Mitarbeiterinnen der Spurensicherung der Polizei untersuchen eine Bankfiliale, in der am frühen Morgen ein Geldautomat gesprengt wurde.

Sprengungen nehmen zu Täglich fliegt ein Geldautomat in die Luft

Stand: 13.01.2023 09:14 Uhr

Statistisch gesehen wird in Deutschland täglich mindestens ein Geldautomat gesprengt. Das BKA rechnet für 2022 mit einem neuen Höchststand. Was steckt dahinter - und wie reagieren die Banken?

Ein paar Beispiele aus den vergangenen Tagen: Im Kreis Kusel in Rheinland-Pfalz sprengten Kriminelle einen Geldautomaten, ebenso in Aschaffenburg in Bayern. Am Wochenende passierte das im Heidekreis in Niedersachsen zwei Mal innerhalb von 24 Stunden. Ende vergangener Woche explodieren Geldautomaten etwa in Rottenburg, Dortmund und Wetzlar.  

Die Sprengungen häufen sich seit einigen Monaten. Ein genaues Lagebild für 2022 gibt es noch nicht. Es sei aber jetzt schon ersichtlich, dass vergangenes Jahr so viele Geldautomaten gesprengt wurden wie noch nie, teilte das Bundeskriminalamt mit: "Teilweise haben sich bis zu fünf Geldautomatensprengungen in einer Nacht im gesamten Bundesgebiet ereignet."

Bislang war 2020 ein Rekordjahr, mit insgesamt 414 gesprengten Automaten. Im Jahr 2021 ging die Zahl der Angriffe leicht zurück, nun steigt sie auf einen neuen Höchststand. Woran liegt das?   

Klebstoff und Farbe

"Es findet eine Verlagerung nach Deutschland statt", erklärt Bastian Kipping, Kriminaloberkommissar beim Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz. Sehr viele Tatverdächtige kämen aus den Niederlanden und auch aus Frankreich. Beide Länder hätten in den vergangenen Jahren ihre Geldautomaten mit "Klebetechnik und Einfärbesystemen" umgerüstet. Heißt: Das erbeutete Bargeld wird entweder durch Klebstoff oder Farbe unbrauchbar gemacht.

Diese Maßnahmen seien in Deutschland noch nicht im gleichen Maße verbreitet. "Das nutzen die Täter gnadenlos aus", sagt Kipping.   

Ein Schwerpunkt für die Täter aus den Nachbarländern liegt daher - aufgrund der Grenznähe - im Westen Deutschlands. Allein in Nordrhein-Westfalen gab nach Angaben des dortigen Landeskriminalamts im vergangenen Jahr mehr als 180 Angriffe gegen Geldautomaten mit Sprengstoff, rund 30 mehr als im Vorjahr. In Rheinland-Pfalz hat sich die Zahl der Geldautomatensprengungen sogar mehr als verdoppelt: 56 waren es 2022, im Jahr davor noch 23.  

Die Liebe der Deutschen zum Bargeld

Ein wichtiger Faktor dabei ist die in Deutschland zirkulierende Menge an Bargeld. "Die Deutschen lieben ihr Bargeld", sagt Kipping. "In den Niederlanden wird viel häufiger mit Karte gezahlt." Wobei es natürlich auch hierbei Schwachstellen gibt, die Kriminelle ausnutzen.

Doch Deutschland wird durch das Bargeld zum lohnenden Ziel für die Verbrecher. Das liegt allein daran, dass die Zahl der Geldautomaten im Bundesgebiet mit mehr als 55.000 Stück insgesamt sehr hoch ist. In den Niederlanden liegt sie dagegen nach Angaben der Deutschen Kreditwirtschaft im "niedrigen vierstelligen Bereich". Nicht zuletzt sind die deutschen Automaten in der Regel auch noch mit mehr Bargeld befüllt als in Nachbarländern.   

Die Angriffe selbst werden immer gefährlicher. So setzen die Täter laut BKA neben explosiven Gasgemischen meist sogenannte Festsprengstoffe ein, darunter auch selbstgebastelte Sprengsätze. "Bei diesen Festsprengstoffen lässt sich die Sprengwirkung noch schlechter einschätzen als bei Gasen", sagt Kriminaloberkommissar Kipping. Die entstehende Wucht kann verheerend sein. "Dass die Gefahr zunimmt, zeigt sich auch an den Gebäudesachschäden. Die werden immer größer", berichtet Kipping.   

Banken bauen Automaten ab

Das Vorgehen der Täter ist für die Banken ein Wettlauf gegen die Zeit. "Vor drei, vier Jahren wurde fast ausschließlich Gas für die Sprengungen verwendet", sagt Kipping. Daraufhin hätten viele Banken aufgerüstet und etwa Vorrichtungen in ihre Automaten eingebaut, die das Gas neutralisieren können. Doch gegen den inzwischen eingesetzten Festsprengstoff nützt das nichts. Die Täter haben ihre Vorgehensweise, ihren "Modus Operandi", angepasst, wie auch das BKA mitteilt.   

Die Banken wollen daher verstärkt auch auf Videoüberwachung und Einbruchmelder sowie Farbe und Klebstoff in den Geldautomaten setzen. Zu einer stärkeren Prävention hatten sich die deutschen Banken im November 2022 bei einem Treffen mit dem Bundesinnenministerium bereit erklärt. Das Ministerium beobachte Entwicklung der Sprengungen mit "großer Besorgnis", hieß es damals. Mitte dieses Jahres soll der Erfolg der Maßnahmen überprüft werden. "Das Problem ist: Wir haben einfach zu viele Automaten, um kurzfristig umzurüsten", sagt LKA-Sprecher Kipping.  

Immer mehr Banken bauen deswegen Geldautomaten ab. Andere schließen ihre Filialräume über Nacht. Seit Jahresbeginn ist das etwa bei den 23 Filialen der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin der Fall, aber auch in einigen anderen Regionen Deutschlands. Für die Banken gilt das jedoch als letztes Mittel. Denn bei einer vollständigen Schließung haben auch Kunden mit ihren Bankkarten nachts keinen Zutritt mehr.  

2021 erbeuteten die Täter fast 20 Millionen Euro

Der Handlungsdruck auf die Banken dürfte jedenfalls groß bleiben: wegen der Gefahr für Unbeteiligte - und nicht zuletzt der Kosten durch die Sprengungen. Zahlen für das vergangene Jahr liegen hierzu noch nicht vor. Im Jahr 2021 erbeuteten die Täter durch Geldautomatensprengungen in Deutschland knapp 20 Millionen Euro.

Wesentlich höher sind jedoch die Kosten durch die Sachschäden, die durch die Sprengungen entstehen. Die lagen 2021 nach BKA-Schätzungen im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Im Jahr 2022 dürften wohl noch einige Millionen hinzukommen.