Olaf Scholz | AP
Analyse

Scholz in China Reise mit schwerem Gepäck

Stand: 03.11.2022 08:39 Uhr

Bundeskanzler Scholz fliegt heute nach China. Die Kritik an der Reise ist schon im Vorfeld massiv. Auch die Bundesregierung erwartet einen schwierigen Dialog. Trifft Scholz in Peking den richtigen Ton?

Von Kai Clement, ARD-Hauptstadtstudio

Dem grünen Politiker Konstantin von Notz hat sich das jüngste Gespräch mit den deutschen Sicherheitsbehörden ins Gedächtnis eingebrannt. Von Notz ist nicht nur Fraktionsvize, er leitet auch das Parlamentarische Kontrollgremium zur Kontrolle der Nachrichtendienste. Mitte vergangenen Monats hat man sich zur öffentlichen Anhörung getroffen. Und dabei, so von Notz im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio, seien die Warnungen vor China sehr eindeutig gewesen.

Kai Clement ARD-Hauptstadtstudio

China mache demnach eben keine einfache Wirtschaftspolitik. Vielmehr verfolge das 1,4 Milliarden-Einwohner-Land eine Strategie, "die mit dem eigenen Machtdenken aber auch imperialen Ansprüchen Chinas Hand in Hand geht". Von Notz kann das Entsetzen über die Kanzler-Reise nach China ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt kaum verhehlen. Er hätte jedenfalls wenig Lust, "einem Diktator" so kurz nach dessen Machtausbau die Hand zu schütteln. "Aber der Kanzler entscheidet natürlich, wohin der Kanzler fährt."

Besuch nach Parteitag der KP

Was von Notz meint und was nicht nur ihn am Zeitpunkt der Reise irritiert: Erst vor knapp zwei Wochen endete der Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. Dort hat Staats- und Parteichef Xi Jinping mit einer historischen dritten Amtszeit als Generalsekretär seine Macht noch einmal ausgebaut. Katja Drinhausen, Leiterin des Bereichs Politik und Gesellschaft vom Mercator Institut für China-Studien (Merics) formuliert das so: "Anstatt nach zwei Amtszeiten als Generalsekretär für einen jüngeren Nachfolger Platz zu machen, stellt sich Xi Jinping als sein eigener Nachfolger auf."

Bei demselben Parteitag hat Xi Jinping auch den Einsatz von Gewalt gegen Taiwan ausdrücklich offengehalten. Und dann auch noch die verstörende Szene zu Beginn der Schlussveranstaltung in der Großen Halle des Volkes: der ehemalige Staatschef Hu Jintao wird aus dem Saal geführt. Auf beschämende Weise und offensichtlich gegen seinen Willen. Nun ist Olaf Scholz der erste westliche Regierungschef zu Besuch nach diesem Parteitag.

"Anspruchsvolle" Gespräche erwartet

Und so wettert auch die Opposition gegen die Kanzler-Reise. CDU-Chef Friedrich Merz findet sie beispiellos - im negativen Sinn. "Das hätte kein Amtsvorgänger vor ihm so gemacht. Niemand hätte das vor ihm so getan." Und dann setzt Merz noch hinzu: "Es ist ungeheuerlich." Immerhin: CDU-Kanzlerin Merkel war in 16 Jahren Amtszeit zwölfmal in China. Wie sie reist jetzt auch ihr Nachfolger mit einer Wirtschaftsdelegation.

Die Idee vom Wandel durch Handel aber nennt Grünen-Politiker von Notz nach dem Russland-Debakel nur noch naiv. Kommt nach dem Cosco-Geschäft am Hamburger Hafen mit der Peking-Reise ein weiterer Alleingang des Kanzlers? Keineswegs, heißt es aus der Bundesregierung. Man sei sich aber natürlich darüber im Klaren, dass man "anspruchsvolle" Gespräche vor sich habe. Die Themen reichten von Ukraine über Taiwan bis Globalisierung. Der Dialog sei schwierig, aber deshalb nicht weniger wichtig.

Nein, kein Streit mit dem Kanzler wegen der Chinareise, sagt auch die grüne Außenministerin Annalena Baerbock. Zugleich erinnert sie an die geplante neue China-Strategie. Kooperation ja, aber mit fairen Spielregeln und Achtung der Menschenrechte. Ungewöhnlich genug: Nur zwei Tage vor Scholz' Reise laden Menschenrechtsvertreter zur Pressekonferenz. Thema: Das China-Risiko.

Aggressionen gegen Taiwan, die Unterdrückung der Uiguren, die Tibet-Politik - die Liste von Wenzel Michalski ist lang. Er ist Deutschland-Direktor von Human Rights Watch. "Wir können sehenden Auges beobachten, wie sich die Lage dort verschlechtert. So dass dieser Besuch zu einem - sagen wir mal - sehr interessanten Zeitpunkt kommt." Und auch das gehört zum Vorgehen Chinas: Kurz vor der Pressekonferenz meldete sich die chinesische Botschaft bei den Veranstaltern. Das wirkt nach einem Versuch der Einflussnahme, auch wenn keine Details aus dem Gespräch genannt wurden. Michalski will keine Absage der Reise, erwartet aber, auch dem "Unangenehmen" ausreichend Raum zu geben. Der Frage der Menschenrechte also.

Lehre aus Erfahrung mit Russland?

Natürlich werde man die ansprechen, heißt es aus dem Kanzleramt. Das sei eben Teil der schwierigen Gespräche. Der Kanzler reise ja nicht als Chef der Deutschland AG und werbe um Kundschaft. Und wenn es um Wirtschaft gehe im Austausch mit dem wichtigsten Handelspartner Deutschlands, dann eher um Fragen wie: Schutz des geistigen Eigentums. Faire und gleiche Bedingungen hüben wie drüben. Freier Datenverkehr. Auch will man nicht gelten lassen, dass es an Abstimmung mit europäischen Partnern oder den USA fehle. Im Gegenteil: Der Austausch sei sehr eng, aber der Kanzler stelle ja keinen Dienstreiseantrag in Washington oder Paris.

Letztlich ist es nicht mehr als ein "Tagesausflug" (Regierungssprecher Steffen Hebestreit) in den Fernen Osten. Der Bundeskanzler spricht angesichts seiner Kurz-Reise schlicht von einem "Antrittsbesuch". Rechtzeitig vor dem G20-Gipfel, rechtzeitig vor deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen im kommenden Jahr. Und sein Tipp an deutsche Firmen: "nicht alle Eier in einen Korb legen". Ziel sei es natürlich, dass keine neue einseitige Abhängigkeit entstehe. "Das ist sicherlich die Lehre, die viele ziehen auch aus der Entwicklung, die Russland genommen hat", sagt Olaf Scholz. Der Grünen-Politiker von Notz bringt das auf eine etwas radikalere Kurzformel. Es braucht einen Neuanfang. Es ist nur ein Kurztrip nach Peking, mit noch nicht einmal einer Übernachtung. Und dennoch: Der Kanzler reist mit schwerem Gepäck.

Über dieses Thema berichtete BR24 am 03. November 2022 um 06:04 Uhr.