Annalena Baerbock, Robert Habeck, Olaf Scholz, Christian Lindner
Analyse

Ampel-Bündnis Ernüchterung statt Euphorie

Stand: 27.05.2022 10:57 Uhr

Die Grünen breitbeinig, die FDP giftig, die SPD nervös? Warum diese Zustandsbeschreibung für das Ampel-Bündnis nur bedingt zutrifft, aber der Anfangszauber verflogen ist.

Eine Analyse von Christian Feld, Nicole Kohnert und Markus Sambale, ARD Berlin

Annalena Baerbock und Robert Habeck werden zurzeit derart für ihre Krisen-Arbeit und Kommunikation gelobt, dass es ihnen schon fast unheimlich werden muss. Und auch bei den jüngsten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gehörten die Grünen zu den klaren Siegern - dort sondieren sie jetzt mit der CDU. Von daher hätte der grüne Teil der Ampel-Regierung im Bund Anlass genug für Freude über die eigene Stärke. Und doch - das ist augenfällig - lassen sich die Grünen ihre gute Laune nicht öffentlich anmerken.

Keine sichtbaren Anzeichen von Kraftmeierei gegenüber den Koalitionspartnern SPD und FDP, keine Forderungen, dass grüne Positionen stärker berücksichtigt werden müssten. Rücksicht auf Partner, denen die erste Ampel-Koalition auf Bundesebene bisher deutlich weniger Glücksmomente beschert? Nach wenigen Monaten Ampel-Betrieb haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben.

Grün-gelber Zitrus-Zauber

Rückblick: Am Anfang war grün-gelber Zitrus-Zauber. Grüne und FDP preschten voran, schmiegten sich in einer Zweier-Verbindung aneinander. Harmonie und Verschwiegenheit sind symbolisch festgehalten im Selfie, das Baerbock, Habeck, Lindner und Wissing gleichzeitig via Social Media veröffentlichten. "Wir fühlen uns gemeinsam beauftragt, in Deutschland einen neuen Aufbruch zu organisieren", sagte der FDP-Chef damals.

Dann die Koalitionsverhandlungen: Für die FDP sei der Weg in ein Bündnis mit SPD und Grünen am weitesten, hieß es. Mit dem Koalitionsvertrag entstand bei vielen das Bild, die Grünen seien schlecht weggekommen: kein Tempolimit, Festhalten an der Schuldenbremse. Die Liberalen sicherten sich dagegen Ministerien mit Verantwortung für Geld und Investitionen in Bildung und Digitales. Lindner selbst wollte Finanzminister werden - und wurde es auch.

Ausgerechnet Lindner muss Rekordschulden machen

Heute ist der Glanz der FDP verblasst. Der Eindruck, als kleinster Ampel-Partner am meisten Profil im Dreierbündnis untergebracht zu haben, ist verschwunden. Ohne den russischen Angriff auf die Ukraine hätte die FDP mit ihren Themen womöglich punkten können. Im Krisenmodus seit Februar aber ist das gelbe Licht der Ampel zu einer Funzel geworden. Ausgerechnet Finanzminister Lindner, der solide Finanzen versprochen hatte, muss jetzt einen Haushalt mit rekordverdächtiger Neuverschuldung verantworten - wegen der Corona-Krise und des Ukraine-Kriegs. Und er kann sich nur damit rechtfertigen, dass der Schuldenberg ohne ihn noch größer würde.

Während es die Grünen schaffen, ihre Anhänger auch bei radikalen Kurswechseln wie den Waffenlieferungen mitzunehmen, laufen der FDP die Wähler davon. Die drei Wahlniederlagen in Saarbrücken, Kiel und Düsseldorf dürften auch mit der FDP-Politik im Bund zu tun haben. Ergebnis: Einmal Einzug in den Landtag verpasst, zweimal wohl raus aus der Regierung.

Kritik an der Kanzlerpartei

Auch für die Kanzlerpartei läuft es nicht rund. Vom sozialdemokratischen Jahrzehnt, das die SPD sich kurz nach der Bundestagswahl erträumt hatte, ist nicht mehr viel zu spüren. Nach der viel gelobten Zeitenwende-Rede von Kanzler Scholz verpuffte der Tatendrang. Dem 100-Milliarden-Versprechen für die Bundeswehr und der Ankündigung, der Ukraine militärisch mehr zu helfen, folgte erstmal nichts. Still wurde es um den Kanzler und seine Partei - und die Kritik immer lauter.

Manches konnte die SPD durchsetzen, beispielsweise den Mindestlohn von zwölf Euro, das Wahlversprechen von Olaf Scholz schlechthin. Bei den Entlastungspaketen dagegen war es ein zähes Ringen mit Grünen und FDP, und zahlte auf das SPD-Image nicht ein. Und das Versprechen von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr wackelt ganz erheblich angesichts von Facharbeitermangel und fehlendem Baumaterial.

SPD-Personal schwächelt

Nach der NRW-Wahl musste die SPD eingestehen, die Sozialschwachen, Rentnerinnen und Rentner aus den Augen verloren zu haben - insbesondere also ihr Stammklientel. Stattdessen: zähe Debatten über Waffenlieferungen, über den Russland-Kurs der SPD, über den Umgang mit Altkanzler Gerhard Schröder.

Auch mit ihrem Personal im Kabinett kann die SPD bisher deutlich weniger glänzen als die Grünen. Die Kritik an Verteidigungsministerin Christine Lambrecht reißt nicht ab, Gesundheitsminister Karl Lauterbach wirkt ungeschickt. Und Innenministerin Nancy Faeser blieb bislang blass, zumal begleiten sie Wechselgerüchte. Der Kanzler lässt es laufen. Seine Art der Kommunikation trägt ebenfalls nicht positiv zum Image der SPD bei.

Grünes Wohlgefühl

Die Bundesampel ist zurzeit ein Bündnis, bei dem die grüne Farbe sehr viel heller leuchtet als der Rest. Das grüne Wohlgefühl dürfte sich dadurch verstärken, dass für die Zukunft mit Schwarz-Grün eine politische Alternative zumindest denkbar ist. Doch Vorsicht: Es ist eine Momentaufnahme, und die Grünen wissen aus Erfahrung, wie schnell auf Hochgefühle derbe Ernüchterung folgen kann.

Wird das gemeinsame Regieren schwieriger? Geht es ab jetzt um deutlichere Profilierung? Es sind Befürchtungen, denen Omid Nouripour, der Co-Vorsitzenden der Grünen, öffentlich keine Nahrung geben will: "Diese Ampelkoalition ist eine Koalition der staatspolitischen Verantwortung." Es seien Profis am Werk. Gute Ergebnisse geben Spielraum für demonstrative Gelassenheit.

Zurück zu den Kernthemen

Die SPD will auf die sinkenden Beliebtheitswerte mit mehr Hilfen für Sozialschwache reagieren und aktiver werden. Gemeint sind mehr Entlastungen, um die steigenden Preise und die Inflation abzufedern. Arbeitsminister Hubertus Heil hat bereits Maßnahmen angekündigt, ohne jedoch zu konkret zu werden.

Für die Liberalen gibt sich Parteichef Lindner staatsmännisch. Im Zentrum stehe nicht das parteipolitische Interesse der FDP, sondern der Amtseid. Ob sich der lange Atem auszahlt? Die FDP setzt darauf, dass ihre eigenen Projekte doch noch sichtbarer werden - von der gesetzlichen Aktienrente bis zur Digitalisierung der Verwaltung.

Gut möglich, dass sich dann die politischen Kräfteverhältnisse in der Koalition auch wieder verschieben. Ein Zurück zur grün-gelben Harmonie der Anfangstage der Koalition erscheint aber wenig wahrscheinlich. Und auch bei der SPD ist nach der Euphorie des Wahlsiegs längst Ernüchterung eingekehrt. Ein Scheitern der Koalition jedoch dürfte für niemanden eine erstrebenswerte Option sein.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 17. März 2022 um 12:44 Uhr in der Sendung"Studio 9" und es berichtete Deutschlandfunk am 09. Mai 2022 um 12:14 Uhr in der Sendung "Informationen am Mittag".