Farbig gestaltete Plattenbauten in Berlin | dpa

Wohngeldreform Gut gedacht, aber schlecht gemacht?

Stand: 07.02.2023 11:55 Uhr

Mehr Berechtigte und mehr Geld: Seit Januar greift die Wohngeldreform. Doch viele Menschen müssen sich gedulden, weil sich die Anträge in den Kommunen stauen. Hätte das verhindert werden können?

Von Jannis Holl, Matthias Pöls und Tobias Sylvan, MDR

Die meisten Gespräche drehten sich um das Wohngeld, erklärt Heike Eisenhauer. Die 55-Jährige bietet in der Begegnungsstätte im Jenaer Stadtteil Löbstedt Beratungen für Seniorinnen und Senioren an. Hier wird viel über das Thema gesprochen. Eisenhauer sorgt sich aber vor allem um die Menschen, die erst gar nicht einen Antrag stellen, obwohl das Geld immer knapper wird.

Viele wüssten gar nicht, dass sie wohngeldberechtigt sind, sagt die Projektleiterin im Begegnungszentrum. Das sei die größte Hürde. Die Seniorinnen und Senioren dächten, dass ihre 900 Euro Rente ausreichen müssten. "Gerade viele ältere Menschen wollen auch niemandem auf der Tasche liegen. Die beantragen also gar keine Sozialleistungen", sagt Eisenhauer.

Dabei hat sich mit der Anfang dieses Jahres in Kraft getretenen Wohngeldreform die Zahl der berechtigten Haushalte mehr als verdreifacht, kalkuliert die Bundesregierung. Mit dem neuen "Wohngeld Plus" könnten allein in Thüringen 50.000 neue Haushalte dazukommen. Zudem hat sich der Betrag mehr als verdoppelt: von durchschnittlich 177 Euro auf 370 Euro pro Monat. Erstmals werden dabei auch Kosten für Heizung und Warmwasser berücksichtigt.

Mitarbeiter händeringend gesucht

Obwohl offenbar viele Menschen noch nicht von ihren Ansprüchen wissen, mangelt es in Zeiten gestiegener Energiekosten und hoher Inflation in Thüringen nicht an Interessierten. Ähnlich ist es in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Doch oft heißt es für die Antragsstellenden erst einmal warten. Die Neuregelung strapaziert die Wohngeldstellen enorm.

"Es werden immer mehr", sagt Sachbearbeiterin Bianca Bernhard von der Wohngeldstelle in Dresden. Es gebe viele neue Anträge und auch Menschen, die seit zehn Jahren keinen mehr gestellt hätten, seien nun wieder da. Es ist eine große Herausforderung für die Stadtverwaltung der sächsischen Landeshauptstadt.

"Wir brauchen aufgrund der Wohngeldreform erheblich mehr neue Stellen", sagt der Pressesprecher der Stadt Dresden, Kai Schulz, gegenüber MDR exakt. Es würden händeringend neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht, um lange Wartezeiten zu vermeiden. Zehn Leute seien bereits neu eingestellt, für 27 weitere Stellen würden die Verträge vorbereitet. "Wir gehen aber davon aus, dass wir im Laufe des Jahres bis zu 90 Stellen brauchen."

Auch in anderen Städten in Mitteldeutschland braucht es Zeit, um neue Stellen zu besetzen: In Leipzig wurden 30 neue Sachbearbeiterinnen gesucht, 26 Stellen sind nach Aussagen der Stadt bereits besetzt. Doch helfen können die neuen Mitarbeiter erst im Februar und März. In Magdeburg wurden 34 Stellen ausgeschrieben, 15 davon sind noch unbesetzt. In Erfurt sind 15 neue Stellen geplant.

In Jena sind nur vier neue Stellen angedacht. Ob die Kalkulation aufgeht, muss sich zeigen. Schon in den ersten Wochen im Januar 2023 verdoppelten sich die Antragszahlen im Vergleich zum Vorjahr.

Verschleppte Digitalisierung als Teil des Problems?

Dass die Ämter so viel Kraft in kurzer Zeit investieren müssen, hat auch etwas mit der Umsetzung der Wohngeldnovelle zu tun, sagt Ralph Henger vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). "Wir haben im September den Gesetzentwurf vorliegen gehabt, der ist dann ganz schnell beschlossen worden."

In dieser kurzen Zeit hätten die Länder ihre Einwände und Sorgen kaum zum Ausdruck bringen können, meint der Ökonom für Wohnungspolitik und Immobilienökonomik. "Da geht es vor allem darum, dass man Ideen einbringt, wie man die Beantragung verschlanken kann, damit man die erwartete Antragsflut schnell bearbeiten kann", sagt Henger. Außerdem kritisiert er: "Wenn wir es geschafft hätten, das Wohngeld in den letzten Jahren zu digitalisieren, wären wir in einer ganz anderen Situation und hätten jetzt auch viel schneller so eine Reform umsetzen können."

Die Schulden wachsen

Denn es kann schnell persönlich schwierig werden, wenn jemand lange auf den Wohngeldbescheid warten muss. Was das bedeutet, weiß Mohammed Safi. Der fünffache Familienvater verdient mit seinem Vollzeitjob als Pflegehilfskraft gerade genug, um nicht mehr über das Jobcenter aufstocken zu müssen. Doch sein Gehalt und das Kindergeld reichen nicht aus, um die Familie in diesen Zeiten über Wasser zu halten.

"Mein Einkommen liegt bei 1600 Euro und ich muss 1350 Euro Miete bezahlen", berichtet Safi. Das Gehalt reiche nicht einmal für Miete und die Kita der Kinder. Hinzu kommt: Solange der Wohngeldantrag des 34-Jährigen nicht bewilligt wird, bekommt er auch das daran gekoppelte Bildungs- und Teilhabepaket nicht, das viele Kosten für die Kinder abdecken würde.

Das neue Wohngeldgesetz erlaubt in dringenden Fällen eine Vorschusszahlung. Die Idee dahinter ist, schnell zu helfen, auch wenn die Antragsbewilligung dauert. Doch das sei doppelter Arbeitsaufwand für die sowieso schon überlastete Wohngeldstelle und grundsätzlich nicht leistbar, schreibt das Sozialamt Leipzig auf Nachfrage. Für Mohammed Safi bedeutet das, dass er immer mehr Schulden aufnehmen muss. "Ohne kann ich nicht leben", sagt er.

"Es reicht hinten und vorne nicht"

"Du kriegst schon einen Schreck, wenn du aufs Konto guckst", berichtet Peter Schulz, der in Jena die Beratungsstelle von Heike Eisenhauer aufsucht. "Es reicht hinten und vorne nicht. Aber die Miete musst du bezahlen." Nach dem Tod der Mutter wurde das Geld für die bis dahin gemeinsame Wohnung knapp. Bei einer Warmmiete von 500 Euro ist bei ihm schon über die Hälfte der Erwerbsunfähigkeitsrente aufgebraucht. Der 55-Jährige habe dann weniger eingekauft und beim Essen gespart.

"Ich glaube, Herr Schulz profitiert schon jetzt von diesen neuen Regelungen", sagt Eisenhauer. "Weil er nun einen wesentlich höheren Anspruch als im vergangenen Jahr hat." Zwei Monate musste er warten, bis der Wohngeldbescheid schließlich im Briefkasten lag. "Es ist endlich mal durch", sagt Schulz über den erleichternden Moment. "Das beruhigt schon sehr."

Über dieses Thema berichtete der NDR in der Sendung Hamburg Journal am 12. Januar 2023 um 19:30 Uhr.