
Proteste gegen hohe Energiepreise Auftakt für einen "heißen Herbst"?
Links- und Rechtsaußen geben der Ampelkoalition die Schuld an den Preissteigerungen - und protestieren. Die Themen Nord Stream 2 und die Russland-Sanktionen werden wohl den "heißen Herbst" dominieren, zumindest im Osten.
An diesem Abend ist es die Straßenbahn auf den Schienen über dem Leipziger Augustusplatz, die beide Lager scharf trennt. Inhaltlich sind sie sich in einigen zentralen Punkten einig: Auf der einen Seite die Anhänger der Partei Die Linke, die bundesweit für den "heißen Herbst gegen soziale Kälte" zur Montagsdemonstration mobilisiert hat. Auf der anderen Seite das regionale, rechtsextreme Protestmilieu, das sich nach einem Aufruf der Organisation "Freie Sachsen" versammelt.
Dessen Stichwortgeber ist Jürgen Elsässer, Chefredakteur des "Compact-Magazins", dem wichtigsten Organ der außerparlamentarischen Protestbewegung von rechts: Seit Wochen führt er deren wesentliche Akteure zusammen, von den "Querdenkern" bis zu Parteigängern der AfD. Und schwört sie auf jenes Szenario ein, das er auch als Redner in Leipzig vorträgt: "Wenn die Regierung das Volk frieren lassen will für ihren verdammten Krieg gegen Russland, dann muss das Volk der Regierung einen heißen Herbst bereiten."
Rechtsextreme hoffen auf Aufstand
Der Masterplan für diesen "heißen Herbst" liegt bereits seit August vor. Er stammt von Götz Kubitschek, neurechter Publizist und einflussreicher Vordenker bei der außerparlamentarischen Rechten und in der AfD. In seinem Konzept über die Empörung im Herbst beschreibt er die Grundsätze des rechten Protests und der Wellen, denen dieser folgen solle: Nach der Bankenkrise, der Flüchtlingskrise und der Corona-Krise sei nun "die Zerstörung der Beziehungen Deutschlands zu Russland nicht die erste, sondern die vierte zersetzende Welle, mit der unser Land zurechtkommen muss".
Seine Bewegung hofft auf einen Aufstand, an dessen Ende die Regierung fällt, der Umsturz kommt und die bis dahin politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Forderung nach Öffnung von Nordstream 2
Bereits im Juli hatte die Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen öffentlich vor den möglichen innenpolitischen Folgen eines Gaslieferstopps gewarnt; für diesen Fall von drohenden "Volksaufständen" gesprochen.
Zwar hatte sie diese Äußerung anschließend als bewusste Zuspitzung bezeichnet, damit aber den Anschiebern des rechten Straßenprotests ein griffiges Narrativ geliefert: Wie schon während der Corona-Krise, als Fotomontagen von Politikern und Wissenschaftlern in Sträflingskleidung als "Schuldige" stilisiert auf Pappschildern über die Demonstrationen der "Querdenker" getragen wurden, prangen dort nun die führenden Gesichter der Bundesregierung: "A. Baerbock - schuldig", "C. Lindner" - schuldig", "R. Habeck - schuldig", "O. Scholz - schuldig."
Für Jürgen Elsässer sind sie allesamt "Volksverräter", weil sie die Gaspipeline Nordstream 2 nicht öffnen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Toten, die Zerstörung, das Leid, all das ist bei ihm gar kein Thema.

Nicht nur Teilnehmer der rechten Veranstaltung forderten die Öffnung von Nordstream 2.
Die zentrale Forderung "Nord Stream 2 öffnen" ist dagegen hüben wie drüben der Straßenbahnschienen sichtbar, auf gleichlautenden Plakaten und Transparenten. Zwar sind die Spitzenfunktionäre der Linken deutlich um Abgrenzung nach rechts bemüht. Aber die Erzählung von der Regierungsschuld an den Preissteigerungen ist links anschlussfähig, nicht nur in Leipzig. Jürgen Elsässer fordert eine Querfront aus Rechten und Linken, wie sie sich am vergangenen Wochenende bei einem Massenprotest in Prag gezeigt hat.
Wagenknecht als verbindendes Element?
Als verbindendes Element zwischen rechts und links erscheinen hierzulande die Positionen der früheren Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht: "Es gibt keinen vernünftigen Grund, Nordstream 2 nicht zu öffnen. Sollte darüber mehr Gas bei uns ankommen, nützt das den Menschen und der Industrie in Deutschland mehr als Putin", schrieb sie Mitte August auf Twitter. Für die Demonstration ihrer Partei in Leipzig wurde sie von den Organisatoren zunächst ein- und später wieder ausgeladen.
Anlass für die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Sahra Wagenknecht zu einer Demonstration zum gleichen Thema an diesem Abend nach Magdeburg einzuladen.
Sie folgte dieser Einladung nicht. Dafür gingen aber mehr als 2000 Menschen unter dem Motto "Preisexplosion stoppen" mit der AfD auf die Straße. Auch in einigen anderen Städten gab es kleinere Proteste.
Der Soziologe David Begrich vom Verein "Miteinander" aus Magdeburg twitterte am Morgen nach den Demonstrationen sein wohl zutreffendes Fazit: "Von der Mobilisierung in Ostdeutschland wird politisch profitieren, wer die Forderung nach Öffnung von Nordstream 2 und dem Ende der Sanktionen gegen Russland vertritt."
AfD setzt auf pro-russische Positionen - mit Erfolg
Dort hatte die AfD, die sich längst als parlamentarischer Arm des rechten Straßenprotests versteht, schon früh mit der Vereinnahmung von Sahra Wagenknecht und ihren pro-russischen Positionen Erfolg: Im Zuge der Annexion der ukrainischen Krim durch Russland im ostdeutschen Wahljahr 2014, und den daraufhin verhängten Sanktionen gegen Moskau: Der damalige Landeschef der Brandenburger AfD, Alexander Gauland, hatte die Anhänger der Linken in diesem Zusammenhang vor der Landtagswahl als potenzielle AfD-Wähler identifiziert.
Ihnen schrieb er im Wahlkampf einen offenen Brief: In den ersten Zeilen lobte er Sahra Wagenknecht und umgarnte die "liebe(n) Wähler der Partei Die Linke" mit dem Bekenntnis: "Trotz aller Meinungsverschiedenheiten verbindet uns manches (…) die Sanktionspolitik gegenüber Russland halte ich genauso falsch wie sie". Sein Plan ging auf. Die AfD sammelte bei ihrem ersten Einzug in den Potsdamer Landtag 20.000 Wähler der Linken ein. Seither steigen die Ergebnisse der AfD im Osten. Die der Linken sind drastisch abgefallen.
Profitiert die AfD erneut aus einer Krise?
Die Hinwendung der AfD nach Russland wurde Teil ihres politischen Kerns. Davon könnte jetzt wieder profitieren: Je stärker sich das anfängliche, allgemeine Entsetzen über den russischen Angriff auf die Ukraine mit der Dauer des Krieges in Deutschland abmildert, bei gleichzeitiger Betroffenheit der Menschen unter dem Eindruck des Preisschocks.
Darauf setzt das Konzept der Empörung im Herbst von Götz Kubitschek. Dort heißt es: "Die Aufgabe der AfD ist der friedliche, aber vehemente Kampf um Mehrheiten, und nun kann und wird sie darüber Gehör finden. Der Augenblick ist da, das Zeitfenster öffnet sich."
In dieser Woche nun wollen die beiden AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla ihre Kampagne in Berlin vorstellen: "Unser Land zuerst!" heißt sie, und erinnert zumindest im Slogan an die Kampagne im Nachbarland: "Tschechische Republik zuerst", hinter der sich ganz Rechte und ganz Linke versammeln.