Interview

Ministerpräsident Beck zum Streit über den Fiskalpakt "Wir lassen uns nicht an der Nase herumführen"

Stand: 12.06.2012 17:18 Uhr

Nicht nur Opposition und Regierung, auch Bund und Länder streiten über den Fiskalpakt und die Einführung der Börsensteuer. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck (SPD) erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Im Interview mit tagesschau.de spricht Beck von "bitteren Rückschritten".

tagesschau.de: Woran sind die Gespräche gescheitert?

Kurt Beck: Die Gespräche sind nicht gescheitert, aber wir haben einen bitteren Rückschlag erlitten. Wir sind hinter all das zurückgefallen, was wir in den vergangenen Tagen und der letzten Woche mit Vertretern der Bundesregierung und den Ländern und Fraktionen besprochen haben. Ich kann mir das nur so erklären, dass es wieder einmal Uneinigkeit gibt innerhalb der Bundesregierung.

tagesschau.de: Was fordern die Länder konkret?

Beck: Wir wollen die Verfassungsmäßigkeit des Fiskalpakts auch auf Länderebene garantiert wissen. Die Länder haben dazu weitgehend einvernehmlich Gesetzesentwürfe vorgelegt. Das ist gestern wieder ins Unkonkrete hinein zurückverhandelt worden. Außerdem brauchen wir eine Entlastung für die Kommunen. Da waren wir schon mal relativ weit in dem Einvernehmen, dass wir bei der sogenannten Eingliederungshilfe ansetzen - ein Bundesgesetz, das die Kommunen sehr hoch belastet. Wir erwarten vom Bund, dass er einen Teil dieser Eingliederungshilfe übernimmt. Auch dort waren wir schon mal viel weiter. Ich kann das nur als Rückschritt betrachten, was sich gestern Abend getan hat.

Zur Person

Kurt Beck ist seit 1972 Mitglied der SPD und seit 1979 Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtages. Seit 1994 ist Beck Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. 2003 wurde er zum stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden gewählt und war von 2006 bis 2008 SPD-Vorsitzender.

tagesschau.de: Müssten nicht auch Länder und Kommunen sparen, statt neues Geld oder neue Hilfen zu verlangen?

Beck: Wir Länder haben unsere Schuldenbremsen in der Verfassung festgelegt. Wir gehen unseren Weg. Es geht um die Kommunen, die ohnehin enorm belastet sind. Da müssen wir Vorsorge treffen. Es geht nicht um Gezocke zwischen Bund und Ländern, sondern darum das Risiko auszuschalten, dass Deutschland in den nächsten Jahren vertragsbrüchig wird, weil es den Fiskalpakt in den Kommunen und Ländern nicht umsetzen kann.

"Wir fordern eine verbindliche Erklärung zur Börsensteuer"

tagesschau.de: Auch beim Thema Börsensteuer gab es zwischen Opposition und Regierung keine Einigung. Die Regierung will sich für die Börsensteuer in Europa einsetzen. Das hat die Kanzlerin gestern nochmals bekräftigt. Warum reicht das nicht?

Beck: Wir erwarten europapolitisch, dass neben den rein fiskalischen Vorgaben auch Impulse für mehr Wachstum vereinbart werden. Zweitens wollen wir die verbindliche Erklärung, dass die Bundesregierung sich in der EU für die Einführung der Finanztransaktionssteuer stark macht. Wir erleben momentan, dass Zusagen gegeben werden, die dann - wie am Wochenende geschehen - von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla oder der FDP so uminterpretiert werden, dass am Ende klar ist: die Börsensteuer kommt nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Ein solcher Umgang spottet jeder Beschreibung.

tagesschau.de: Sie hatten sich aber doch schon mal geeinigt. Was ist jetzt anders, liegt das ganze Hin und Her nur an einer unglücklichen Bemerkung des Kanzleramtsministers?

Beck: Das Bekenntnis der Regierung zur Finanztransaktionssteuer ist bisher noch nicht belastbar niedergeschrieben. Unser Vorschlag ist, dass wir uns in den nächsten Verhandlungsrunden auf klare Aussagen verständigen und die dann zügig umsetzen. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, können wir den Fiskalpakt mit seiner notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit verabschieden. Diese Klarheit muss geschaffen werden, sonst belügen wir uns selber.

tagesschau.de: Die Regierung wirft der Opposition vor, die Zustimmung aus parteitaktischen Erwägungen zu verschleppen. Was sagen Sie?

Beck: Das ist blanker Unfug. Wir hatten uns gefreut, dass die Vereinbarung da ist - und ich beziehe da übrigens ausdrücklich meinen CSU-Kollegen Horst Seehofer mit ein, der mindestens so leidenschaftlich für die Einführung der Börsensteuer kämpft wie ich. So eine Bemerkung aus dem Kanzleramt wie die von Herrn Pofalla können wir nicht hinnehmen. Es geht um die Zukunft Europas - nicht um kleinkariertes Zeug.

"Eine weitere Verzögerung wäre angesichts der Krise schwierig"

tagesschau.de: Unionsfraktionschef Volker Kauder warnt: Eine weitere Verzögerung bei der Verabschiedung des Fiskalpakts wäre ein "fatales Signal an die Märkte". Hat er recht?

Beck: Eine Verzögerung beim Fiskalpakt wäre angesichts der Krise zumindest schwierig. Wir wollen nicht, dass Kanzlerin Angela Merkel zum nächsten Gipfel fährt ohne eine sichere deutsche Position. Aber die Union muss sich an die eigene Nase fassen, statt das dümmliche Spiel zu spielen: die Opposition ist schuld. Wer ist denn zerstritten in all diesen Fragen: die Regierung, nicht wir. Es gibt kein Taktieren, aber wir lassen uns auch nicht an der Nase herumführen.

tagesschau.de: Unsere User sehen das anders. Die sagen – ich zitiere einen stellvertretend für viele - "das Affentheater der Politik geht mir gehörig auf den Geist". Handeln Sie angesichts der Schwere der Krise verantwortungsvoll?

Beck: Ich wehre mich gegen die Pauschalisierung "die Politik". Ich lasse nicht der SPD anhängen, dass wir Parteitaktik betreiben. Wir Länderchefs und die SPD auf Bundesebene handeln sehr verantwortungsvoll. Wir bemühen uns um Lösungen und führen viele Telefonate und Gespräche mit dem Finanzminister. Die Querschüsse kommen von der Regierung, die dann Frau Merkel nur halbherzig wieder zurücknimmt.

tagesschau.de: Trügt der Eindruck, dass es in der SPD unterschiedliche Vorstellungen zur Kompromissbereitschaft gibt?

Beck: Dieser Eindruck trügt. Wir - die SPD, die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-geführten Länder - haben eine absolut einheitliche Position und treten in dieser Frage sehr geschlossen und konstruktiv auf. Nachzulesen ist das in einem Papier der SPD-Spitzen, das der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vorliegt.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.