
Digitalisierung der Behörden Das große Schulterzucken
Bis Ende des Jahres sollten eigentlich die meisten Behördengänge auch online möglich sein. Doch bei der Digitalisierung hakt es an vielen Stellen. Was ist da los?
Eine Waffenbesitzkarte online beantragen, das geht in Berlin. In Stuttgart kann man seinen Hund digital anmelden. Für einen neuen Personalausweis oder die Anmeldung des Wohnsitzes muss man weiterhin persönlich aufs Amt. Der Grund sind zum Teil rechtliche Hürden, vor allem aber ist die Digitalisierung der deutschen Verwaltung nach wie vor eine riesige Baustelle. Das zeigt auch eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke. Die Antwort des für die Behördenmodernisierung zuständigen Bundesinnenministeriums (BMI) liegt dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vor.
Es ist ein Dokument des Schulterzuckens, in dem der Bund immer wieder auf Länder und Kommunen zeigt. Digitale Aufbruchstimmung oder gar digitaler Führungsanspruch, wie sie die Ampel doch eigentlich versprochen hat, sucht man vergebens. Dabei fällt beispielsweise auf, dass viele Gelder, die der Bund für die Digitalisierung der Verwaltung bereitstellt, dieses und vergangenes Jahr von den Ländern nicht abgerufen wurden. Aus Sicht des BMI scheint das unproblematisch zu sein, weil am Anfang von Projekten weniger Mittel gebraucht würden als im Fortgang. Faktisch heißt es aber, es geht sehr langsam voran.
Zu wenig Personal
Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion ist wenig überrascht, aber ernüchtert: "Es zeigt, dass Bund, Länder und Kommunen nicht an einem Strang ziehen." An vielen Stellen fehle geeignetes Personal und ein Plan, wie man das Geld sinnvoll einsetzt, kritisiert auch Moreen Heine. Sie ist Professorin für E-Government an der Universität zu Lübeck.
Eigentlich müssten Behörden die meisten Verwaltungsdienstleistungen - vom Arbeitslosengeld bis zur Sterbeurkunde - bis Jahresende bundesweit digital anbieten - so lautet die Vorgabe im Onlinezugangsgesetz (OZG), das 2017 verabschiedet wurde. Von diesem Ziel hat sich die Bundesregierung aber wohl schon verabschiedet und setzt nun darauf, dass in den Ländern wenigstens ein Grundgerüst an Leistungen flächendeckend online zur Verfügung steht. Im Mai hat der IT-Planungsrat - das politische Steuerungsgremium von Bund und Ländern - beschlossen, dass 35 Leistungen priorisiert umgesetzt werden sollen.
Einer-für-alle-Projekte
Dabei geht es um sogenannte Einer-für-alle-Projekte, also Onlinedienste für Verwaltungsleistungen, die von einem Bundesland entwickelt und betrieben werden und von anderen genutzt werden können. Dazu gehören etwa die KFZ-Zulassung, das Elterngeld, die digitale Baugenehmigung - und eben auch die Beantragung von Waffenerlaubnissen, zeigt die Auflistung des Ministeriums.
"Das macht mich wirklich fassungslos", sagt Digitalpolitikerin Domscheit-Berg. "Wahrscheinlich lässt sich das einfach schnell realisieren und ist deshalb auf der Liste." Solche Anwendungsfälle würden von den wirklich wichtigen ablenken und Kapazitäten binden. "Es kann doch nicht sein, dass man am Ende des Jahres in 16 Bundesländern Waffenscheine online beantragen kann, wir uns aber wahrscheinlich immer noch nicht digital ummelden können." Die "Relevanz für die Bürgerinnen und Bürger" und die "Realisierungsprognose" im vorgesehenen Umsetzungszeitraum seien entscheidend für die Auswahl gewesen, erklärt das Ministerium in seiner Antwort.
Auch Wissenschaftlerin Heine hat Zweifel, dass zumindest die 35 priorisierten OZG-Leistungen bis Ende des Jahres flächendeckend nutzbar sind, denn laut Innenministerium ist bislang nicht mal die Hälfte verfügbar. Schon im April 2022 hatte der Bundesrechnungshof kritisiert, dass das BMI den Fortschritt bei der Verwaltungsdigitalisierung beschönige.
Falsches Format
Immer wieder in der Kritik steht dabei auch das "Dashboard Digitale Verwaltung", eine Website, auf der die Bundesregierung Daten zur Umsetzung des OZG bereitstellt. Aktuell fehlen dort allerdings Angaben dazu, wie viele digitale Leistungen in Berlin und im Saarland regional und kommunal zur Verfügung stehen. Der Grund: Beide Bundesländer haben zwar entsprechende Dienste, stellten aber laut BMI-Antwort die Daten dazu bislang nicht in einem Format zur Verfügung, das das Dashboard nutzen kann.
Auch das scheint symptomatisch, denn bei der Verwaltungsdigitalisierung fehlt an vielen Stellen eine Vereinheitlichung und Standardisierung. Das bedeutet, dass Länder und Kommunen zum Teil sehr unterschiedliche IT-Lösungen gebastelt haben, wie man zum Beispiel das Elterngeld beantragt. Das BMI spricht von "notwendigen Standards", um zugleich zuzugeben: Die "Art der Standards und die Art der Festlegung muss noch bestimmt werden."
"Absurd"
Für Anke Domscheit-Berg ist das ein grundsätzlich falscher Angang: "Das ist so ein bisschen, als würde man verschiedene Häuser bauen, aber erst hinterher überlegen, wie die Anschlüsse für Strom, Gas und Wasser aussehen sollen." Standards und Schnittschnellen brauche man am Anfang eines Prozesses. "Das erst im Nachhinein zu machen, ist absurd."
Das Problem beim Onlinezugangsgesetz geht aber noch weiter. Dass eine Leistung als digital verbucht wird, heißt nicht, dass sie wirklich durchdigitalisiert ist, kritisieren Fachleute. Zwar kann man vielleicht seine Eingaben für einen Antrag online machen, in der Behörde selbst wird dann trotzdem wieder alles ausgedruckt und analog verwaltet, sagt Expertin Heine. "Viele Prozesse im Hintergrund sind überhaupt nicht digitalisiert. Jeder wurschtelt vor sich hin."
Sie kritisiert, dass durch das OZG viel Zeit und Energie darauf verschwendet wurde, das "Schaufenster" nach außen digitaler erscheinen zu lassen, statt Abläufe in den Behörden zu reorganisieren und veraltete Fachanwendungen zu ersetzen. "Es gibt viel Potenzial für die Automatisierung von bestimmten, immer gleichen Vorgängen - nicht um Personal zu sparen, sondern damit das seine Zeit sinnvoller nutzen kann, zum Beispiel um Bürger und Bürgerinnen zu beraten."
Das Onlinezugangsgesetz müsste entsprechend angepasst werden. Aber wann das im Koalitionsvertrag angekündigte Update des OZG kommt, ist unklar. "Gegenwärtig finden vorbereitende Gespräche statt," heißt es vom BMI. Domscheit-Berg schüttelt den Kopf: "Das klingt so, als hätten wir noch ewig Zeit, in Wirklichkeit sind wir Jahre hinterher."