
Rechtsextreme Beamte Ein neuer "Radikalenerlass"?
Wie umgehen mit rechtsextremen Beamten? Einige Bundesländer wollen alle Anwärter auf ihre Verfassungstreue hin überprüfen. Die Pläne erinnern an den "Radikalenerlass" von vor 50 Jahren.
Brandenburgs Innenminister sieht sich als Verteidiger der Demokratie. "Wir wollen verhindern, dass in der jetzigen gesellschaftlichen Situation Leute mit einer extremistischen Gesinnung als Beamte in den öffentlichen Dienst einsickern können", so Michael Stübgen gegenüber Panorama.
Ginge es nach dem CDU-Mann, gäbe es zwischen Oder und Havel längst einen sogenannten Verfassungstreue-Check: Noch bevor jemand ins Beamtenverhältnis berufen wird, sollen die Dienststellen der Behörden beim Verfassungsschutz nachfragen, ob etwas gegen den Bewerber vorliegt.
In einigen Bundesländern wie Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es bereits Regelanfragen bei der Anstellung von Polizisten. Brandenburg könnte aber nun das erste Bundesland sein, in dem die Regelanfrage bei allen Beamtenanwärtern durchgeführt wird. Explizit sollen auch angehende Lehrerinnen und Lehrer überprüft werden.
Vorbild "Radikalenerlass"?
Eine obligatorische Regelanfrage für Beamte gab es bereits einmal in der alten Bundesrepublik: Vor 50 Jahren mit dem "Radikalenerlass", in dessen Verlauf bis zu 3,5 Millionen Westdeutsche auf ihre politische Gesinnung durchleuchtet wurden. Das hatte 11.000 Verfahren zur Folge. 1250 Bewerber wurden abgelehnt, 265 aus dem öffentlichen Dienst entlassen.
Betroffen waren Hochschulbeschäftigte, Sozialarbeiterinnen, Postboten, Lokführer und Lehrerinnen. Fast ausschließlich traf es Linke, allen voran Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Vermeintlich verfassungsfeindliche Lehrerinnen und Lehrer wurden aus dem Dienst entfernt oder gar nicht erst zugelassen - noch bevor sie überhaupt etwas "Verfassungswidriges" im Unterricht hätten tun können. Eine Unschuldsvermutung, wie sie etwa in Strafverfahren Usus ist, gab es hier nicht. Vielmehr war schon die Prognose, jemand könnte in Zukunft verfassungswidrig handeln, für die Ablehnung ausschlaggebend.
EGMR: Verstoß gegen Meinungs- und Vereinigungsfreiheit
Bereits Ende der 1970er-Jahre haben SPD-geführte Bundesländer allmählich die Praxis der Regelanfrage auslaufen lassen. Hamburgs damaliger Erster Bürgermeister Hans-Ulrich Klose bekannte sich: "Lieber stelle ich 20 Kommunisten ein, als dass ich 200.000 junge Menschen verunsichere." Willy Brandt, der einst als Kanzler den "Radikalenerlass" federführend eingeführt hatte, bereute später die Regelanfrage: Er habe nicht geahnt, welcher Unfug damit betrieben werden würde.
1995 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Eine linke Lehrerin war aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden - ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
50 Jahre nach dem "Radikalenerlass" beginnt langsam die Aufarbeitung. Als erstes Bundesland hatte Niedersachsen 2018 eine Landesbeauftragte eingesetzt. Der Landtag stellte offiziell fest, "dass politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen".
Alternative: Disziplinarverfahren
Es gäbe durchaus andere Möglichkeiten, etwa gegen Rechtsradikale im Unterricht vorzugehen, betont Christoph Gusy. Der Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld verweist auf das Disziplinarverfahren. Das hätte einen entscheidenden Vorteil: In einem Disziplinarverfahren könnte man auf Grundlage valider Informationen schauen, ob jemand seine Pflichten verletzt habe.
"Was bei der Regelanfrage immer nur eine sehr offene Prognose - man kann auch sagen Spekulation - bleibt, würde hier also mit offenen und klar erkennbaren Informationen festgestellt werden können", so Gusy. Allerdings würden in Deutschland viele Disziplinarverfahren versanden. Bei der Leugnung des Holocausts etwa wäre ein erfolgreiches Disziplinarverfahren aber kein Problem.
Rechtswissenschaftler: Verhältnismäßigkeit wahren
Deutlich komplizierter wäre es, wenn etwa ein Geschichtslehrer nur am Rande die Nazi-Zeit thematisieren und dafür breit die Schuld an den beiden Weltkriegen diskutieren würde. Gusy verweist auf die Verhältnismäßigkeit, denn durch einen einzelnen rechtsradikalen Lehrer sei noch nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet. "Vielmehr erfahren die Schüler derart viel Unterschiedliches im Unterricht, dass man hier sagen muss, dass dies ein Mosaikstein in einem ganz bunten Gemälde ist, mit dem die Schülerinnen und Schüler sowieso umgehen müssen." Einen neuen "Radikalenerlass" für Lehrerinnen und Lehrer sähe Gusy daher kritisch.
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen sieht in seinem Vorschlag keine Neuauflage des "Radikalenerlasses" der 1970er-Jahre. Damals habe es sich um Erlasse der Ministerien gehandelt, nicht um Gesetze. "Den Verfassungstreue-Check wird es nur geben, wenn der Landtag ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Und wir beachten selbstverständlich alle datenschutzrechtlichen und Freiheitsrechte, die jeder Bürger in diesem Land hat."
An einer Regelanfrage für Beamtenanwärter - auch damals das Kernstück des "Radikalenerlasses" - will Stübgen aber auf jeden Fall festhalten.