Soldaten in Tarnanzügen

Bundeswehr Vom Ungedienten zum Uniformträger

Stand: 05.06.2022 08:43 Uhr

Die Bundeswehr bildet auch ungediente Männer und Frauen für den Dienst an der Waffe aus. Im richtigen Leben sind sie Lehrer, Handwerker oder Rechtsanwälte. Warum machen sie das?

Von Jürgen Rinner, SR

Es ist stockdunkel am Waldrand nahe der saarländischen Kreisstadt Merzig. Ein paar Grillen zirpen noch, und Geflüster ist zu hören. 13 Rekruten und Rekrutinnen warten auf den Feind. Sie liegen in selbst ausgehobenen Gruben, das Gewehr im Anschlag. Plötzlich gleißendes Licht, die Angreifer lösen durch Stolperdrähte Leuchtfeuer aus. Gewehrfeuer aus allen Stellungen. Nur das Maschinengewehr hat Ladehemmung. Offenbar liegt das an der Übungsmunition.

"Soldaten der Reserve"

Zwei Stunden zuvor. Die Rekruten und Rekrutinnen bereiten sich im Biwak vor. Jeder hat ein Zelt ohne Boden, ringsum Gräben, damit kein Wasser hereinläuft. Ein Lagerfeuer brennt. Zehn Männer und drei Frauen nutzen das Angebot der Bundeswehr und machen als Ungediente die Grundausbildung in vier Ausbildungsmodulen an verlängerten Wochenenden. Nach absolvierter Ausbildung sind sie dann "Soldaten der Reserve".

Brigitte L

Im echten Leben ist sie Rechtsanwältin. Nun holt sie bei der Bundeswehr die Grundausbildung nach.

Sie sind zwischen 20 und 54 Jahre alt. Handwerker, Ingenieure, Angestellte, ein Geschäftsführer, ein Lehrer für Englisch, Spanisch und Musik an einer Gemeinschaftsschule. Eine Rechtsanwältin ist auch dabei, Mutter zweier kleiner Kinder.

Sie wollten einfach etwas für ihr Land tun: Katastrophenschutz, Corona-Hilfe und eben bereit sein für den Verteidigungsfall, erzählt die Rechtsanwältin. Sie habe einen Bezug zur Bundeswehr durch ihre Mutter, die Truppenärztin war.

Entscheidung vor dem russischen Angriffskrieg

Das Programm für Ungediente wurde 2019 bundesweit aufgelegt. 13 von 16 Bundesländern bieten es an. 572 Männer und Frauen haben es laut Verteidigungsministerium abgeschlossen, 422 sind noch dabei. "Es ist ein großer Erfolg, weil sich die Kameraden intensiv mit der Frage beschäftigt haben und sehr motiviert sind", sagt Oberstleutnant Stephan-Thomas Klose von der Streitkräftebasis.

Ihre Entscheidung sei lange vor dem russischen Überfall gefallen, sagt die Rechtsanwältin. Bei Kriegsbeginn war sie gerade in einem Ausbildungsmodul. "Die Kinder waren sehr verängstigt", erzählt sie. Aber sie hätte dann zu Hause anrufen können und sie beruhigt. "Und seitdem finden sie es einfach nur gut."

Sein Bruder und seine Mutter hätten ihn ohnehin für verrückt erklärt, erzählt der Lehrer rückblickend. "Aber man muss die Welt eben nehmen, wie sie ist", sagt er mit Blick auf den Krieg. "Das einzig Beständige ist die Lageänderung." Er setzt auf Pragmatismus - und hofft, dass der Krieg nicht näher kommt.

"Nicht einfach"

Der Leiter der Ausbildung ist im zivilen Leben Geschäftsführer eines Planungsbüros. Ein mittelgroßer, drahtiger und unaufgeregt Mann. Er sei selbst Reservist, habe sich aber nicht lange bitten lassen, die ungleiche Truppe auszubilden. "Nicht einfach", sagt er. Aber die Männer und Frauen seien hochmotiviert.

Und Matthias Reibold ist dabei, Kommandeur des Landeskommandos Saarland. Ein stämmiger Oberst, Anfang 60 mit viel Auslandserfahrung. Er muss die Ausbildung am Ende prüfen. Es sei aber auch Ehrensache, bei den Rekruten zu sein. Er wolle, dass "diejenigen, die im Ernstfall kämpfen wollen, das dann auch können". Bei der Ausbildung werde kein Auge zugedrückt. "Volles Programm, es gibt keinen Unterschied zur normalen militärischen Ausbildung."

Matthias Reibold

Oberst Matthias Reibold beaufsichtigt die Ausbildung.

"Jawohl"

Noch einmal wird geübt, wie man bei Alarm auf den Gefechtsposten geht. Die Mutter und Rechtsanwältin geht quer zur Angriffslinie, nicht gerade, wie eigentlich vorgeschrieben. Die Zurechtweisung folgt prompt. Denn: Wer quer zur Verteidigungslinie geht, wird viel leichter gesehen. Die Frau nickt. "Jawohl." Und weiter geht's. Der Lehrer sieht das ähnlich. Man fange eben unten an. 

"Melde mich, wie befohlen, Herr Oberst." Mit diesen Worten nehmen die Rekruten und Rekrutinnen zum Abschluss der Ausbildung ihre Bundeswehr-Litze entgegen. Das ist ein schmales Stoffband in grün, das an die Schulterklappe geheftet wird. Eine kleine feierliche Zeremonie auf dem Übungsplatz bei Merzig mit Bier und Grillen über dem offenen Feuer. Alle sind erleichtert und Stolz. Niemand bereut es, die Ausbildung gemacht zu haben, einige wollen sogar weitere Ausbildungsmodule absolvieren. Sie werde das, was die Bundeswehr anbiete, auch annehmen, meint die Rechtsanwältin. Die Familie stehe dahinter. "Das muss sich aber auch mit Beruf und Familie vereinbaren lassen", wirft der Lehrer ein.

Hilfe bei Naturkatastrophen, zivil-militärische Zusammenarbeit mit Behörden wie bei der Corona-Bekämpfung, das wird wahrscheinlich zu den Aufgaben gehören. Schutz kritischer Infrastruktur im Krisenfall? Möglicherweise. Mit der Waffe das Land verteidigen? Hoffentlich nicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR am 22. Oktober 2018 um 17:30 Uhr.