Eine Delegierte hält ein Plakat mit Forderung nach grüner Friedenspolitik auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Bonn hoch | dpa

Bundesparteitag der Grünen Im Dauer-Dilemma

Stand: 15.10.2022 17:30 Uhr

Die von der Bundesregierung genehmigten Waffenexporte an Saudi-Arabien sorgten auf dem Grünen-Parteitag für Zündstoff. Trotz gefundener Kompromissformeln ist das Dilemma der Partei bei einigen ihrer Kernfragen unübersehbar.

Von Oliver Neuroth, ARD-Hauptstadtstudio

Dass sie heute zum Gegenpart von Annalena Baerbock werden würde, war für Jenny Laube am Morgen noch alles andere als klar. Die junge Grünen-Politikerin aus Berlin hatte Losglück auf diesem Parteitag: Sie bekam drei Minuten Redezeit, um auf die Rede der Außenminister zu erwidern. Und diese Zeit nutzte sie für deutliche Worte.

Oliver Neuroth ARD-Hauptstadtstudio

Jenny Laube zählte die Menschenrechtsverletzungen des Regimes in Saudi-Arabien auf und sagte dann: "Liebe Annalena, weitere Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien - dafür gibt es keine Notwendigkeit. Und wenn jemand sagt 'vertragliche Verpflichtungen', dann sage ich: Bullshit!" Kein Vertrag stehe über unserer Verfassung oder über der Verpflichtung zur Achtung des Völkerrechts. Applaus im Bonner World Conference Center.

Baerbock spricht von "Dilemmata"

Der Streitpunkt ist ein europäisches Rüstungsprojekt zusammen mit Italien, Spanien und Großbritannien. Die Große Koalition hatte es noch mit ausgehandelt. Demnach werden Kampfjets und Munition nach Saudi-Arabien geliefert - an ein Land, das am Jemen-Krieg beteiligt ist.

Außenministerin Annalena Baerbock sprach in ihrer Rede von "Dilemmata" europäischer Rüstungsexporte. Sie und Wirtschaftsminister Robert Habeck hätten sich mit der Entscheidung sehr schwergetan. "Wir können nicht sagen: 'Schwups, dieser Altvertrag ist weggezaubert, den gibt es jetzt nicht mehr'", sagte Baerbock. Deutschland müsse seine Verpflichtungen erfüllen, die aktuelle Ampel-Koalition das ausführen, was die Vorgängerregierungen beschlossen hätten.

Die Außenministerin betonte, dass es sich um ein europäisches Projekt handle. Und sie sagte schließlich einen Satz, der an mancher Stelle im Saal für ein verwundertes Raunen sorgte: "Es gibt keine Waffenlieferungen aus Deutschland nach Saudi-Arabien". De facto passiert das aber - nur eben im Verbund mit europäischen Partnern.

Nein zu Waffenexporten an Saudi-Arabien

Die Berliner Grüne Laube rief dazu auf, die Erlaubnis für den Rüstungsexport an Saudi-Arabien zu widerrufen. "Alles andere wäre ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich auf dieser Welt für Frieden und Freiheit einsetzen." Doch ein Antrag, der den Beschluss der Bundesregierung rückgängig machen sollte, schaffte es nicht zur Abstimmung. Er war nach Gesprächen hinter den Kulissen überflüssig geworden; Antragsteller und Antragskommission einigten sich auf Formulierungen, die von beiden Seiten akzeptiert werden: Es bleibt demnach beim europäischen Rüstungsprojekt, grundsätzlich lehnen die Grünen aber Waffenexporte nach Saudi-Arabien ab. Weil das Regime dort nachweislich massive Menschenrechtsverletzungen begehe und Kriegspartei im Jemen-Krieg sei.

Knicken die Grünen also ein? Nein, sagte der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Er verteidigte im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio die neue Linie der Partei. Dass Deutschland Partner beim Rüstungsprojekt mit Saudi-Arabien ist, nannte Trittin einen Fehler, der sich nicht wiederholen solle. "Dafür müssen wir für künftige Fälle neue Regeln haben." Ein neues Rüstungsexportkontrollgesetz sei nötig - auch mit Blick auf verstärkte Rüstungskooperation in Europa.

Der Parteitag der Ausnahmefälle

Die Marschrichtung der Grünen lautet also zusammengefasst: Eigentlich darf es keine Waffenlieferungen an Saudi-Arabien geben, im aktuellen Ausnahmefall geht es aber. So sieht es auch mit der Atomkraft aus: Eigentlich sollte Ende Dezember dieses Jahres Schluss mit dem AKW-Betrieb sein. Die Energiekrise stellt aber auch einen Ausnahmefall da, weshalb zwei Meiler bis Mitte April 2023 im Reservebetrieb bleiben dürfen.

Wirtschaftsminister Habeck drückte es am Freitagabend so aus: Die Grünen agierten nicht "politisch kleinkariert". Es war eine positive Formulierung für: Die Partei gibt ihre Ideale auf. Zumindest vorübergehend. Der Delegierte Karl-Wilhelm Koch, der seit Jahren auf Parteitagen für seine urgrünen Positionen bekannt ist, ist mit dieser Bundesdelegiertenkonferenz alles andere als zufrieden. Er erinnerte an zwei Ikonen für die Grünen und stellte auf dem Podium folgende Frage: "Was würden Heinrich Böll und Petra Kelly zu einigen Beschlüssen, die wir hier treffen, denken?" Seine Antwort: "Sie würden im Grab rotieren."