Prozessauftakt in München Die Knackpunkte im Hoeneß-Prozess

Stand: 10.03.2014 16:40 Uhr

Er hat Steuern in Millionenhöhe hinterzogen - und fühlt sich dennoch im Recht: Bayern-Präsident Uli Hoeneß pocht auf seine Selbstanzeige. Ob sie anerkannt wird, soll der Prozess in München klären. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten für Sie zusammengestellt.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Was sind die entscheidenden Fragen im Prozess?

Die rechtliche Auseinandersetzung wird sich wohl vor allem um zwei Fragen drehen: 1. War die Selbstanzeige von Uli Hoeneß wirksam, sodass er straflos bleibt? 2. Falls die Selbstanzeige nicht wirksam war - welche Strafe wäre für die angeklagte Steuerhinterziehung angemessen?

Zentraler für Punkt zwei ist, von welcher Höhe an hinterzogenen Steuern die Anklage und später das Gericht ausgehen. Die Anklageschrift nennt eine Summe von 3.545.939,70 Euro. In der Verhandlung wurde heute überraschend bekannt, dass die Verteidigung kurz vor Prozessbeginn Unterlagen nachgereicht hat. Laut Verteidiger Feigen ergebe sich daraus eine Steuerschuld von nochmals 15 Millionen Euro. Wie hoch die Summe aus den nachgereichten Unterlagen tatsächlich ist, müssen allerdings die Finanzbehörden festlegen.

Was bedeutet die "Selbstanzeige" im Steuerstrafrecht?

Wer sich bei der Polizei zum Beispiel wegen Diebstahl, Betrug oder Raub selbst anzeigt, muss mit einem Strafverfahren rechnen. Reue oder die Rückzahlung des Geldes werden dann später im Urteil bei der Höhe der Strafe berücksichtigt, führen aber nicht zur Straffreiheit. Bei Steuerhinterziehung hingegen kann eine Selbstanzeige unter bestimmten Voraussetzungen dazu führen, dass man straffrei bleibt.

Das ist in § 371 Abgabenordnung geregelt. Dem Gesetzgeber scheint es hier wichtiger zu sein, an das hinterzogene Geld zu kommen, als die betroffenen Personen zu bestrafen. Die Voraussetzungen sind laut Gesetz: man muss die hinterzogenen Steuern plus sechs Prozent Zinsen pro Jahr innerhalb einer angemessenen Frist nachzahlen. Liegt der Betrag pro Jahr über 50.000 Euro, muss man nochmal fünf Prozent der hinterzogenen Summe draufzahlen, um nicht strafrechtlich verfolgt zu werden. Wichtig außerdem: Die Selbstanzeige muss rechtzeitig abgegeben werden und vollständig sein. Wenn aus Sicht der Ermittler die Selbstanzeige wirksam ist, bleibt der Beschuldigte straffrei, ansonsten wird das Strafverfahren durchgeführt.

Was bedeutet "rechtzeitig" genau?

Zu spät ist die Selbstanzeige zum Beispiel, wenn dem Betroffenen eine "Prüfungsanordnung" der Finanzbehörden oder die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bekannt gegeben wurde. Wenn also der Staatsanwalt bereits vor der Tür steht, geht nichts mehr. Die Selbstanzeige ist außerdem nicht mehr rechtzeitig, wenn die Tat bereits entdeckt war und der Betroffene dies wusste oder damit rechnen musste. Hoeneß soll nach Bekanntwerden von Recherchen eines Magazins die Selbstanzeige geschrieben haben. Hier ist die umstrittene Frage, ob dies noch als rechtzeitig gelten kann.

Was bedeutet "vollständig"?

"Vollständig" bedeutet, dass der Betroffene wirklich alle Guthaben und Konten bekannt gibt und alle relevanten Zeiträume benennen muss. Ein "Teilgeständnis" wird also nicht akzeptiert, das hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom Mai 2010 besonders betont (1 StR 577/09). Außerdem muss die Aufstellung auch formal korrekt sein, indem zum Beispiel die angegebenen Gewinn- und Verlustrechnungen keine Lücken aufweisen.

Was wäre, wenn das Landgericht - anders als die Staatsanwaltschaft - die Selbstanzeige für wirksam hält?

Die Staatsanwaltschaft hält die Selbstanzeige anscheinend für unwirksam, sonst hätte sie keine Anklage erhoben. Sollte das Landgericht dies anders sehen, also die Selbstanzeige als komplett wirksam ansehen, würde Hoeneß im Prozess gar nicht bestraft. Fragen nach der Höhe der Strafe würden sich dann nicht stellen. An diesem Punkt dürfte die Verteidigung im Prozess massiv einhaken und Argumente dafür vortragen, warum die Selbstanzeige vollständig war und rechtzeitig abgegeben wurde.

Wie berechnet sich die Strafe bei Steuerhinterziehung?

Im Fall Hoeneß soll Steuerhinterziehung für den Zeitraum 2003 bis 2009 angeklagt sein. Jedes einzelne Jahr, für das man Steuern hinterzogen hat, gilt als eine Tat, für die eine Strafe angesetzt wird. Daraus bildet das Gericht dann am Ende eine so genannte "Gesamtstrafe". In Betracht kommt bei Steuerhinterziehung grundsätzlich Geldstrafe, Freiheitsstrafe auf Bewährung oder Freiheitsstrafe ohne Bewährung, also Gefängnis. Eine Aussetzung zur Bewährung ist nur bis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren möglich.

Was bedeutet die viel zitierte "Millionengrenze" für eine mögliche Strafe von Hoeneß?

Es gibt im Steuerstrafrecht - bildlich gesprochen - keinen Automaten, in den man die konkrete Summe an hinterzogenen Steuern hineinwirft und eine bestimmte Strafe unten herauskommt. Die Strafe muss "schuldangemessen" sein, dabei hat jeder Richter Ermessenspielräume. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in einem viel beachteten Urteil aus dem Jahr 2008 wichtige Leitlinien für die unteren Gerichte aufgestellt, die auch für den Fall Hoeneß wichtig werden dürften (BGH 1 StR 416/08). Diese Linien hat der BGH immer wieder bestätigt und von den Instanzgerichten mehr Strenge gefordert, zum Beispiel im Jahr 2012 (1 StR 525/11).

Es geht darum, ab wann Gerichte eine Freiheitsstrafe nicht mehr zur Bewährung aussetzen dürfen. Die Höhe der hinterzogenen Gesamtsumme habe dabei "Indizwirkung". Der entscheidende Satz im BGH-Urteil von 2008 lautet: "Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht." Das bedeutet: Bei Beträgen ab einer Million Euro ist die Regel erst einmal: Haftstrafe. Es sei denn, das Gericht sieht die erwähnten "besonders gewichtigen Milderungsgründe". Die wird man aufwändig und gut begründen müssen, um den Vorgaben des BGH gerecht zu werden.

Welche "besonders gewichtigen Milderungsgründe" meint der Bundesgerichtshof?

Solche Milderungsgründe können laut Bundesgerichtshof (BGH) sein:

  • Der Angeklagte war im Tatzeitraum "im Wesentlichen steuerehrlich", also: Er hat auch Steuern gezahlt, und im Vergleich zur gezahlten Summe ist die hinterzogene Summe ziemlich gering.
  • Die Lebensleistung des Angeklagten
  • Das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat, etwa ein frühzeitiges Geständnis
  • "Schadenswiedergutmachung" durch Nachzahlung der hinterzogenen Steuern. Diesen Punkt hat der BGH in seinem Urteil von 2012 allerdings wieder etwas eingeschränkt. Denn das sei ja die normale Pflicht jedes ehrlichen Steuerzahlers, und der vermögende Angeklagte im damaligen Fall habe das ohne erkennbare Einbuße der Lebensführung nachzahlen können.

Jeder dieser Punkte könnte im Prozess gegen Hoeneß eine Rolle spielen. Eine genaue Prognose, ob das Gericht entsprechende Milderungsgründe für eine Bewährungsstrafe finden wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös möglich. Man wird aber ganz allgemein sagen können, dass dies immer schwerer werden dürfte, je weiter die konkret angeklagte Summe sich von der "Eine-Million-Grenze" nach oben entfernen sollte.

Können eine gescheiterte Selbstanzeige und die massive Medienberichterstattung über den Fall "besonders gewichtige Milderungsgründe" sein?

Ein möglicher "besonders gewichtiger Milderungsgrund" ist laut BGH ja ein frühzeitiges Geständnis. Mit der Selbstanzeige gibt ein Steuersünder seine Taten den Behörden im Grundsatz preis. Es ist also denkbar, dass die gescheiterte Selbstanzeige ein solcher Milderungsgrund ist. Dagegenhalten könnte man, dass die Selbstanzeige von Hoeneß nur eine Reaktion auf die Recherchen der Medien war.

Auch dass der Steuerfall Hoeneß trotz Steuergeheimnis öffentlich wurde und eine massive Berichterstattung zur Folge hatte, könnte bei der Strafzumessung eine Rolle spielen. Beide Punkte sind aber rechtlich noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt. Allein die psychische Belastung eines Strafverfahrens mit drohender Haftstrafe sei jedenfalls kein besonders gewichtiger Strafmilderungsgrund, hat der BGH bereits geurteilt.

Wird das Münchener Urteil das letzte Wort sein?

Egal wie der Prozess ausgeht - es ist möglich, dass Verteidigung und/oder Staatsanwaltschaft Revision einlegen. Das würde dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe Gelegenheit geben, seine Rechtsprechung zur Selbstanzeige und zur Strafhöhe bei Steuerhinterziehung am konkreten Fall des prominenten Steuersünders Hoeneß zu konkretisieren. Also: entweder die Begründung des Landgerichts akzeptieren, oder den Fall mit neuen "Segelanweisungen" zurückverweisen. Die Fallkonstellation hat sicher Potential für eine erneute Grundsatzentscheidung.

Ist ein "Deal" zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Gericht möglich?

Unter einem "Deal" im Strafprozess versteht man Absprachen in einem Strafprozess zwischen Verteidigung, Gericht und Staatsanwaltschaft. Denkbar wäre das auch im Fall Hoeneß. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht gerade klar darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Regeln der Transparenz streng eingehalten werden müssen, die Strafe der Schuld angemessen sein muss und niemand auf Rechtsmittel verzichten darf. Die klassische Konstellation für einen "Deal" in kompliziert aufzuklärenden Wirtschaftsprozessen - Geständnis im Gerichtssaal gegen mildere Strafe - liegt hier auch nicht vor. Denn ein Geständnis gibt es ja schon, und man würde dem Gericht keine langwierige Beweisaufnahme ersparen, weil der Prozess ohnehin nur auf vier Tage angesetzt ist. Medienberichten zufolge soll der Vorsitzende Richter Heindl auch kein Freund solcher "Deals" sein.