Bundeskanzler Scholz und die Minister Habeck und Lindner bei der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt. | dpa

AKW-Betrieb Wie es nach dem Machtwort weitergeht

Stand: 18.10.2022 19:55 Uhr

Bundeskanzler Scholz hat den AKW-Streit in seiner Regierung mit einem Machtwort beendet. Für die Minister ist die Entscheidung des Kanzlers verbindlich. Nicht aber für die Ampel-Fraktionen. Wie es jetzt weitergeht.

Erstmals in seiner knapp einjährigen Amtszeit als Bundeskanzler hat Olaf Scholz zum äußersten Mittel gegriffen. Um den Streit in seiner Drei-Parteien-Regierung in der Frage nach längeren Laufzeiten für die drei verbliebenen Atomkraftwerke zu beenden, hat er von seiner Richtlinienkompetenz als Kanzler Gebrauch gemacht. Die Minister und Ministerinnen in seinem Kabinett sind daran gebunden. Oder sie müssten zurücktreten.

In Paragraph 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung heißt es:

Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der inneren und äußeren Politik. Diese sind für die Bundesminister verbindlich und von ihnen in ihrem Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung zu verwirklichen. In Zweifelsfällen ist die Entscheidung des Bundeskanzlers einzuholen.

Wie geht es jetzt weiter?

Zunächst haben die Fraktionen beraten. Hier war vor allem bei den Grünen Gegrummel zu erwarten. Führende Grünen-Vertreterinnen meldeten Gesprächsbedarf an, etwa Parteichefin Ricarda Lang und die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann. Auch Jürgen Trittin äußerte sich im Vorfeld verärgert über das Vorgehen des Kanzlers.

Die Grünen betonten zwar, dass die Fraktion und das Parlament insgesamt nicht an die Vorgabe des Kanzlers gebunden sei. Dennoch will die Fraktionsspitze ihren Abgeordneten empfehlen, dem Vorschlag von Scholz zu folgen. Das heißt, dem regulären Weiterbetrieb der drei Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis zum 15. April 2023 zuzustimmen. Möglich auch, dass noch eine einheitliche Linie für die Abstimmung des Gesetzentwurfs im Bundestag vereinbart wird. Einen rechtlichen Fraktionszwang gibt es jedoch nicht, da die Abgeordneten frei und nur ihrem Gewissen verantwortlich sind. Dennoch wird mit der Fraktionsdisziplin erwartet, dass sich die Mitglieder einer Fraktion der nach Diskussion beschlossenen Linie anschließen, auch wenn sie der Position kritisch gegenüberstehen. 

Als sicher gilt aber auch: In dieser Großkrise des Landes und Europas kann sich keine Partei leisten, aus der Regierung wegen der Laufzeit von Atomkraftwerken auszutreten. Das wird in den Fraktionen auch hinter vorgehaltener Hand betont.

Von der FDP kommt Zustimmung. Die Partei will nach den Worten von Fraktionsvize Lukas Köhler das "Gesamtpaket" von Kanzler Scholz zu Atomkraftwerken sowie zu einem früheren Kohleausstieg im Westen mittragen.

Atomgesetz im Kabinett

Der Entwurf zum veränderten Atom- und des Energiewirtschaftsgesetz soll am Mittwoch ins Kabinett. Dort sollte er schon längst abschließend beraten worden sein, doch wegen der gegenseitigen Blockade-Haltung der Minister Christian Lindner und Robert Habeck verzögerte sich dieser Schritt seit Wochen.

Scholz sagte, die Bundesregierung werde mit "großer Geschwindigkeit" einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters erarbeiteten Wirtschafts- und Umweltministerium nun einen Gesetzentwurf, wonach die Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis zum 15. April 2023 laufen können. Insgesamt könnten die drei AKW im Jahr 2023 rund 5,4 Terawattstunden Strom erzeugen. Dann sind die Brennstäbe der Anlagen aufgebraucht. Neue sollen nach der Kanzler-Entscheidung nicht mehr angeschafft werden. Die Ministerien der Regierung sollen nun bis Mittwoch den Entwurf zum Atomgesetz billigen.

Theoretisch hätte der Gesetzentwurf sogar noch diese Woche in den Bundestag eingebracht werden können, allerdings haben sich die Abgeordneten dagegen entschieden. Sie wollen in der ersten Sitzungswoche im November ein reguläres Gesetzgebungsverfahren mit einer Experten-Anhörung, auch um möglichen Klagen vorzubeugen. Nach der Entscheidung im Bundestag müssten noch die Länder zustimmen. Dazu könnte es eine Sondersitzung des Bundesrats Mitte November geben oder man entscheidet erst in der regulären Sitzung Ende November. Erst dann hätten die AKW-Betreiber endgültige Rechtssicherheit.

Nach den Worten von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich könnte der Gesetzentwurf auch zunächst in den Bundesrat eingebracht werden. Dieser tagt am 28. Oktober. Die nächste Sitzungswoche des Bundestags beginnt dann am 7. November.

Egal wann das Gesetz in den Bundestag kommt, mit Kritik und Gegenstimmen der Opposition ist fest zu rechnen.

Politische Einigung reicht den AKW-Betreibern

Der ursprüngliche Zeitdruck im Gesetzesverfahren hat sich nach der grundsätzlichen Regierungsentscheidung etwas relativiert. Vor allem die AKW-Betreiber hatten auf eine rasche klare gesetzliche Regelung gedrängt. Ihnen reicht offenbar die politische Einigung aus. Ohne gesetzlichen Rahmen für den Weiterbetrieb müssten alle drei AKW laut Atomgesetz zum Jahresende vom Netz gehen. 

Die Vorbereitungen für den Weiterbetrieb laufen nun an. Isar 2 muss Ende der Woche für eine Reparatur heruntergefahren werden. Neckarwestheim und Emsland müssen Anfang 2023 jeweils rund zwei Wochen lang aussetzen für eine neue Konfiguration des Reaktorkerns, wie es im Entwurf heißt. Die Brennelemente von Isar 2 würden dann wohl Anfang März aufgebraucht sein, die anderen könnten bis 15. April laufen.

Mit Informationen von Uli Hauck, ARD-Hauptstadtstudio

Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 18. Oktober 2022 um 20:00 Uhr.