Interview

Interview mit Steuerfahnder "Gier führt zum Diebstahl an der Gemeinschaft"

Stand: 22.04.2013 17:14 Uhr

Nach der Selbstanzeige von Uli Hoeneß sieht sich die Opposition bestärkt im "Nein" zum Steuerabkommen mit der Schweiz. Wachsende Gier erlebe er in allen Berufsgruppen, sagt Steuerfahnder Frank Wehrheim im Gespräch mit tagesschau.de. Er bezweifele, dass Hoeneß alle Gelder versteuert habe. Der FC-Bayern-Präsident habe sich vermutlich als "letzte Zuflucht" selbst angezeigt.

tagesschau.de: Die Opposition ist stolz, das Steuerabkommen mit der Schweiz im Bundesrat gestoppt zu haben, weil Uli Hoeneß sonst nicht aufgeflogen wäre. Hat sie Recht?

Frank Wehrheim: Die Opposition hätte Recht, wenn das Geld unter dem Namen Uli Hoeneß angelegt war. Dann wäre sein Name nicht den deutschen Steuerbehörden gemeldet worden, sondern nur die Summe der Gelder, die sich auf seinem Konto befinden.

Zur Person

Frank Wehrheim arbeitete von 1967 bis 2009 als Leitender Beamter bei der hessischen Landesfinanzverwaltung, davon 28 Jahre im Steuerfahndungsdienst. Seit April 2009 arbeitet Wehrheim als Steuerberater in Bad Homburg. Er ist Autor des Bestsellers: "Inside Steuerfahndung."

tagesschau.de: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das Geld nicht auf den Namen Hoeneß angelegt war und damit nicht unter das Steuerabkommen fallen würde?

Wehrheim: Meine Erfahrung als Steuerfahnder lehrt mich, dass bei Geldern dieser Größenordnung meist eine Liechtenstein-Stiftung oder ein Singapur-Trust eingebaut ist. Das kann ich mir auch in diesem Fall vorstellen. Dann wäre seine Bemerkung "Ich wollte meine Gelder mit dem Steuerabkommen legalisieren" nur eine Schutzbehauptung.

tagesschau.de: Was hätte das Steuerabkommen mit der Schweiz im Fall Hoeneß dem Fiskus eingebracht?

Wehrheim: Wenn es ein namentliches Konto gewesen ist, dann hätte es so um 40 Prozent Steuern gebracht. Und damit wäre es anonym - ohne dass der Name Hoeneß aufgetaucht wäre - legalisiert worden. Spannend ist im Fall Hoeneß jedoch, wie das Geld konkret angelegt war und aus welchen Einkünften es stammte. Es ist ungewöhnlich, dass die Fahndung nun Durchsuchungen macht. Das Wesen der Selbstanzeige ist ja, dass man alle Daten vollständig liefern muss. Offenbar gibt es Ungereimtheiten. Bei den Summen, die jetzt im Raum stehen, kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass es nur Kapitalerträge sind. Es könnten natürlich Spekulationsgewinne sein. Es kann allerdings auch so sein, dass da noch Geld aus anderen Einnahmen zugeflossen ist, das nicht ordnungsgemäß versteuert wurde. Das werden die Steuerbehörden jetzt prüfen.

"Da kommt einiges zusammen"

tagesschau.de: Hoeneß selbst sagt, es handele sich um versteuertes Geld. Er habe lediglich keine Kapitalertragssteuer gezahlt  – wie viel wäre das gewesen bei einem angenommenen Vermögenswert von 18 bis 20 Millionen Euro?

Wehrheim: In Deutschland zahlen Sie auf Zinserträge seit 2009 etwa 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag. Im Fall einer Selbstanzeige werden die Steuererklärungen der vergangenen zehn Jahre noch einmal überprüft. Alles muss nachversteuert werden plus der Säumniszinsen. Da kommt einiges zusammen.

tagesschau.de: Wie läuft so ein Geldtransfer in die Schweiz konkret?

Wehrheim: Bei so einem Mann wie Hoeneß wurden die Steuererklärungen ja bestimmt geprüft. Die Frage ist also, welchen Weg er wählte, um das Geld ins Ausland zu bringen. Einige bedienen sich da fiktiver Geschäftsverbindungen. Das heißt, man lässt sich aus dem Ausland Rechnungen schreiben, die dann dem eigenen oder einem Stiftungskonto in der Schweiz zugeführt werden. Man kann natürlich auch versteuertes Geld in Deutschland abheben und dann über die Grenze tragen. Aber bei diesen großen Summen ist das eher ungewöhnlich. Und das hätte ja dann der Finanzverwaltung eigentlich auffallen müssen, wenn solche großen Summen aus dem Vermögen abgezogen werden.

"Bayerische Fahnder haben das Image, nicht so genau zu prüfen"

tagesschau.de: Haben die Behörden vielleicht bei diesem ja politisch und gesellschaftlich sehr einflussreichen Mann die Augen zugedrückt?

Wehrheim: Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine früheren Kollegen in  Bayern da die Augen zudrücken. Zwar haben die bayerischen Fahnder das Image, dass sie nicht ganz so genau prüfen wie ihre Kollegen in anderen Bundesländern. Aber eine direkte Einflussnahme auf die Akten kann ich mir nicht vorstellen. So etwas gab es damals unter Franz Josef Strauß - aber diese Zeiten sind ja lang vorbei.

tagesschau.de: Hoeneß ist stets als Vorbild und Moralist aufgetreten. Nun hat auch er offenbar versucht, Steuern zu hinterziehen. Wie beurteilen Sie das psychologisch: Was treibt so viele Menschen, die ja genug auf dem Konto haben, zu solchen Aktionen?

"Die Gier spielt eine große Rolle"

Wehrheim: In meiner Laufbahn als Steuerfahnder habe ich dies bei allen Berufsgruppen erlebt - und quer durch alle gesellschaftlichen Schichten: bei Ärzten, Politikern, Ministern, sogar bei Finanzbeamten. Wer mehr Geld hat, der verfügt über einen größeren Hebel bei der Hinterziehung, bei dem geht es um höhere Summen. Die Energie, die dahinter steht - nämlich das Geld der Gemeinschaft vorzuenthalten - ist immer die Gleiche. Es scheint so zu sein, dass der Diebstahl an der Gemeinschaft - und nichts anderes ist Steuerhinterziehung - moralisch anders bewertet wird, als wenn man seinen Nachbarn bestiehlt. Die wachsende Gier spielt natürlich auch eine große Rolle.

Steuervermeidung hat sich zu einem Sport entwickelt, und es gibt ja mittlerweile ganze Branchen, die Menschen dabei helfen, Steuern zu senken oder Steuern zu vermeiden. Das ist nach deutschem Steuerrecht vielfach ganz legal. Eine Person wie Hoeneß hat schier unbegrenzt viele Möglichkeiten, seine Lebenshaltungskosten - Dinge wie Restaurantbesuche, Einladungen, Investitionen, Autos, Reisen - von der Steuer abzusetzen. Dass so jemand dann zusätzlich noch den Weg in die Illegalität wählt, ist wirklich verwunderlich und zeigt die Demoralisierung unserer Gesellschaft.

"Selbstanzeigen - ein problematisches Instrument"

tagesschau.de: Laut Paragraph 371 der Abgabenordnung befreit die Selbstanzeige von der Strafe. Hoeneß muss die Steuern zwar nachzahlen, wird aber nicht strafrechtlich verfolgt. Wie sinnvoll ist das?

Wehrheim: Ich halte die Selbstanzeige für ein problematisches Instrument. Als Fahnder habe ich erlebt, dass die Selbstanzeige immer kurz vor Zwölf kommt - erst dann, wenn die Ermittler oder auch die Medien dem Hinterzieher schon auf der Spur sind und es praktisch keine Möglichkeit der weiteren Vertuschung mehr gibt. Echte Selbstanzeigen aus Reumütigkeit habe ich sehr selten erlebt.

tagesschau.de: Auch bei Hoeneß könnte es einen Zusammenhang geben zwischen seiner Selbstanzeige und einem kurz zuvor erschienenen Artikel im "Stern" über Steuerhinterziehung in der Fussball-Bundesliga. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Wehrheim: Ich halte das für sehr wahrscheinlich, dass auch er die Selbstanzeige als letzte Zuflucht gewählt hat, um straffrei zu bleiben.

tagesschau.de: Sollte man die Selbstanzeige abschaffen?

Wehrheim: Die Selbstanzeige bietet den Fahndern die Möglichkeit, Aufschlüsse über Steuerhinterziehungen einer ganzen Branche zu bekommen. Insofern hat sie auch ihren Nutzen.

tagesschau.de: Könnte der Fall Hoeneß dann also vielleicht Neues über Steuerhinterziehung im Sport aufdecken?

Wehrheim: Wenn ein Teil seiner Gelder nicht versteuert war, sondern aus Kanälen kommt, die mit Sport zu tun haben, dann könnte das in der Tat wichtige Praktiken im Sport zutage fördern. Und das könnte dann zu Ermittlungen bei anderen Firmen oder Personen führen.

"Internationale Steuer-Abkommen nach dem Vorbild der USA"

tagesschau.de: Welche Handhabe brauchen die deutschen Fahnder, um  die großen Fische bei der Steuerhinterziehung besser an Land  zu ziehen?

Wehrheim: Ich glaube, wir sollten uns bundesweit anders aufstellen. Ich plädiere für eine Bundessteuerfahndung, weil ich den Länderfinanzausgleich als Hindernis empfinde. In Bayern weiß der Finanzminister, dass wenn eine schärfere Fahndung ihm mehr Geld in die Kassen spült, er dieses mit den anderen Ländern teilen muss. Also ist sein Interesse vielleicht weniger groß als das seines Kollegen in Bremen oder Berlin. Dem könnten wir mit einer Bundessteuerfahndung entgegentreten, die dann auch besser geschult wäre für eine internationale Zusammenarbeit.

tagesschau.de: Und brauchen wir Abkommen mit Steuerparadiesen wie der Schweiz? 

Wehrheim: Dieses Abkommen mit der Schweiz, was nicht zustande gekommen ist, hatte in der Tat nur begrenzten Wert. Wir brauchen Abkommen, auf deren Grundlage die Vermögenswerte deutscher Bürger im Ausland direkt gemeldet werden. Die USA setzen so etwas gerade mit vielen Ländern durch. Das müsste uns auch gelingen.

Das Gespräch führte Simone von Stosch, tagesschau.de.