
Geflüchtete in Berlin Die Zeltstädte wachsen - der Frust auch
Die Unterkünfte für Geflüchtete sind voll, der Wohnungsmarkt ist leergefegt, Gastfamilien sind überlastet. Berlin sucht händeringend nach Lösungen - und nutzt zunehmend die stillgelegten Flughäfen.
Der Shuttle-Bus hält an, direkt vor dem Terminal C. Nachdem der Fahrer die Türen geöffnet hat, steigen die Menschen aus: Ältere Pärchen, Familien mit Kindern und Einzelreisende, manche mit Kinderwagen oder Rollkoffer. Das Sicherheitspersonal zeigt ihnen den Weg ins Gebäude.
Doch es sind keine Urlauber oder Geschäftsreisenden, die hier ankommen - sondern Menschen auf der Suche nach Zuflucht oder Asyl. Schon kurz nach Kriegsausbruch wurde der ehemalige Flughafen Tegel Ankunftszentrum für Geflüchtete aus der Ukraine. Hier werden sie registriert und erhalten eine Notunterkunft für die ersten Nächte.
Eigentlich sollen sie dann in reguläre Unterkünfte oder gemietete Wohnungen weiterverteilt werden. Doch dazu kommt es kaum mehr, erzählt Ruslan, ein Ukrainer: "Die Menschen warten schon seit mehreren Monaten, zwei oder drei, auf die Vermittlung in reguläre Wohnungen. Es gibt auch keine Warteliste."
Wochenlang im provisorischen Bettenlager
Der Berliner Wohnungsmarkt ist leergefegt und die bürokratischen Hürden für Geflüchtete sind dort oft hoch. Und so werden aus den vorgesehenen zwei bis drei Nächten im provisorischen Bettenlager - beengt und mit wenig Privatsphäre - oft viele Wochen.
Auch das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten ist mit dieser Situation nicht zufrieden. "Man teilt sich den Privatbereich mit anderen. Das ist nicht das, was wir eigentlich anbieten möchten. Aber aufgrund der großen Zahl von Menschen, die gerade kommen, bleibt uns keine andere Möglichkeit", sagt Behördensprecher Sascha Langenbach.
Er steht in einer zeltähnlichen, weißen Leichtbauhalle. Um ihn herum werden Stockbetten aufgebaut, Kabel verlegt und Vorhänge aufgehängt. 16 dieser provisorischen Hallen wurden errichtet. 3200 Menschen sollen hier eine erste Zuflucht finden. Es ist jetzt schon klar, dass das nicht reichen wird. Obwohl mit den rund 30.000 Betten in landeseigenen Unterkünften so viele Plätze geschaffen worden sind wie noch nie seit 2015.
Neue Unterkünfte händeringend gesucht
Etwas mehr Platz und Privatsphäre dürften diejenigen haben, die an einem anderen ehemaligen Flughafen untergebracht werden. In Tempelhof wurden zwei Hangars mit Wohncontainern als Unterkünfte reaktiviert. Noch in dieser Woche sollen die ersten Menschen einziehen. Später sollen auf Parkplatzflächen weitere Zelte errichtet werden.
Die Umbaumaßnahmen zeigen: Der Druck ist enorm. Etwa 200 Menschen kämen derzeit täglich nach Berlin, sei es aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan oder anderen Ländern, rechnet Langenbach vor: "Das heißt, wir reden hier von 6000 Menschen in einem Monat. Deswegen ist es zwingend notwendig, hier weitere Unterkünfte zu schaffen, um Obdachlosigkeit abzuwenden."
Für den Winter rechnet Berlin mit weiter steigenden Zahlen. Das Landesamt geht davon aus, dass bis März mehrere Tausend zusätzliche Plätze entstehen müssten.
Diese Herausforderung beschränkt sich nicht auf die Bundeshauptstadt. In ganz Deutschland gibt es nicht genügend Unterkünfte für Geflüchtete und Asylsuchende. Vielerorts mussten Kommunen in den vergangenen Wochen einen Aufnahmestopp verhängen. Auch eine Verlegung von Menschen über Ländergrenzen hinweg wird dadurch schwierig. Über den sogenannten Königsteiner Schlüssel könne etwa Berlin manchmal nur zehn bis 15 Menschen pro Tag auf andere Bundesländer verteilen.
Gastfamilien zunehmend überlastet
Wäre es nicht an tausenden Freiwilligen, die Geflüchtete immer noch privat unterbringen, hätte Berlin noch viel größere Probleme. Doch auch den privaten Hosts geht die Luft aus. Wie der Alleinerziehenden Kerstin Nickig, die seit sechs Monaten eine Ukrainerin aufgenommen hat.
"Für mich war es die Überlegung, dass ich drei Monate die Situation ganz gut bewältigen kann und natürlich auch gerne helfen wollte", erzählt Nickig. "Aber für mich war auch klar: Ich will das nicht unbegrenzt machen. Und im Moment sieht es eben ein bisschen so aus." Sie wolle die Frau jetzt nicht einfach auf die Straße schicken und ihrem Schicksal überlassen, sodass sie jetzt in ein Zelt müsse.
"Uns rutschen die Leute weg", bestätigt Anne-Marie Braun von der Hilfsinitiative "Schöneberg hilft". Viele hätten sich auf kurzzeitige Hilfe eingestellt. Sie seien davon ausgegangen, dass nach zwei bis drei Wochen der Staat einspringe und für Unterkünfte sorge, "die eben nicht so aussehen wie jetzt in Tegel die Zelte", sagt Braun.
Wie viele Geflüchtete immer noch bei privaten Gastfamilien unterkommen, wisse der Senat nicht. Braun und viele Initiativen schätzen: Es sind mindestens 30.000 bis 40.000. Laut der bundesweiten Plattform unterkunft-ukraine.de gab es die allermeisten Registrierungen für Wohnraum für ukrainische Geflüchtete aus der Anfangszeit des Krieges. Jetzt fehle der Nachschub - während immer mehr Menschen abspringen, die bislang Menschen aufgenommen haben.