
Entscheidung des BVerfG Warum die Berlin-Wahlen wiederholt werden
Es bleibt dabei: Die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin werden am 12. Februar wiederholt. Einige Punkte sind aber noch offen.
Worum ging es am Bundesverfassungsgericht?
Im November 2022 hat der Berliner Verfassungsgerichtshof entschieden: Die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin müssen wiederholt werden. Das Ergebnis der Wahlen aus dem September 2021 erklärte der Berliner Verfassungsgerichtshof für ungültig. Die Begründung: Es habe zu viele Pannen gegeben. "Angesichts der Vielzahl und Schwere der Wahlfehler" könne nur durch die komplette Wiederholung ein verfassungsgemäßer Zustand wieder hergestellt werden.
Gegen diese Gerichtsentscheidung gingen kurz vor Weihnachten mehrere Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht ein. Wegen der kurzen Zeit bis zum geplanten Wahltermin am 12. Februar reichten sie auch einen Eilantrag ein. Ihr Ziel: Die Wiederholungswahl vorläufig zu stoppen, bis über die Verfassungsbeschwerden endgültig entschieden ist. Mit diesem Eilantrag sind sie nun gescheitert.
Warum hat das Bundesverfassungsgericht so entschieden?
Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung in dem Eilverfahren ohne Begründung bekanntgegeben. "Diese wird den Beteiligten gesondert übermittelt", heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts. Es gibt also noch keine Begründung; zum jetzigen Zeitpunkt kann man daher nur erklären, dass im Eilverfahren in der Regel der Fall nicht inhaltlich abschließend geprüft wird. Das Gericht wägt nur die Folgen ab, die ein vorläufiges Eingreifen des Gerichts hätte.
Wird es nach der Wahl eine abschließende Entscheidung geben?
Ja, das Gericht wird auch in der Hauptsache über die Verfassungsbeschwerde entscheiden. Aus einem Schreiben des Gerichts an den Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses geht hervor, dass das auch relativ schnell passieren könnte. Die Abgeordneten haben danach bis zum 2. März Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine Entscheidung in der Hauptsache könnte vielleicht in einigen Monaten kommen.
Dass Karlsruhe sich mit der Sache befasst, ist nicht überraschend, sondern das normale Verfahren. Es besagt auch wenig über den möglichen Ausgang. Wenn Verfassungsbeschwerden beim Gericht eingehen, müssen diese auch geprüft werden.
Welche Erfolgsaussichten hat das Hauptsacheverfahren?
Ob die Verfassungsbeschwerden am Ende überhaupt zulässig und begründet sind, kann man heute noch nicht sagen. Grundsätzlich gilt aber: Die Hürden, die Berliner Entscheidung aufzuheben, hängen hoch. Für die Überprüfung der Berliner Wahl ist originär der Verfassungsgerichtshof Berlin zuständig. Man spricht hier von getrennten und autonomen Verfassungsräumen. Der Schutz des Wahlrechts bei Landtagswahlen ist also nicht die primäre Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts.
Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat entschieden: Die Wahl muss komplett wiederholt werden. Dieses Urteil kann vom Bundesverfassungsgericht nur aufgehoben werden, wenn grundlegende Verfahrensgrundsätze durch das Berliner Gericht missachtet worden sind.
Auch wenn die Eilentscheidung in der Regel keine inhaltliche Aussage über den Ausgang des Verfahrens zulässt, kann man sich nach der Entscheidung heute sicher fragen: Wäre es faktisch überhaupt möglich, die Wiederholungswahl - nach einer Entscheidung in der Hauptsache - zurückzudrehen? Es ginge dann ja nicht um eine erneute Wahl, sondern um das Wiederherstellen des jetzigen Zustands. Schwer vorstellbar, aber heute noch nicht abschließend zu sagen.
Um welche Wahlfehler ging es überhaupt in Berlin?
Am 26. September 2021 war es in Berlin unstreitig und sichtbar zu Pannen gekommen: In einigen Wahllokalen wurden falsche Wahlzettel ausgegeben oder es gab zu wenig Wahlzettel für die Anzahl der Wähler. Manche Wahllokale mussten deshalb zeitweise geschlossen werden; in einigen wurde auch nach 18 Uhr, also dem eigentlichen Schließen der Wahllokale, noch gewählt.
Wer sind die Beschwerdeführer?
Insgesamt sind fünf Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe eingegangen. Die, um die es heute ging, stammt allein von 43 Personen, darunter gewählte Abgeordnete aus Berlin, zum Beispiel der frühere Finanzsenator Matthias Kollatz, aber auch Wählerinnen und Wähler.
Wie hatten die Beschwerdeführer argumentiert?
Die Beschwerdeführer hatten nicht abgestritten, dass es in Berlin Wahlfehler gab. Allerdings halten sie die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs rechtlich für überzogen und falsch. Eine Wiederholungswahl in ganz Berlin sei nicht richtig; das Berliner Verfassungsgericht habe in seinem Urteil die bestehenden Regeln willkürlich ausgelegt.
Die konkreten Argumente der Kläger: In vielen Wahllokalen hatte es keine oder kaum Wahlfehler gegeben. Es sei nicht vertretbar, auch dort neu wählen zu lassen. Andere Fehler hätten sich nicht auf das Ergebnis, also zum Beispiel die Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus, ausgewirkt. Sie seien also nicht "mandatsrelevant". Dies sei aber Voraussetzung für eine Wiederholung der Wahl.
Darüber hinaus sei in einer Demokratie das Interesse am Bestand des gewählten Parlaments besonders hoch. Nach der Ansicht der Kläger sei es zudem für die Menschen nicht nachvollziehbar, wenn ein und dieselben Fehler bei Landtagswahl und Bundestagswahl zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würden. Ein "faktisch und physisch einheitliches Wahlgeschehen" müsse nach denselben Maßstäben beurteilt werden.
Was bedeutet die Entscheidung für die Bundestagswahl?
Obwohl die Bundestagswahl am gleichen Tag stattfand wie die Berliner Wahlen und zumindest zum Teil unter den gleichen Fehlern litt, bedeutet die Entscheidung heute nichts für die Bundestagswahl in Berlin. Das liegt vor allem daran, dass die Wahlprüfung einer Bundestagswahl ganz anders abläuft: In einem ersten Schritt entscheidet der Bundestag selbst über etwaige Einsprüche, in Schritt Zwei kann dann diese Entscheidung mit der Wahlprüfungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden.
Anders als bei der Überprüfung der Berliner Wahl ist hier das Bundesverfassungsgericht also von vornherein für die inhaltliche Überprüfung der Wahl zuständig. Es ist von vornherein als zweiter Schritt des Wahlprüfungsverfahrens vorgesehen.
Wie ist der Stand in Sachen Bundestagswahl?
Am 10. November 2022 hat der Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition entschieden, dass die Wahl nicht in ganz Berlin wiederholt werden soll, sondern nur in 431 Berliner Wahllokalen. Die Fehler wurden also anders bewertet, als es der Verfassungsgerichtshof bei der Berliner Wahl getan hat. Über die dagegen eingereichten Wahlprüfungsbeschwerden ist noch nicht entschieden worden.
Dass es bei der Bundestagswahl in Berlin nur in 431 Wahlbezirken zur Neuwahl kommt, steht also noch nicht abschließend fest. Das Bundesverfassungsgericht muss hier noch komplett selbst prüfen: Welche Fehler gab es und waren die relevant für die Verteilung der Mandate? Dann entscheidet es, ob und in wie vielen Wahllokalen neu gewählt werden muss.
Auch wenn das im ersten Moment absurd scheint: Es kann durchaus sein, dass die Bundestagswahl trotz der gleichen Fehler anders behandelt wird, als die Landtags- und Bezirksverordnetenversammlungswahl.