Nancy Faeser
Analyse

Hessen-SPD vor Wahlkampf Faeser oder nichts?

Stand: 12.12.2022 11:24 Uhr

Nächstes Jahr wird in Hessen gewählt. Die SPD braucht ein starkes Zugpferd, um gegen CDU und Grüne eine Chance zu haben. Der Name von Bundesinnenministerin Nancy Faeser hält sich hartnäckig.

Eine Analyse von Ute Wellstein, hr

Vor einigen Wochen hat sich das beschauliche Kloster Eberbach im Rheingau in einen Schauplatz der internationalen Politik verwandelt. Die Innenminister der G7-Staaten trafen sich dort zu einer zweitägigen Konferenz. Den Politikern aus Kanada, den USA, Japan, Italien, Großbritannien und Frankreich wurden von Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Schönheiten des Rheingaus vorgeführt. Und die SPD-Politikerin konnte sich, so ganz nebenbei, in der hessischen Heimat als Gastgeberin eines internationalen Spitzentreffens in Szene setzen.

Denn Faeser ist mit Hessen noch lange nicht fertig. Seit sie das Amt der Bundesinnenministerin vor einem Jahr angetreten ist, halten sich die Gerüchte, sie wolle eigentlich lieber hessische Ministerpräsidentin werden. Das Amt in Berlin nutze sie, um ihre Bekanntheit zu steigern und ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Beides wäre hilfreich im Kampf um die Staatskanzlei in Wiesbaden. Denn wer auch immer für die SPD antritt, trifft auf zwei gewichtige Gegner.

"Dreikampf um die Staatskanzlei"

Da ist zum einen Ministerpräsident Boris Rhein von der CDU. Er hat das Amt im Frühjahr von Volker Bouffier übernommen. Die CDU ist stolz darauf, dass der Generationswechsel geschmeidig und ohne Blessuren vonstatten ging. Rhein führt seitdem die Koalition mit den Grünen fort - allerdings nicht ganz so reibungslos wie sein Vorgänger. Im November gab es erstmals öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern, als zwei CDU-Minister die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Internetkriminalität forderten. Sie "geben nicht die Meinung der Koalition von sich", ließ der Grünen-Fraktionschef pikiert verlauten, das sei ein "befremdlicher Vorgang". Solche öffentlichen Rüffeleien waren undenkbar, als Bouffier die Koalition noch führte.

Aber das hat auch mit dem heraufziehenden Landtagswahlkampf zu tun. Denn Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir von den Grünen will ebenfalls Ministerpräsident werden. Die Grünen haben ihren Machtanspruch klar formuliert, als sie einen "Dreikampf um die Staatskanzlei" ausriefen. Al-Wazir ist für einen Landesminister sehr bekannt und beliebt, wie Umfragen immer wieder belegen. Zum ersten Mal erscheint es als eine realistische Möglichkeit, dass ein Grünen-Politiker die hessische Landesregierung führen könnte.

Will die SPD in dieser Ausgangslage im ehemals roten Hessen nach 25 Jahren wieder in die Regierung gelangen, dann muss sie jemanden aufbieten, der es mit den beiden aufnehmen kann. Außer Nancy Faeser ist da niemand in Sicht.

Offiziell ist noch nichts entschieden

Nach ihrem Wechsel in die Bundespolitik hatte sie sich als Landesvorsitzende ihrer Partei wiederwählen lassen und mit wenigen Worten Hoffnungen bei ihren Parteifreunden genährt. "Und auch wenn ich in meinem Amt als Bundesinnenministerin viel in Berlin bin, in Brüssel oder der ganzen Republik, so hat sich doch nichts geändert: Mein Herz ist in Hessen!" Ihr anderes hessisches Amt, das der Fraktionsvorsitzenden im Landtag, hat sie in die Hände ihres langjährigen Vertrauten Günter Rudolph gegeben. Der 66-Jährige gilt als ihr Statthalter in Wiesbaden. So konnte ihr an dieser Stelle kein Konkurrent erwachsen, der ihr die Spitzenkandidatur streitig machen könnte.

Offiziell ist die Frage der SPD-Spitzenkandidatur noch nicht entschieden. "Wir bleiben bei unserem Zeitplan", sagt Rudolph und verweist auf das erste Wochenende im Februar, an dem sich die SPD zum traditionellen Hessengipfel trifft. Intern ist die Spitzenkandidatur für Faeser aber mittlerweile weniger eine Frage des Ob, als vielmehr des Wie. Kann sie als Bundesinnenministerin den Wahlkampf führen?

Einen Vorgeschmack, wie diese Frage politisch ausgeschlachtet werden könnte, gab es, als ihre Kabinettskollegin Christine Lambrecht in einem Interview sagte: "Ich setze darauf, dass Nancy Faeser im nächsten Jahr nicht nur Spitzenkandidatin der SPD in Hessen wird, sondern auch erste Ministerpräsidentin in Hessen." "Innenministerin auf Abruf", "Lambrecht bringt Faeser in Nöte", "Aus als Innenministerin", lauteten prompt die Schlagzeilen. Faeser konterte, sie führe ihr Amt "mit aller Kraft".

Was, wenn sie verliert?

Die Wahlkampfstrategen der SPD wissen, dass dies der wunde Punkt sein kann: Eine Innenministerin, die im Wahlkampf steckt und sich in Krisenzeiten nicht genug um die Sicherheit des Landes kümmert. Deshalb wird die zentrale Frage sein, ob sie ihr Amt trotz des Wahlkampfes behalten kann. Manfred Kanther, CDU, hat das 1995 so gemacht: Er führte als Bundesinnenminister den Wahlkampf um das Ministerpräsidentenamt in Hessen, verlor und blieb weiterhin im Bundeskabinett.

Anders erging es dem CDU-Kandidaten Norbert Röttgen, der 2012 im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf nicht zusagen wollte, dass er auch im Fall einer Niederlage in die Landespolitik wechseln würde. Er verlor daraufhin nicht nur krachend die Wahl, sondern wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel auch als Bundesumweltminister entlassen. Kanther und Röttgen - beide Beispiele werden in der hessischen Sozialdemokratie derzeit genau unter die Lupe genommen.

Die zweite, in Wiesbaden viel diskutierte Frage lautet: Was macht sie, wenn es nicht für die Staatskanzlei reicht, sondern nur für die Opposition oder für die Rolle als Juniorpartner in einer Koalition? Schlägt ihr Herz dann immer noch in Hessen?

Wenn sie ihre Kandidatur erklärt, wird sie auf diese Fragen eine Antwort haben müssen. Bis dahin steigert sie als Bundesinnenministerin ihre Bekanntheit. Das ist nicht immer nur von Vorteil: Als ganz Wiesbaden wegen des G7-Treffens im Verkehrschaos versank und über Stunden gar nichts mehr ging, hörte man ihren Namen vor allem in Schimpftiraden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. November 2022 um 15:00 Uhr.