Proteste gegen Flüchtlinge "Anti-Asyl-Initiativen" - vom Netz auf die Straße

Stand: 08.10.2015 14:25 Uhr

Schneeberg, Freital, Tröglitz, Heidenau und nun Nauen - wo es Aktionen gegen Flüchtlinge gibt, mischen meist organisierte Rechtsradikale mit. In einem Leitfaden geben sie gezielt Tipps, wie ein "Asylantenheim in meiner Nachbarschaft" verhindert werden soll.

Das Feuer in einer geplanten Notunterkunft für Flüchtlinge in Nauen reiht sich ein in eine ganze Serie von Angriffen und Anschlägen in Deutschland. Auffällig dabei: An vielen Orten hatte es zuvor bereits Proteste gegen die Unterbringung von Flüchtlingen gegeben - und oft wurden diese gezielt von organisierten Rechtsextremen initiiert.

Vom Netz auf die Straße

Einige Beispiele: In Schneeberg starteten die rassistischen Proteste - und das bereits vor zwei Jahren. Dort war es unter anderem die Facebook-Seite "Schneeberg wehrt sich", auf der sich zahlreiche Bürger gegen Flüchtlinge organisierten. Zu einem "Fackellauf" rief ein Funktionär der NPD auf, der auch in der "Bürgerinitiative" tatkräftig mitmischte, rund 1800 Menschen folgten.

Auch in Freital war eine "Bürgerinitiative" aktiv, der Name erinnert stark an die aus Schneeberg: "Freital wehrt sich!" Sächsische Politiker begegneten dem Protest gegen Flüchtlinge mit sehr viel Verständnis, suchten das Gespräch. Bei einer Bürgerversammlung kam es zu Tumulten, es gab Angriffe auf Flüchtlinge und dann explodierte noch das Auto eines Linken-Politikers, der sich gegen rassistische Hetze engagiert.

In Tröglitz im südlichen Sachsen-Anhalt bedrohten Rechtsextreme ganz offen den Bürgermeister, erst im Netz, dann zogen sie an seinem Haus vorbei. Er hatte sich dafür ausgesprochen, Flüchtlinge in der Stadt aufzunehmen. Schließlich brannte auch hier ein Gebäude, wo Flüchtlinge wohnen sollten. Medien berichteten nach dem Anschlag über klammheimliche Freude in der Bevölkerung.

Auch im sächsischen Heidenau organisierten sich vor den Krawallen mehr als 1700 Bürger in einer Facebook-Gruppe mit dem Namen "Heidenau hört zu!", um ihren Protest gegen Flüchtlinge zu bündeln. Die Stimmung wird angeheizt und rassistische Gewalttäter schlagen offenkundig vor allem dort zu, wo sie auf Unterstützung in der Bevölkerung hoffen können.

"Bereits bei den ersten größeren Demonstrationen gegen Flüchtlinge in Sachsen vor knapp zwei Jahren in Schneeberg zog unverkennbar die NPD die Strippen oder sie wirkte im Hintergrund", sagt Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der Linkspartei in Sachsen und Expertin zum Thema Rechtsextremismus. Auch nach dem Ausscheiden der NPD aus dem Landtag sei die Partei keineswegs tot. "Besonders deutlich wird dies gegenwärtig in Heidenau", betont Köditz: "Eine zentrale Rolle bei der Organisation des rassistischen Protestes spielt dort ein junger NPD-Funktionär, der bei der Stadtratswahl die drittmeisten Stimmen aller Kandidierenden erhalten hatte."

Leitfaden gegen "Asylantenheim"

Organisierte Rechtsextremisten versuchen, sich an die Spitze von Protesten gegen Flüchtlinge zu setzen und initiieren dafür "Bürgerinitiativen". Wie das ganz konkret funktioniert, zeigt beispielsweise die Neonazi-Splitterpartei "III. Weg". Sie hat im Netz einen "Leitfaden" veröffentlicht; Titel: "Wie be- bzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner Nachbarschaft."

Auf mehr als 20 Seiten erklären die Neonazis kleinteilig, wie man eine "Anti-Asyl-Initiative" aufbaut, vernetzt und welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt, um gegen geplante Unterkünfte zu klagen. Auch Musterschreiben, beispielsweise um Demonstrationen anzumelden, findet sich in dem Leitfaden. Der "III. Weg" rät zudem dazu, ein "Tagebuch über die Geschehnisse" zu führen und vermeintliche Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zur Anzeige zu bringen.

Die Bundesregierung bewertet den "Leitfaden" als "äußerst professionell gestaltet". Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass entsprechende Bürgerinitiativen auf diesen Leitfaden zurückgreifen und ihn für ihre Zwecke nutzen, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage zum "III. Weg".

Proteste auch in Nauen

Auch in Nauen ist seit Monaten eine "Bürgerinitiative" aktiv. "Nein zum Heim in Nauen" nennt sie sich und wirbt auf Facebook für weitere Bündnisse wie die "Bürgerinitiative Zukunft Nauen" oder auch die "Bürgerbewegung freies Nauen", welche ebenfalls zu Aktionen und Demonstrationen mobilisieren. Auch auf Internet-Seiten der NPD wurden die Aufrufe der verschiedenen "Bürgerinitiativen" unterstützt. Die Blaupause für diese Mobilisierung und Vernetzung findet sich in dem "Leitfaden" des "III. Wegs".

Nun ist die geplante Notunterkunft für Flüchtlinge in Nauen ausgebrannt, ein technischer Defekt wird von Experten als unwahrscheinlich angesehen. Rassistische Hetze hat sich im Netz fast ungehindert ausgebreitet - und aus den Schlagworten sind wieder Brandsätze geworden.