Interview

ARD-Wahlexperte Schönenborn "Die SPD hat drei große Probleme"

Stand: 19.01.2009 15:28 Uhr

Die Sozialdemokraten sind die großen Verlierer der Hessen-Wahl. Schuld sei nicht allein Ypsilanti, sagt ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn im Interview mit tagesschau.de. Eine Vorentscheidung für die Bundestagswahl sieht er zwar nicht, aber die SPD in einer "schwierigen Situation".

Hessen hat gewählt. Großer Verlierer sind die Sozialdemokraten. Das liege aber nicht allein an der Wahllüge Andrea Ypsilantis, sagt ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn im Interview mit tagesschau.de Die SPD sieht er momentan in einer "schwierigen Situation". Eine Vorentscheidung für die Bundestagswahl sei das gestrige Ergebnis aber nicht. 

tagesschau.de: Was hat Sie am hessischen Wahlergebnis am meisten überrascht?

Jörg Schönenborn: Die Höhe des FDP-Sieges ist schon überraschend. Dass die Liberalen eine gute Ausgangsvoraussetzung hatten, war klar. Dass sie selber eine gute Figur gemacht haben und von Enttäuschung profitieren, war ebenfalls klar. Aber über 16 Prozent - das hat mich schon überrascht.

tageschau.de: Was sagen Sie zum schlechten Abschneiden der SPD?  

Jörg Schönenborn

Er ist Chefredakteur des WDR und der ARD-Wahlexperte. Monatlich präsentiert Jörg Schönenborn den ARD-DeutschlandTrend, und Wahl für Wahl erklärt er den Zuschauern Prognosen und Hochrechnungen und analysiert die Ergebnisse.

Schönenborn: Das Ausmaß war erwartbar. Die SPD hat einfach drei gewaltige Probleme: Sie hat ihre Glaubwürdigkeit durch die Wahlkampflüge vor einem Jahr verloren. Sie hat die Strategie ausgegeben, in Westdeutschland kann man mit der Linkspartei koalieren. Das wollen die Wähler nicht. Und sie behauptet, sie würde das im Bund niemals tun. Das glauben die Wähler aber nicht. Das alles ist eine Mischung, die gerade hier in Hessen zum Desaster geführt hat.

tagesschau.de: Das miserable Ergebnis der SPD ist also nicht allein die Schuld von Andrea Ypsilanti?

Schönenborn: Die Wahllüge Ypsilantis war der Ausgangspunkt. Aber die Wähler stellen sich natürlich auch die Frage: "Wenn ich die SPD wähle, mit wem könnte die regieren? Welche Chancen hätte sie, zu regieren?" Das haben die Wähler immer im Kopf. Man wählt Parteien nicht, um einen Schönheitspreis zu vergeben, sondern damit sie nachher regieren. Diese Vorstellung fällt vielen SPD-Wählern momentan schwer.  

tagesschau.de: Was kann die SPD jetzt unternehmen, um aus diesem Jammertal wieder herauszukommen? Wie die gestrige Wahl gezeigt hat, wählen nicht einmal mehr die Arbeiter die Sozialdemokraten.

"Schwächere warten auf Angebot der SPD"

Schönenborn: Ich bin kein Politikberater, aber das ist schon eine ganz schwierige Situation. Aber vielleicht liegt der Ausweg für die SPD tatsächlich in einer verstärkten Hinwendung zur Arbeiterschaft. Es gibt ja eine große Gruppe in der Gesellschaft, die immer noch nach einem politischen Hafen sucht. Das sind die Schwächeren. Die mit geringerem Einkommen, die mit schlecht bezahlten Jobs, die mit niedriger Bildung. Ich glaube, die warten darauf, von der SPD Angebote zu bekommen.

tagesschau.de: Auch die CDU hat nicht so erfolgreich abgeschnitten. Ist das ein Problem von Roland Koch, oder sind dafür andere Gründe verantwortlich?

"Koch war Hypotek für die hessische CDU"

Schönenborn: Roland Koch ist, verglichen mit Andrea Ypsilanti, sicher ein minder schwerer Fall. Aber er ist auch eine Hypothek für die hessische CDU gewesen. Das ist ganz klar. Außerdem hat er den Wählern mit seiner klaren Koalitionsaussage für die FDP im Grunde den Notausgang gezeigt: Wer Schwarz-Gelb wollte, konnte eben Gelb wählen. Das haben viele auch getan, die mit dem Herzen der CDU eigentlich näher stehen.

tagesschau.de: Verliert die CDU aus Sicht der Sicht ihrer Wähler in der Großen Koalition auf Bundesebene nicht auch zunehmend an Profil?  

Schönenborn: Wir haben in den letzten Tagen vor der Wahl eine ganz interessante Beobachtung gemacht. Das Konjunkturpaket, das am Dienstag vorgestellt worden ist, stößt bei den CDU- und den SPD-Wählern mehrheitlich auf Ablehnung. Menschen haben einfach ein schlechtes Gefühl beim Schuldenmachen. Insofern ist das für die CDU bestimmt keine Profilschärfung, dass sie sich von der Idee verabschiedet hat, im Wahlkampf ein großes Steuerkonzept vorzustellen.

tagesschau.de: Was bedeutet das Landtagswahlergebnis für die FDP auf Bundesebene?  

Schönenborn: Die FDP hat jetzt natürlich eine ganz starke Stellung. Weil die Große Koalition  im Bundesrat einfach fünf Länderstimmen braucht, um eine Mehrheit zu haben. Die können vor allem von der FDP kommen. Es gibt allerdings auch zwei grüne Beteiligungen an Landesregierungen, in Hamburg und Bremen. Es gibt auch Rot-Rot in Berlin. Rein theoretisch sind also auch andere Helfershelfer möglich. Aber klar ist, dass die FDP mit dieser Wahl als Co-Pilot im Cockpit sitzt.

tagesschau.de: Aus der SPD sind aktuell Forderungen zu hören, die Abstimmungsregeln im Bundesrat zu ändern, zu Lasten der kleineren Parteien. Ist das eine Reaktion auf den Bedeutungszuwachs der FDP?

"Machtpolitisch hat sich was verschoben"

Schönenborn: Ich würde das als Indiz dafür sehen, dass sich da am Sonntag wirklich machtpolitisch etwas verschoben hat. Es ist jetzt für die Große Koalition eine Situation eingetreten, dass sie wichtige Gesetze aus eigener Kraft im Bundesrat nicht durchsetzen kann. Das führt zu solchen Äußerungen.

tagesschau.de: Auch die Landtagswahl in Hessen hat wieder gezeigt: Den beiden Volksparteien CDU und SPD laufen die Wähler weg. Woran liegt das?

Schönenborn: Wir haben elf Landtagswahlen gehabt,seit es die Große Koalition gibt. Neun mal hat die FDP Zugewinne erzielt, acht mal die Grünen. Jedesmal zu Lasten der Großen. Auffällig ist, dass sowohl zur Union als zur SPD eher die gesellschaftlich Schwachen auf Distanz gehen. Die CDU-Wähler suchen sich dann noch andere Alternativen, aber viele SPD-Wähler bleiben einfach zu Hause. Das ist einer der Gründe für die niedrige Wahlbeteiligung. Die Große Koalition hat also dazu geführt, dass beide großen Koalitionsparteien nicht mehr wahrgenommen werden, als eine Kraft, die sich auch um die kleinen Leute kümmert.

tagesschau.de: Kann sich der Trend, dass die großen Parteien immer kleiner und die kleinen Parteien immer größer werden, auch bei der Bundestagswahl fortsetzen?

Schönenborn: Die Bundestagswahl steht insofern unter anderen Vorzeichen, als wir dort in der Vergangenheit den Einbruch bei der Wahlbeteiligung nicht registrieren konnten. Da haben viele Menschen das Gefühl, Wählen ist noch so etwas wie eine Bürgerpflicht. Insofern haben wir eine andere Ausgangslage. Ich würde es anders formulieren: Das ist jetzt einfach die Aufgabe für die Parteien im Wahlkampf. Sie haben ja noch ein paar Monate Zeit. Anfang September fällt da erst die Entscheidung. Die Diagnose ist klar: Sie müssen sich also überlegen, wie sie da rangehen.

tagesschau.de: Für die SPD ist das Kind - bezogen auf die Bundestagswahl - also noch nicht in den Brunnen gefallen?

Schönenborn: Das Kind sieht den Brunnen noch nicht einmal. Ich erinnere an das Wahljahr 2005, wo der Wahlkampf extrem kurz war, und wo nach unseren Befragungen 40 Prozent der Wähler gesagt haben: "Ich hab mich erst am Wahltag oder unmittelbar davor entschieden." Also, der Brunnen kommt etwa in der ersten Septemberwoche in Sicht. Das ist ein Trend, der nicht aufzuhalten ist. Die Entscheidung fällt immer später. Insofern: Vorsicht vor Vorhersagen! Der Takt ist angeschlagen, aber wie die Melodie dann im September klingt, ist völlig offen.

Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de