Fahrverbotszone in Hamburg
Hintergrund

Knackpunkte vor Gericht Der lange Weg zum Fahrverbot

Stand: 08.11.2018 14:31 Uhr

Deutschlandweit verhandeln Verwaltungsgerichte über Diesel-Fahrverbote. Frank Bräutigam erklärt die Knackpunkte in der komplexen rechtlichen Auseinandersetzung.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Überall zwingen die Gerichte den Städten und Autofahrern Fahrverbote auf - dieser Eindruck entsteht in letzter Zeit häufig. Der Blick auf die rechtlichen Knackpunkte aller Fälle zeigt aber: So einfach ist das nicht.

Ausgangspunkt sind in jedem Fall die EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Sie gelten bereits seit 2010. Die Kommunen sind gesetzlich verpflichtet, diese Grenzwerte schnellstmöglich einzuhalten. Dazu ist ein ganz bestimmtes Mittel vorgesehen: Die Behörden müssen einen sogenannten Luftreinhalteplan aufstellen. Das ist eine Art Katalog mit konkreten Maßnahmen, die die Werte senken sollen. Damit sagen die Behörden: So wollen wir die Grenzwerte einhalten. Dies ist also der erste Schritt.

Kritik: Maßnahmen reichten nicht aus

Dagegen wird dann vielerorts eingewandt: Was in dem Luftreinhalteplan steht, reiche nicht aus, um die Grenzwerte einzuhalten. Einzelne Bürgerinnen und Bürger und auch Verbände (wie die Deutsche Umwelthilfe) haben in solchen Fällen ein Klagerecht. Der Streit geht vor das Verwaltungsgericht. Das Gericht soll die Behörden verpflichten, strengere Maßnahmen in den Luftreinhalteplan aufzunehmen, zum Beispiel Fahrverbote.

Gericht und Behörden mit unterschiedlichen Rollen

Verwaltungsgerichte kontrollieren den Staat, ob er rechtmäßig handelt. Wichtig ist dabei die Rollenverteilung: Den Behörden steht ein Ermessen zu, wie sie ihre Aufgaben umsetzen; also ein Spielraum, wie sie zum Beispiel Umweltgrenzwerte einhalten wollen. Verwaltungsgerichte müssen diesen Spielraum beachten und dürfen sich nicht einfach an die Stelle der Verwaltung setzen nach dem Motto: Wir wissen aber besser, wie das geht.

Gesetzliche Grenzwerte plus behördliches Ermessen - das ist also die Ausgangslage für alle Verhandlungen rund um Fahrverbote in den Sälen der deutschen Verwaltungsgerichte.

Zentrale Frage: Gibt es Alternativen zu Fahrverboten?

Im Gerichtssaal geht es dann immer zunächst darum, die Fakten festzustellen. Beispiel Stuttgart: Dort lag der Grenzwert zum Gerichtstermin bei 80 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, also das doppelte des EU-Grenzwertes. Das Gericht hat dann sehr intensiv nachgefragt: Reichen die im Plan vorgesehenen Maßnahmen aus, um zumindest annähernd den Grenzwert zu erreichen? Das Ergebnis war laut Sachverständigengutachten: Die Maßnahmen reduzieren den Wert um zehn Prozent, nicht aber um die Hälfte. Das war am Ende auch nicht mehr umstritten.

Auf dieser Faktenbasis hat das Gericht am Ende einer intensiven Prüfung gesagt: Nur Fahrverbote sind geeignet, um die Grenzwerte einzuhalten.

Bundesverwaltungsgericht: Verhältnismäßigkeit ist Pflicht

Dieser Fall ging dann zum Bundesverwaltungsgericht. Das stellte Leitlinien für alle Verfahren in Deutschland auf, mit einem "Ja, aber-Urteil“: Ja, Fahrverbote sind rechtlich zulässig. Aber sie müssen verhältnismäßig ausgestaltet sein.

Was bedeutet nun dieser Begriff der Verhältnismäßigkeit, der gerade in aller Munde ist? Er ist jedenfalls nichts Neues, sondern ein wichtiger Rechtsgrundsatz, der den Behörden Grenzen setzen soll - immer, also nicht nur beim Thema Fahrverbote.

Komplett vereinfacht bedeutet er: Der Staat soll nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Dazu gibt es bestimmte Kriterien. Ist eine Maßnahme geeignet, um ein Ziel zu erreichen? Vor allem: Ist sie wirklich erforderlich, oder gibt es mildere Mittel? Bezogen auf die Fahrverbote: Gibt es andere Maßnahmen, mit denen man die Grenzwerte erreichen kann?

Wenn als "letztes Mittel" aber nur Fahrverbote helfen, dann muss man sie möglichst schonend ausgestalten. Das Bundesverwaltungsgericht gibt bezüglich Stuttgart zum Beispiel eine Unterscheidung nach Abgasklassen und eine zeitliche Staffelung vor. Hinzu kommen Ausnahmen zum Beispiel für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen.

Die Vorgabe des Bundesverwaltungsgerichts lautet also nicht: Verhängt mal bitte flächendeckend Fahrverbote! In der Überschrift der Pressemitteilung heißt es zum Beispiel, Fahrverbote seien "ausnahmsweise zulässig". Das gibt die Richtung vor.

Verkehr

In Aachen ordnete das Verwaltungsgericht schon im Juni an, Fahrverbote vorzubereiten.

Fahrverbote vor Ort als letztes Mittel

Im Oktober verhandelte das Verwaltungsgericht über ein mögliches Dieselfahrverbot in Mainz. Die Verwaltungsgerichte haben bislang - zum Beispiel für Berlin, Frankfurt oder Aachen - immer erst intensiv geprüft, ob es auch irgendwie anders geht. Erst als sie für sich die Frage mit "Nein" beantworteten, verpflichteten sie die Behörden als letztes Mittel zu Fahrverboten verpflichtet, die auf bestimmte Strecken beschränkt sind, Ausnahmen vorsehen und so weiter.

Sie wandten das Prinzip der Verhältnismäßigkeit also konkret an. Ob das in jedem Einzelfall rechtmäßig war, muss der Instanzenzug klären. Für den Schwarzen Peter in Sachen Fahrverbote taugen die Gerichte vor diesem Hintergrund aber nicht.

Merkels Vorschläge in der Kritik

Und was ist mit den Vorschlägen der Bundeskanzlerin? Ihr erster Punkt ist der Maßnahmenkatalog der Bundesregierung zur Reduzierung der Werte. Das fällt unter den Punkt "Schafft man es auch anders?". Die Behörden können jederzeit vor Gericht darlegen, dass neue Maßnahmen nun tatsächlich schnellstmöglich die Werte senken. Das ist die entscheidende Währung, um Fahrverbote zu verhindern.

Merkels zweiter Punkt: Man wolle gesetzlich festschreiben, dass Fahrverbote bei geringer Überschreitung der Grenzwerte unverhältnismäßig seien. Richter müssen Gesetze anwenden - man möchte also das Verhängen von Fahrverboten erschweren.

Ob so ein Gesetz überhaupt zu anderen Ergebnissen als bislang führen würde, darf man bezweifeln. Schon jetzt ist es die Pflicht von Gerichten und Behörden, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit umzusetzen. Je näher sich die Werte dem Grenzwert annähern, desto leichter werden sich Alternativen zu Fahrverboten finden lassen. Und desto strenger müssen Richter schon jetzt prüfen, ob Fahrverbote wirklich angemessen sind.

Außerdem: Die EU-Grenzwerte sind weiterhin geltendes Recht. Das lässt sich so schnell nicht ändern. Es wäre durchaus möglich, dass eine deutsche Gesetzesänderung gegen die Pflichten aus EU-Recht verstößt, die Grenzwerte schnellstmöglich einzuhalten und der Europäische Gerichtshof das Gesetz dann prüft. Aber das scheint im Wahlkampf womöglich die geringste Sorge zu sein.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 08. November 2018 um 11:00 Uhr und um 15:30 Uhr.