Interview

Interview mit dem Grünen-Politiker Sven Giegold "Die anderen kommen zu gut weg"

Stand: 25.01.2009 14:19 Uhr

Sein Name sorgte auf dem Grünen-Parteitag für großes Interesse: Sven Giegold, Attac-Mitbegründer, kandidiert für das EU-Parlament. Gegenüber tagesschau.de erklärt er, wie er das wirtschaftspolitische Profil der Grünen stärken will und warum er die Erfolge der FDP "höchst ärgerlich" findet.

Sein Name sorgte auf dem Grünen-Parteitag in Dortmund für großes Interesse: Sven Giegold, Attac-Mitbegründer, kandidiert für das Europaparlament. Im tagesschau.de-Interview sagt Giegold, wie er das wirtschaftspolitische Profil der Grünen stärken will und warum er die Erfolge der FDP "höchst ärgerlich" findet.

tagesschau.de: Auf Ihnen ruht die Hoffnung vieler Grünen, finanz- und wirtschaftspolitisch wieder mehr Profil zu gewinnen. Fühlen Sie sich in dieser Rolle wohl?

Sven Giegold: Ja. Ich bin Wirtschaftswissenschaftler und habe das ja auch viele Jahre öffentlich vertreten. Fachlich fühle ich mich auf den Job also sehr gut vorbereitet. Was mich jetzt erstmal beschäftigt, sind die Regularien des Europäischen Parlaments. Es ist schon ein Perspektivenwechsel, ob man ein Parlament begleitet oder selber darin sitzt.   

tagesschau.de: Teilen Sie den Eindruck, dass die Grünen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht als Wirtschaftspartei wahrgenommen werden?

Giegold: Das ist richtig. Das alte Denken, dass Ökonomie und Ökologie nicht zusammenpassen, ist einfach immer noch in den Köpfen. Und das, obwohl wir mittlerweile 1,8 Millionen Jobs im Umweltbereich haben, die wir gegen so viele Widerstände durchgesetzt haben. Aber es gibt berechtigte Hoffnung, dass sich daran jetzt etwas ändert: In Hessen haben sich während des Wahlkampfs unsere Kompetenzwerte im Wirtschaftsbereich enorm verbessert. Das müssen wir jetzt auch für die anderen Wahlen in Blick nehmen.

Sven Giegold (Archivfoto)
Zur Person

Sven Giegold war früher einer der schärfsten Kritiker der Grünen. Im Jahr 2000 gehörte er zu den Mitbegründern der globalisierungskritischen Bewegung Attac. Den Grünen warf er während ihrer Regierungsjahre mit der SPD häufig einen neoliberalen Kurs vor.

Im Herbst 2008 trat Giegold den Grünen bei. Seine Schwerpunktthemen sind u.a. die EU sowie Steuern und Finanzen. Für die Partei hat er am neuen Gesellschaftskonzept "Green New Deal" mitgearbeitet. Es soll Ökologie und Ökonomie miteinander verbinden und dadurch helfen, die Wirtschafts-, Klima- und Hungerkrise zu überwinden.

Seit 2004 ist er im Beraterkreis von Campact. Giegold wurde 2007 zudem für sechs Jahre in die Präsidialversammlung des Evangelischen Kirchentags gewählt.

tagesschau.de: Wieso profitiert aus Ihrer Sicht momentan eine Partei wie die FDP von der aktuellen Wirtschaftskrise?

Giegold: Wenn ich das wüsste. Es ist auf jeden Fall höchst ärgerlich. Ausgerechnet in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise wird eine Mehrheit für Schwarz-Gelb prognostiziert. Also genau für die Parteien, die jahrelang nichts anderes gepredigt haben als Deregulierung. Und diese Krise ist wahrlich nicht durch zu wenig Deregulierung entstanden, sondern durch fehlende Regulierung der internationalen Märkte. Jetzt heißt für Union und FDP das Schlagwort plötzlich "soziale Marktwirtschaft" – in ihrem Handeln kann ich davon aber nichts erkennen. Die kommen momentan viel zu gut weg.

tagesschau.de: Die Antwort der Grünen heißt "Grüner New Deal". Was verbirgt sich hinter diesem Schlagwort?

Giegold: Der "Grüne New Deal" umfasst drei große Säulen. Die Finanz- und Handelsmärkte müssen gerecht und umfassend reguliert werden, sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene. Als zweites muss man gerade in der Krise massiv investieren. Aber im Gegensatz zur Großen Koalition nicht mit der Gießkanne, sondern in zukunftsträchtige Bereiche, wie Klimaschutz, Bildung oder Gesundheit. Damit das aber auch international tatsächlich geschehen kann, muss  zusätzlich die internationale Entwicklungszusammenarbeit gestärkt werden.

tagesschau.de: Ist das auch eine Abkehr von der grünen Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre? Schließlich haben sich prominente Grüne wie Fritz Kuhn auch eher für Deregulierung ausgesprochen.

Giegold: Es ist eine Veränderung. Wir sind auch nach wie vor für Wettbewerb mit starken sozial-ökologischen Regeln. Aber ganz klar ist, dass die Grünen jetzt auch ein Stück "ökologischen Keynesianismus" gelernt haben. Das heißt, in der Krise auch Geld antizyklisch zu investieren. Das haben wir früher so nicht gefordert. Zusätzlich brauchen wir verbindliche Regeln, dass die Schulden im Aufschwung auch wieder zurückgezahlt werden.

tagesschau.de: Sie haben in der Vergangenheit die damalige rot-grüne Regierungskoalition scharf angegriffen. Jetzt wollen Sie plötzlich für die Grünen ins Europaparlament...

Giegold: ...überhaupt nicht plötzlich. Ich habe auch schon als Parteiloser bei einigen Beschlüssen der Partei mitgewirkt, etwa bei Sozialbeschlüssen. Jetzt habe ich die neue Wirtschaftspolitik maßgeblich mitgestaltet. In allen anderen Bereichen, die ich damals bei den Grünen kritisiert habe, hat die Partei jetzt inhaltliche Korrekturen vorgenommen. Das hat die Partei für mich glaubwürdig gemacht.

tagesschau.de: Sie wollen von der damaligen Kritik also nichts zurücknehmen?

Giegold: Ich habe da nichts zurückzunehmen. Wichtig ist mir aber: Alle Positionen, die ich damals bei den Grünen kritisiert habe, waren auch innerhalb der Partei umstritten. Damals hatte ich als Sprecher einer Nicht-Regierungsorganistaion wie Attac natürlich auch die Aufgabe, die Arbeit der rot-grünen Bundesregierung kritisch zu begleiten.

tagesschau.de: Ist Ihre Nominierung für die Europawahl also auch ein geschickter Schachzug der grünen Bundesspitze, Gruppierungen wie Attac für die Grünen zu gewinnen?

Giegold: Dahinter steckt die legitime Absicht, die grünen Beschlüsse in der Sozial- und Wirtschaftspolitik auch sichtbar zu machen. Damit demonstrieren wir Grünen auch Offenheit für Erneuerung. Umgekehrt glaube ich nicht, dass sich Attac oder die globalisierungskritische Bewegung an die Grünen bindet. Wir waren immer eine überparteiliche Bewegung. 

Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de