Fragen und Antworten Kann die NPD verboten werden?

Stand: 16.12.2011 03:51 Uhr

Als Konsequenz aus den Pannen bei den Ermittlungen gegen die Zwickauer Neonazi-Zelle ist das Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eröffnet worden. Im Zusammenhang mit den Gewaltverbrechen der Gruppe haben sich die Ministerpräsidenten der Länder und die Innenminister für ein Verbot der rechtsextremen NPD ausgesprochen. 2003 war ein Verbotsverfahren gescheitert. tagesschau.de erklärt, was für ein Verbotsverfahren wichtig ist, warum es 2003 gestoppt wurde und wovon die Erfolgschancen abhängig sind.

Von Johanna Bartels, tagesschau.de

Beim Thema Parteienverbote wird immer von "hohen Hürden" gesprochen. Was sind die Voraussetzungen für ein Verbot?

Nur das Bundesverfassungsgericht darf, auf Antrag, eine Partei verbieten. Die Voraussetzungen für ein Parteienverbot sind in Artikel 21, Absatz 2, des Grundgesetzes geregelt:

Zum einen muss die Partei eine verfassungsfeindliche Haltung vertreten. Außerdem muss die Partei auch aktiv versuchen, diese Ideologie umzusetzen. Wörtlich heißt es im Grundgesetz, dass sie "nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger" darauf ausgerichtet sein muss, "die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden".

Zum anderen reicht für ein Urteil über die Verfassungswidrigkeit einer Partei nicht nur, wie normalerweise, die einfache Mehrheit der beteiligten Verfassungsrichter. Bei einem Parteienverbot muss eine Zweidrittelmehrheit der Richter dafür sein, bei acht Richtern also sechs.

Diese Anzahl muss auch beibehalten werden, wenn Richter während des Verfahrens - beispielsweise aus Altersgründen - ausscheiden. In diesem Fall werden keine neuen Richter als Ersatz eingesetzt. Je länger das Verfahren dauert, desto größer wird die Gefahr, dass Richter ausscheiden - letztendlich könnte dann ein Verbot an nur einer Gegenstimme scheitern. Experten sehen hierin das größte Risiko bei einem Parteienverbotsverfahren.

Wie genau läuft ein Verbotsverfahren ab?

Zunächst muss ein Antrag auf ein Verbot gestellt werden. Das können entweder der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung tun. Bei einem Antrag von Bundestag oder Bundesrat reicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen aus. 2003, bei dem ersten Versuch, die NPD verbieten zu lassen, stellten alle drei einen Antrag, es gab also faktisch drei Verbotsverfahren.

Während des Verfahrens legt der Antragsteller Beweise für die Verfassungswidrigkeit der Partei vor. Das können Texte der Partei sein oder auch Redemitschnitte von Funktionären auf Parteitagen. Der Partei, die verboten werden soll, wird während des Verfahrens dann die Gelegenheit zur schriftlichen und mündlichen Äußerung gegeben. Zum Schluss urteilt das Bundesverfassungsgericht.

Sind in Deutschland schon mal Parteien verboten worden?

Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Parteien verboten: 1952 die Sozialistische Reichspartei (SRP), eine Nachfolgeorganisation der NSDAP. Vier Jahre später verbot es nach einem umstrittenen Verfahren auch die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).

Sind bei der NPD die Voraussetzungen für den Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit gegeben?

Nach Ansicht der Innenminister vertritt die NPD eine verfassungsfeindliche Haltung: In der Abschlusserklärung der Innenministerkonferenz nennen sie deren Ideologie "menschenverachtend, demokratiefeindlich, antidemokratisch und antisemitisch". Für ein Parteiverbot muss jedoch eine aggressiv-kämpferische Verfassungswidrigkeit belegt werden.

Als ein Indiz dafür wird gewertet, dass der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben die Zwickauer Zelle unterstützt haben soll. Nach Ansicht des früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier muss aber bewiesen werden, dass die NPD als solche die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft - nicht vielleicht nur einzelne ihrer Mitglieder.

Woran ist das erste NPD-Verbotsverfahren gescheitert?

Das erste NPD-Verbotsverfahren ist 2003 wegen der vielen V-Leute in der NPD gestoppt worden. Ein Verbot wurde also nicht abgelehnt, sondern das Verfahren wurde aus zwei Gründen eingestellt:

Zum einen stützte sich der Verbotsantrag teilweise auf verfassungsfeindliche Äußerungen von NPD-Mitgliedern, die gleichzeitig vom Verfassungsschutz als Informanten bezahlt wurden. Deren Äußerungen konnten also nicht hundertprozentig der NPD zugeschrieben werden.

Zum anderen saßen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene so viele V-Leute in Führungspositionen, dass es möglich sein konnte, dass sie die Parteilinie mitbestimmten. Es konnte also nicht einwandfrei festgestellt werden, dass hier die unbeeinflusste Meinung der Partei ausgedrückt wird.

Die Karlsruher Richter sprechen von der mangelnden "Staatsfreiheit" der Partei, d.h. die NPD ist möglicherweise von staatlicher Seite - also den vom Staat bezahlten V-Leuten - beeinflusst worden.

Was genau sind V-Leute? Sind das von außen eingeschleuste Verfassungsschutz- oder Polizeimitarbeiter oder NPD-Mitglieder, die für Informantendienste angeworben wurden?

Verbindungsleute - V-Leute - sind immer Menschen, die bereits in der Organisation, über die Informationen eingeholt werden sollen, tätig sind. Ob diese V-Leute wirklich wichtigte Informationen liefern, ist umstritten.

Menschen, die extra eingeschleust werden, heißen "verdeckte Ermittler". Diese werden im Rechtsextremismus aber praktisch nicht eingesetzt, da dies sehr aufwändig ist.

Wie viele Mitglieder hat die NPD? Wie viele V-Leute arbeiten heute mutmaßlich in der Partei?

Die NPD hat nach eigenen Angaben etwa 6500 Mitglieder. Das Magazin "Der Spiegel" sprach zuletzt von mehr als 130 V-Leuten in der Partei, mehr als zehn davon in Führungsgremien.

Müssen für ein neuerliches Verbotsverfahren alle V-Leute die NPD verlassen?

Nein. Die Karlsruher Richter erklärten 2003, dass V-Leute, die auf die Führungsebene der NPD einwirken, abgezogen werden müssen, bevor ein neues Verbotsverfahren gestartet werden kann.

Auch der Vizepräsident des Verfassungsgerichts, Winfried Hassemer - einer der drei Richter, die 2003 gegen die Fortführung des NPD-Verbotsverfahrens gestimmt hatten - betont: "Unser Beschluss wird überinterpretiert, wenn man sagt, alle V-Leute müssen raus." Vielmehr müssten nur diejenigen die Partei verlassen, von denen man annehmen müsse, sie hätten an Texten mitgearbeitet, mit denen ein Verbot begründet werden soll, sagte er der "Süddeutschen Zeitung".

Kann ein Verbotsverfahren auch durchgeführt werden, wenn es noch V-Leute auf Führungsebene gibt?

Eigentlich nicht: Was die Richter 2003 gesagt haben, nämlich dass die Präsenz von V-Leuten in Führungspositionen der NPD ein "nicht behebbares Verfahrenshindernis" darstelle, gilt weiterhin. Damit hat die NPD das Recht erhalten, dass bei diesem Sachverhalt kein Verbotsverfahren gegen sie geführt werden kann.

Aber: Dieses Verfahrensrecht der NPD kann eingeschränkt werden. Im Beschluss der Verfassungsrichter von 2003 heißt es, das sei "zur Abwehr akuter Gefahren", "in extremen Ausnahmefällen" möglich, "etwa, wenn unter dem Deckmantel der Organisation als politische Partei Gewalttaten oder andere schwerwiegende Straftaten vorbereitet oder geplant werden."

Nach Ansicht der Innenminister der Länder könnte ein neuerlicher Antrag auf ein NPD-Verbot erfolgreicher sein als noch 2003, da durch die mutmaßlichen Verbindungen der NPD zur Zwickauer Neonazi-Zelle der von den Richtern geforderte Ausnahmefall gegeben sein könnte.

Letztendlich hängen die Erfolgsaussichten von den heute zuständigen Verfassungsrichtern ab. Sie entscheiden, ob ein Verbotsverfahren zulässig ist.