 in Chemnitz und Zwickau eröffnet werden. Dort waren einst die Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) untergetaucht. Als mögliche Standorte werden ein ehemaliges Fabrikgebäude in Chemnitz sowie das frühere Königliche Krankenstift in Zwickau genannt.

IBUG 2020 in Zwickau
Das frühere Königliche Krankenstift in Zwickau könnte ein Ort des NSU-Dokumentationszentrums werden. Bildrechte: Katharina Neuhaus

Hinterbliebene und Betroffene rechter Gewalt sollen in Gedenkort einbezogen werden

Geplant sei ein Gedenk-, Erinnerungs- und Lernort zum NSU-Komplex, sagte Robert Kusche vom Verein RAA Sachsen, der die Studie mit weiteren Akteuren im Auftrag des Landes erarbeitet hat. Das Zentrum solle auch einen Ort der Versammlung und Selbstorganisation Betroffener rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt beinhalten. "Wichtig ist die kontinuierliche Einbeziehung und Einbindung der Hinterbliebenen und Überlebenden des NSU-Terrors", sagte Kusche. Ihre Geschichten bräuchten Raum und Gehör.

Wichtig ist die kontinuierliche Einbeziehung und Einbindung der Hinterbliebenen und Überlebenden des NSU-Terrors.

Robert Kusche Verein RAA Sachsen
Eine Gruppe Menschen mit einen Transparent demonstrieren auf einer Starße. 30 min
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MDR Zeitreise So 07.05.2023 22:20Uhr 30:14 min

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Verein RAA: Sachsen prädestiniert für Doku-Zentrum

Sachsen ist laut Kusche als Standort für ein solches Zentrum aus mehreren Gründen prädestiniert. Hier sei nicht nur die Operationsbasis des NSU samt zahlreicher Unterstützer gewesen, von hier seien die Anschläge geplant und durchgeführt worden. Die Verhältnisse, die dies möglich gemacht hätten, seien in der Region auch noch lange nicht aufgearbeitet. "Und Sachsen war und ist leider nach wie vor Zentrum neonazistischer Organisationen."

Das NSU-Trio Das NSU-Kerntrio stammte ursprünglich aus Jena, war Ende der 1990er-Jahre aber in Chemnitz und Zwickau untergetaucht und hatte sich in der Region mit Raubüberfällen Geld beschafft. Zwischen 2000 und 2007 haben die Rechtsterroristen in Deutschland mindestens zehn Menschen ermordet: acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin.

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OBs der Städte Chemnitz und Zwickau haben Vorbehalte

Bedenken zu der neuen Konzeption äußerten die Oberbürgermeister von Chemnitz und Zwickau, Sven Schulze (SPD) und Constance Arndt (Bürger für Zwickau). Die Aufarbeitung der Verbrechen des NSU sollte nicht ausschließlich auf Chemnitz und Zwickau bezogen sein, mahnten sie. Vielmehr müsse sie auch andere Landkreise und Regionen sowie Behörden und Institutionen im Blick behalten. Auch zum Vorschlag, für das Zentrum eine Stiftung zu errichten, äußerten sie sich skeptisch und forderten, die jeweiligen Stadtgesellschaften in den weiteren Prozess einzubeziehen.

Künstlerin Süngün: Zentrum kann Vertrauen bei Angehörigen wiederherstellen

"Das Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex ist längst überfällig und notwendig", sagte die Künstlerin Ülkü Süngün in Dresden. Sie berichtete aus Gesprächen mit Angehörigen der Mordopfer und Überlebenden der Anschläge. Es sei eine einmalige Gelegenheit, Vertrauen wiederherzustellen und Heilung zu ermöglichen. Dazu müsse das Gedenken lebendig gehalten und Betroffene als mündige Akteure bei allen Entscheidungsprozessen eingebunden werden und in den Gremien vertreten sein.

Das Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex ist längst überfällig und notwendig.

Ülkü Süngün Künstlerin

Zentrum soll rund 36 Millionen Euro kosten

Sachsens Ministerin für Demokratie, Katja Meier (Grüne), bezeichnete die Studie als "Meilenstein" auf dem Weg zu einem solchen Zentrum. CDU, Grüne und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, ein Dokumentationszentrum für die Opfer des NSU zu unterstützen. Die Studie empfiehlt, eine Stiftung zu gründen. Finanziert werden solle sie von Sachsen und dem Bund sowie möglicherweise weiteren Bundesländern. Die Investitionskosten werden auf bis zu 36,4 Millionen Euro geschätzt. Zudem seien 42 Stellen mit Personalkosten von etwa 2,75 Millionen Euro im Jahr erforderlich.

Damit das Dokumentationszentrum Wirklichkeit werden kann, brauche es zwingend die Unterstützung des Bundes, sagte Meier. Der Freistaat allein könne das nicht stemmen. Zudem wollen die Akteure schon 2025 ein erstes Interim im Rahmen von Chemnitz als Europäische Kulturhauptstadt schaffen.

MDR (kbe)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 05. Mai 2023 | 19:00 Uhr

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