
Arbeit im Flutgebiet Wenn Helfer Hilfe brauchen
Ein halbes Jahr nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz kämpfen noch viele Helferinnen und Helfer mit dem Erlebten. Doch zu oft bleiben sie damit allein. Therapieplätze sind rar.
Es ist Mittagszeit, Männer in Arbeitskleidung sitzen im Helferzelt in kleinen Gruppen zusammen, löffeln heiße Erbsensuppe. Jürgen Sievertz ist zu Besuch bei den Helfern in Mayschoß - bis vor Kurzem war er selbst einer von ihnen. Er sitzt etwas abseits, wirkt in sich gekehrt, müde. Er war von Anfang an dabei - manchmal sieben Tage die Woche, oft bis zu zwölf Stunden am Tag.
"Ich habe Hilfsgüter und Baumaterial verwaltet und ausgegeben. Und mit den Leuten geredet, viele kennt man ja, die haben alles verloren." Das war körperlich belastend, aber vor allem auch psychisch. "Mit der Zeit wurde es auch immer mehr und irgendwann so Mitte Dezember habe ich dann realisiert: Ich komme mit der Situation nicht mehr alleine klar, ich bin total überlastet, ich bin abends nur noch weinend ins Bett gegangen."
Eine psychosoziale Betreuerin aus dem Helferzelt spricht ihn damals an, bietet Hilfe an. Er lehnt zunächst ab, überlegt es sich dann doch anders. Nach einem Beratungstermin im Traumahilfezentrum für Menschen im Ahrtal ist klar: Er braucht dringend professionelle Hilfe. Sieverts zieht die Reißleine, hört auf als Helfer zu arbeiten, begibt sich in Therapie.
Erste Hilfe im Traumahilfezentrum
Etwa 15 Kilometer vom Helferzelt in Mayschoß entfernt liegt in Lantershofen das "Traumahilfezentrum fürs Ahrtal", das erst Anfang Dezember eröffnet wurde. Die Einrichtung ist ein Gemeinschaftsprojekt der Dr. Ehrenwall'schen Klinik Ahrweiler und der DRK-Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Bad Neuenahr, die beide durch die Flut schwer beschädigt wurden.
Waren es in den ersten Monaten vor allem Betroffene, die sich bei der Trauma-Hotline oder den mobilen psychologischen Beratungsstellen meldeten, sind es jetzt vermehrt Helfer. Katharina Scharping leitet das Zentrum, ihr Team besteht aus Soziotherapeuten, Psychologinnen und Ärzten, vier Vollzeitstellen, die mit neun Teilzeitkräften besetzt sind. Sie alle möchten mit niederschwelligen Angeboten auf Hilfesuchende zugehen. Das kommt an: Seit dem Tag, als die Telefone des Zentrums freigeschaltet wurden, wird es mit Anfragen förmlich überrannt.
"Viele haben das Gefühl, ich bin selber nicht betroffen und habe so eine Art Überlebensschuld und muss das wieder gut machen", sagt sie. "Und die arbeiten ohne Ende. Es scheint so, als ob man das ungefähr ein halbes Jahr kann, weil jetzt brechen die Helfer zusammen, die brennen schlicht aus", erzählt Scharping.
Riesige Zahl von Hilfsbedürftigen
Wie viele Menschen die Flutkatastrophe traumatisierte, ist unklar. Laut Studien tragen bei Naturkatastrophen etwa zehn Prozent der Betroffenen eine posttraumatische Belastungsstörung davon. Bei mehr als 40.000 direkt Betroffenen im Ahrtal würde das 4000 schwer Traumatisierte bedeuten.

Ärztin Katharina Scharping rechnet mit Tausenden Traumatisierten nach der Flut.
Scharping geht allerdings von weitaus höheren Zahlen aus: "Neben den Bewohnern haben auch Helfende seelische Verletzungen davongetragen, ob das nun Einsatzkräfte von Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk waren oder Freiwillige, die in den Tagen, Wochen und Monaten danach ins Tal geströmt sind. Insgesamt könnten 150.000 betroffen sein - wir hatten ja alleine 100.000 Helfer - dann wären mindestens 15.000 Menschen schwer traumatisiert."
Scharping nennt ein Beispiel: "Mitarbeiter einer Rettungsleitstelle, wo in der Flutnacht unzählige telefonische Hilferufe aufschlugen, die aber nicht helfen konnten, ein Gefühl der Ohnmacht hatten. Davon erholt man sich nicht einfach so."
Therapeutenmangel und die Folgen
Niederschwellige Angebote, das sind hier in Lantershofen auch Gruppenveranstaltungen über Traumafolgen, geplant ist beispielsweise eine Gruppe für traumatisierte Handwerker. Nicht jeder Betroffene braucht auch eine Therapie, oft hilft schon der Austausch mit anderen. Dennoch: Große Sorgen bereite Scharping der Mangel an Therapieplätzen bei Psychotherapeuten.
"Wir können zwar Beratungstermine anbieten, aber dann geht es oft nicht weiter", sagt Scharping. "Im Grunde vermitteln wir die Leute aus der Beratung auf Wartelisten." Und die waren schon vor Corona lang, sechs Monate Wartezeit für einen Psychotherapieplatz, zwei bis drei für einen bei einem Psychiater.
Mehr ambulante Behandlungsplätze gefordert
"Wir bräuchten neben den stationären Therapieplätzen auch viel mehr ambulante Behandlungsplätze. Dann würden die Leute jetzt behandelt, andernfalls würden sie stationär behandlungsbedürftig. Über kurz oder lang werden sie wahrscheinlich weitere psychiatrische Erkrankungen daraus entwickeln, Depressionen, Angststörungen, die werden vielleicht auch körperlich krank."
Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung seien zwar kooperativ, dennoch reichten die Bemühungen bei Weitem nicht aus, um den enormen Bedarf zu decken. Was so eine Katastrophe und die psychischen Folgen für die Gesellschaft bedeuten?
"Das werden wir in ein paar Jahren sehen. Entscheidend für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung oder das wieder Gesundwerden ist auch das Gefühl, man ist nicht allein gelassen. Es macht ganz viel aus, wenn man erlebt, da helfen einem auch andere."
Zurück ins Leben
Schritt für Schritt zurück ins alte Leben: Ein Gefühl, das auch Siebertz kennt: "Auch wenn man darüber lacht - dass ich so was brauche, hätte ich nicht gedacht. Aber es hat mir gut getan, ich hab es nicht bereut, und es geht jetzt der nächste Schritt. Jetzt kommt die Langzeitherapie, sechs Wochen Reha."
Vor ihm liegt noch ein langer Weg - den viele schwer Traumatisierte ebenfalls gehen werden. "Vielleicht kann ich denen jetzt dadurch helfen, dass ich darüber rede."