
Rot-Grün-Rot in Berlin Viele ungelöste Fragen im Gepäck
Rund drei Monate nach der Wahl wird es für den neuen rot-grün-roten Senat in Berlin ab heute ernst. Zwar verbreitet die zukünftige Regierende Bürgermeisterin Giffey gute Laune, doch es lauern Konflikte.
Dass sie Spannung inszenieren kann, demonstriert die SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey, noch bevor sie im Amt ist. Am Tag vor ihrer Wahl im Abgeordnetenhaus präsentierte die designierte Regierende Bürgermeisterin das Senatsteam der SPD in einer typischen Berliner Event-Location, die noch den Charme der Industrialisierung atmet.
Geschlagene 75 Minuten dauerte die Vorstellungsrunde. Jedes einzelne Senatsmitglied mitsamt der dazugehörigen Staatssekretärinnen und -sekretären wurde ausführlich vorgestellt. Giffey führte durch die Veranstaltung wie die Moderatorin in einer guten, alten Samstagabend-Fernsehshow.
Giffey will präsidialen Stil pflegen
Dieses Setting könnte ein Vorgeschmack darauf sein, wie sie künftig im Roten Rathaus regieren will. Anders als der bisherige Amtsinhaber Michael Müller, der gleichzeitig als Senator für die Wissenschaft zuständig war, will Giffey von der Senatskanzlei aus "alles im Blick haben", wie sie sagt.
Anders als Müller, der seine Koalitionspartner gerne mal rustikaler anging, will Giffey erkennbar eher moderieren und einen präsidialen Stil pflegen. Schon in den Koalitionsverhandlungen, die alles andere als einfach waren, gab sie die Parole aus, dass es bei einer Neuauflage von Rot-Grün-Rot darum gehen müsse, dass Dinge gelingen.
Linkspartei ließ SPD und Grüne zittern
Doch ob das Dreier-Bündnis in der Hauptstadt vorankommt und ob der rot-grün-rote Regierungsmotor künftig weniger stottern wird, hängt nicht alleine an Giffey. Dafür werden schon die beiden anderen Koalitionspartner sorgen. Die Linkspartei hat gerade eindrucksvoll gezeigt, dass auch sie sich auf Spannung versteht.
Bis Ende vergangener Woche ließ die Partei sowohl Sozialdemokraten als auch Grüne zittern, ob die Koalition überhaupt zustande kommt. Am Ende machten die Mitglieder mit ihrem Votum den Weg für das Bündnis frei. Der eigentliche Stresstest zwischen SPD und Linken steht aber spätestens in einem Jahr auf der Senats-Tagesordnung.
Giffey ist strikt gegen Enteignungen
Dann soll eine noch einzurichtende Kommission empfehlen, was aus dem erfolgreichen Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne wird. Giffey ist strikt gegen Enteignungen und dokumentiert mit der Berufung ihres Parteifreundes Andreas Geisel zum Bausenator noch einmal, dass sie die Berliner Mietenmisere und den Wohnungsmangel gemeinsam mit der privaten Immobilienwirtschaft angehen möchte.
Die Linke wiederum steht bei den vielen Mieter-Aktivisten der Hauptstadt im Wort, dass der Profitgier auf dem Wohnungsmarkt endlich ein Riegel vorgeschoben wird. Wie dieser Konflikt entschärft werden kann, hat bislang noch keiner der Koalitionäre verraten.
SPD setzte sich bei U-Bahnen durch
Ähnlich weit liegen SPD und Grüne beim Klimaschutz und bei der Verkehrswende auseinander, auch wenn Giffey und die designierte grüne Verkehrs- und Umweltsenatorin Bettina Jarasch die Zielkonflikte beharrlich weglächeln. Tatsächlich ist der rot-grün-rote Koalitionsvertrag an dieser Stelle mehr Formel als Kompromiss.
So hat sich die SPD mit ihrem Wunsch nach neuen U-Bahnlinien durchgesetzt. Deren Bau wird aber Jahrzehnte dauern und dem Klima kurzfristig nicht helfen. Um den CO2-Ausstoß schneller und wirksamer zu reduzieren, müssten Schritt für Schritt Autos mit Verbrennungsmotor aus der Berliner Innenstadt verbannt und Parkplätze reduziert werden. Hier stehen Giffey und weite Teile der Berliner SPD traditionell auf der Bremse.
Drei Frauen geben den Takt an
Das neue rot-grün-rote Bündnis hat damit ungelöste Fragen im Gepäck, an denen sich schon die alte Koalition verhoben hatte. Dass nun aber größtenteils neue Köpfe im Senat sitzen, begreifen einige Parteistrategen als Chance. Anderseits zeichnet sich ab, dass künftig drei Frauen den Takt vorgeben, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Neben Giffey wird Jarasch als grüne Supersenatorin für Umwelt, Verkehr, Klima und Verbraucherschutz im Senat eine zentrale Rolle spielen. Der Linken ist mit der Berufung ihrer ehemaligen Bundesvorsitzenden Katja Kipping als Sozialsenatorin ein Coup gelungen.
Keine Durchstechereien
Doch die Personalie Kipping ist auch der Versuch, Koalitionskritiker in den eigenen Reihen bei Laune zu halten. Jarasch wiederum muss Rücksicht auf ihre sehr linken Parteifreunde im Bezirk Kreuzberg nehmen. Jarasch und Kipping stehen zudem für einen völlig anderen Politikstil als die Gute-Laune-Politikerin Giffey.
Doch die neue Koalition hat noch bevor sie ins Amt kommt, etwas geschafft, was im notorisch redseligen Berlin einem kleinen Wunder gleichkommt. Während der gesamten Koalitionsverhandlungen gab es keine Durchstechereien und auch die Namen der Senatoren sind bis zum Schluss nicht durchgesickert. Vielleicht ist auch das ein Vorgeschmack auf die neue Koalition in Berlin.