
Projekt "InnovationCity" Bottrop - von der Kohlestadt zur Musterstadt
50 Prozent weniger Energiekosten binnen zehn Jahren und ein weltweit guter Ruf beim klimagerechten Stadtumbau: In Bottrop ist das Projekt "InnovationCity" geglückt - aber wie?
Als er vor zehn Jahren mit dem Ziel antrat, die schädlichen Emissionen seiner Stadt in nur zehn Jahren halbieren zu wollen, hat ihn so mancher belächelt. "Nicht machbar", hieß es. Doch für den gerade gewählten Oberbürgermeister von Bottrop, Bernd Tischler (SPD), stand fest, dass er seine Stadt mit ihren 120.000 Einwohnern im Herzen des Ruhrgebiets einer Rosskur unterziehen würde, um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen.
Schon im Studium hatte sich Tischler mit ökologischem Städtebau befasst. Doch wie setzt man ökologische Konzepte in einer vom Steinkohlebergbau geprägten Stadt um, in der gerade die letzten Zechen geschlossen hatten? Viele Menschen hatten ihren Job verloren, erinnert sich Tischler.
"Man muss dafür sorgen, dass Menschen mit weniger Geld, nicht auf der Strecke bleiben." Die größte Herausforderung: Wie nimmt man Ärmeren die Angst, in den ökologischen Umbau ihrer Häuser zu investieren und senkt die Hemmschwelle für Investitionen? "Man muss ihnen finanziell unter die Arme greifen. Wir haben sie ermutigt, je nach Geldbeutel ihr Haus oder ihre Wohnung Schritt für Schritt ökologisch umzubauen. Zuerst die Fenster, dann die Fassaden. Immer mit Zuschüssen von der Stadt oder vom Land."

Der Oberbürgermeister von Bottrop, Bernd Tischler, während der Bekanntgabe der "InnovationCity Ruhr" 2010. Gut zehn Jahre später ist die Stadt Vorreiter in Sachen klimagerechter Stadtumbau.
Alle wurden mit eingebunden
Unermüdlich erklärt ihnen der ehemalige Baudezernent, dass sie ein Teil der sogenannten "Innovation City Bottrop" sind und der Abbau der Emissionen ohne sie nicht machbar sei.
Um alle mit einzubinden, gründet der Bottroper Oberbürgermeister einen Runden Tisch. Alle 14 Tage bringt er die Akteure zusammen: Wohnungswirtschaft, Industrie, Gewerbebetriebe, Handwerker, die Hochschulen, Bürger, Politiker und die Verwaltung und diskutiert mit ihnen die nächsten Schritte. Er lädt Klassensprecher ein und macht sie zu Botschaftern, die die Vision des Bürgermeisters anderen erklären: ihren Mitschülern, aber auch den Großeltern und Eltern.
"InnovationCity" wird zur Chefsache
Der Oberbürgermeister macht "InnovationCity" zur Chefsache und bringt 300 unterschiedliche Projekte ans Laufen. So entsteht in Bottrop ein Masterplan: "Wir bringen mehr Grün in die Städte, entsiegeln Böden, reduzieren den Verkehr, fördern E-Mobilität und zeigen den Bürgern, wie sie in ihrem Alltag Energie sparen können. So haben wir in Bottrop 50 Prozent unserer Energiekosten eingespart", schwärmt Tischler. Modernes Energiemanagement, "die Energiewende von unten, vom Bürger her, gedacht."
Nur möglich nach Umbau der Verwaltung
Um all die Ideen umzusetzen und den Wust an Projekten und Förderanträgen bewältigen zu können, baut Tischler nach und nach seinen gesamten Verwaltungsapparat um. "Meine Verwaltung musste lernen, wie man all die Projekte organisiert." Er richtet Stadtteilbüros ein, niedrigschwellige Anlaufstellen für Bürger und schafft neue Förderrichtlinien, so dass auch weniger ehrgeizige Projekte unterstützt werden können.
Bei der Förderung ist noch viel Luft nach oben, räumt Tischler ein. Doch die Bilanz kann sich sehen lassen: für jeden Euro Zuschuss werden in Bottrop acht Euro privat in die Energiewende investiert.
Sanierung unterschiedlichster Gebäude
So bringt Tischler die Sanierung unterschiedlichster Gebäuden auf den Weg: Gründerzeitvillen, aber auch Nachkriegssiedlungen, Reihenhäuser der 1980er-Jahre sowie Tankstellen, Schulen, Tennishallen, Supermärkte und Gewerbebetriebe. Bei jedem Objekt sind andere Maßnahmen möglich und nötig: von der Dämmung bis hin zur Energieoptimierung durch Wärmekopplung, Photovoltaik, Fern- oder Erdwärme sowie neue Lichtanlagen oder Fenster. Es entsteht eine große Sogwirkung: Die Energiewende, ganz praxisorientiert.

Eine Mischung aus Geschäfts- und Wohnhaus in Bottrop: Bernd Tischler (re,) vor dem Vivawest-Zukunftshaus. (Archivbild)
Interesse auch in Sibirien
Längst wird der Visionär aus dem Ruhrgebiet nach Russland, China und Amerika eingeladen und redet dort vor staunenden Amtskolleginnen und -kollegen. Die sogenannte Bottroper Blaupause, die mittlerweile auf andere Ruhrgebietsmetropolen ausgerollt werden soll, findet selbst im sibirischen Kohleabbaugebiet rund um Kemerovo großen Anklang. Fernwärmesysteme kennt man dort zwar noch aus Sowjetzeiten, aber der deutsche Kommunalpolitiker macht klar, dass sie auch effizient sein müssen.
"Wenn Politik und Industrie das nicht lernen, werden schon bald Google & Co. mit ihren vollautomatisierten Smart-Häusern deutsche Technologien einfach zur Seite schieben", davon ist Tischler überzeugt. Dabei hat Deutschland zahlreiche Unternehmen, die in der Klima-Technologie weltweit vorne dabei sind. "Wir haben mit Bottrop einen Maßstab gesetzt und ein Konzept entwickelt, das funktioniert. Von den Instrumenten, Verfahren und Erfahrungen, die wir hier entwickelt haben, werden auch andere Kommunen profitieren."
Klimagerechter Stadtumbau
Durch den Erfolg als "InnovationCity" hat sich Bottrop einen Namen als Vorreiter in Sachen klimagerechtem Stadtumbau gemacht. Sein Oberbürgermeister ist ein gefragter Ansprechpartner und Ideengeber für Städte und Regionen weltweit geworden.
2019 informierte sich eine Delegation aus der russischen Region Rostow bei Oberbürgermeister Tischler über den Strukturwandel der Stadt Bottrop und das Projekt "InnovationCity". Tischlers Fazit: "Wir haben es geschafft, der Stadt eine positive Vision für die Zeit nach dem Kohleausstieg 2038 zu geben und den Menschen die Angst vor dem Wandel nehmen."