
Rot-Grün in Niedersachsen Mit dem Finger auf Berlin
SPD und Grüne in Niedersachsen haben sich im Wahlkampf klar für das Aus des AKW Emsland stark gemacht. Nun bleibt es doch länger am Netz, der Kanzler hat entschieden. Was heißt das für die Koalitionsverhandlungen?
Das Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz trifft mitten in die Vorbereitungen für die Koalitionsverhandlungen in Niedersachsen. Im Fokus: SPD und Grüne - die beiden Parteien, die sich im Wahlkampf klar dafür ausgesprochen haben, dass das Atomkraftwerk Emsland zum Ende des Jahres vom Netz geht.
Mit "Bye, Bye AKW" haben die Grünen noch vor eineinhalb Wochen für Stimmen geworben. Für sie ist die Atomkraftdebatte vor allem auch zur Identitätsfrage geworden. SPD-Chef Stephan Weil machte ebenfalls deutlich, dass das AKW in Lingen nicht nötig sei, um die Energieversorgung sicherzustellen. Doch nun ist eben alles anders: Scholz macht von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch und Niedersachsen muss folgen.
Ein Sieg der Grünen?
Doch welche Auswirkungen hat die Entscheidung des Kanzlers auf die Koalitionsgespräche in Hannover? Immerhin wirkt es zunächst so, als hätte Scholz sich über die Grünen hinweggesetzt. Auch die Kritik der niedersächsischen Parteispitze, es handele sich um eine "Basta-Politik" passt in diese These. Doch möglicherweise muss die niedersächsische Parteispitze genau diesen Kurs fahren - mit dem Finger nach Berlin zeigen, öffentlich das Gesicht wahren. Andernfalls könnten sie sich unglaubwürdig machen.
Hintergründig zeichnet sich jedenfalls ein anderes Bild. Es sei der eleganteste Weg, diesen Konflikt zu lösen, heißt es aus Parteikreisen. "Das ist ein klarer Sieg der Grünen", sagt ein niedersächsisches SPD-Mitglied hinter vorgehaltener Hand. Verloren habe vor allen Dingen die FDP, die sich für einen Weiterbetrieb bis 2024 ausgesprochen hat. Schließlich werden keine neuen Brennstäbe eingesetzt. Darüber hinaus wird der Betrieb nur gestreckt, der Ausstieg aus der Kernkraft gilt damit endgültig als besiegelt. Genau das, was die Grünen immer wollten.
Alles Symbolpolitik?
Unklar ist weiterhin, welchen Mehrwert der Weiterbetrieb des Kernkraftwerks in Lingen tatsächlich für die Energieversorgung in Deutschland hat. Im niedersächsischen Umweltministerium, das gleichzeitig zuständige Atomaufsichtsbehörde ist, geht man derzeit davon aus, dass das AKW keinen wirklichen Beitrag leiste. Zudem sei völlig offen, wie der Strom nach Süddeutschland transportiert werden soll, heißt es aus niedersächsischen Regierungskreisen.
Niedersachsen will dennoch die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Alles Symbolpolitik oder doch norddeutscher Pragmatismus in der Krise?
Wohl keine Überraschung für Weil
Über Weil wird gesagt, dass er vermutlich ähnlich reagiert hätte wie Scholz: Ein Machtwort als klares Zeichen, das am Ende den Streit befriedet, aber keine allzu großen Konsequenzen hat. Zudem dürfte die Entscheidung des Bundeskanzlers für Weil nicht allzu überraschend gekommen sein. Denn schon während des Wahlkampfes habe Scholz darauf hingewiesen, dass durchaus noch Bewegung in die Sache kommen könnte, heißt es in Niedersachsen.
Dass der Kurswechsel erst knapp eine Woche nach der niedersächsischen Landtagswahl geschehen ist, dürfte durchaus ein strategischer Schachzug gewesen sein.
Denn wenngleich sich Niedersachsens SPD und Grüne im Landtagswahlkampf dafür ausgesprochen haben, dass das AKW Emsland zum Ende des Jahres vom Netz geht, müssen sie die bundespolitische Entscheidung jetzt nicht mehr rechtfertigen. Sie können sich weiterhin geschlossen geben - immerhin haben sie für das gleiche Ziel gekämpft.
Am Ende bedeutet die Entscheidung des Kanzlers eben auch: Kein AKW in Deutschland bleibt über den April hinaus am Netz und damit ist der Weg frei für die rot-grüne Energiewende in Niedersachsen.