
UN-Vollversammlung Was Baerbock in New York erreichen will
Ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine trifft sich die UN-Vollversammlung. Außenministerin Baerbock wird dort eine Rede halten. Kann sie weitere Länder von einer Resolution überzeugen?
Für "diplomatisches Speeddating" gibt es wohl kaum einen geeigneteren Ort als die Münchner Sicherheitskonferenz: Dort begegnet sich auf engstem Raum die politische Elite aus Europa und den USA, aber auch aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Selbst für die deutsche Chefdiplomatin dürfte die atemberaubende Abfolge von Einzelgesprächen mit ihren Amtskollegen aus aller Welt - ob aus Kolumbien, Togo oder Pakistan - am vergangenen Wochenende in den Hinterzimmern des Bayrischen Hofs eine fast schon schwindelerregende Erfahrung gewesen sein.
Sie bot Annalena Baerbock aber natürlich die Gelegenheit, noch einmal für Unterstützung einer neuen UN-Resolution zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu werben: "Wir ringen seit einem Jahr tagtäglich darum, dass es endlich wieder Frieden gibt, Tag und Nacht", betonte Baerbock, doch die Antwort des russischen Präsidenten lautete bislang: "Immer mehr Gewalt, immer mehr Tote."
Anfang März 2022, wenige Tage also nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine, war die Schockwelle dieses Angriffs der Weltgemeinschaft deutlich anzumerken: Damals gelang es, 141 Staaten und damit eine überwältigende Mehrheit hinter einer Resolution der Vereinten Nationen zu versammeln, die Russlands Aggression deutlich verurteilte. Russland habe die Weltordnung angegriffen, erklärte die deutsche Außenministerin damals in ihrer ersten Rede vor der UN-Generalversammlung überhaupt: "Deshalb geht dieser Krieg nicht nur die Ukraine oder Europa an. Sondern uns alle."
Die Weltwirtschaft leidet
In der Tat bekommen auch die Länder des sogenannten "globalen Südens" diesen Krieg zu spüren - wenn Nahrungsmittel knapp werden, die Weltwirtschaft leidet. Doch wie drückte es unlängst der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar aus? "Europa muss sich von der Denkweise verabschieden, dass Europas Probleme die Probleme der Welt seien." Indien gehört zu jenen Staaten, die sich seit je her ungern in ein Lager ziehen lassen wollen. Es steht damit nicht allein auf weiter Flur.
Zudem scheint sich bei nicht wenigen - aus einiger Entfernung auf Europa blickenden - Ländern die auch von Russland befeuerte Erzählung durchzusetzen, mit den Waffenlieferungen an die Ukraine würde der Westen den Konflikt verlängern oder gar eskalieren. "Nicht unsere Waffenlieferungen sind es, die den Krieg verlängern, das Gegenteil ist der Fall", bemerkte Kanzler Olaf Scholz am Wochenende in München an die Adresse der Skeptiker in Deutschland - doch diesen Satz hätte er ebenso an die schwankenden Staaten der Weltgemeinschaft richten können. "Je früher Präsident Putin sieht, dass er sein imperialistisches Ziel nicht erreicht, umso größer ist die Chance auf ein baldiges Kriegsende."
Die neue von der Ukraine eingebrachte Resolution, die von Deutschland mitgetragen wird, greift einige Bausteine eines zehn Punkte umfassenden Friedensplans des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf, den dieser im November vorgestellt hatte.
Der Text ist jedoch an entscheidenden Stellen entschärft worden, um ihn für möglichst viele Staaten annehmbar zu machen. Klar ist jedoch, dass Russland in der Resolution zum Rückzug aufgerufen und die territoriale Unversehrtheit der Ukraine betont wird.
Baerbock sagte vor dem Abflug nach New York: "Der Friedensplan liegt in New York auf dem Tisch, es ist die Charta der Vereinten Nationen. Die notwendigen, konkreten Schritte hin zum Frieden in der Ukraine wird die Resolution der Generalversammlung enthalten, die wir gemeinsam mit über 50 Staaten einbringen und über die wir heute abstimmen."
Viele Unwägbarkeiten
Zusätzlich verkompliziert wird die Lage nun aber dadurch, dass China angekündigt hatte, zum Jahrestag des Kriegsbeginns einen Friedensplan vorzulegen. Außenministerin Baerbock begrüßte den Vorstoß im Grundsatz. Doch China-Experten äußern den Verdacht, es könne Peking lediglich darum gehen, schwankende Staaten aus dem westlichen Lager herauszulösen und letztlich doch wieder nur im Interesse Russlands zu handeln.
"China verbreitet weiter die russische Lesart, verbreitet bei den UN und anderswo dessen Propaganda", mahnt US-Außenminister Anthony Blinken. Verurteilt hat China den russischen Angriffskrieg nicht, spricht stattdessen von einer "Krise" in der Ukraine.
Vor der Abstimmung über die neue UN-Resolution gibt es also viele Unwägbarkeiten. In jedem Fall ist sie ein Gradmesser dafür, wie viel Unterstützung der Ukraine-Kurs Europas und der USA in der Welt erfährt. Und damit auch ein Gradmesser dafür, in welchem Maße es Annalena Baerbock gelungen ist, befreundete und skeptische Staaten auf ihre Seite zu ziehen.