Interview

Interview zum Parteitag in Hamburg "Neu definiert - aber kein Ruck"

Stand: 28.10.2007 16:33 Uhr

Erhard Eppler ist eine Ikone des linken SPD-Flügels. Auf dem Hamburger Parteitag hielt er eine viel beachtete Rede. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, vor welchen Herausforderungen die SPD steht und was von dem Parteitag bleiben wird.

Erhard Eppler ist eine Ikone des linken SPD-Flügels. Auf dem Bundesparteitag in Hamburg hielt er eine Rede, die auffällig viel Beifall bekam. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt der 80-Jährige, vor welchen Herausforderungen die SPD in den kommenden Jahren steht und was vom Hamburger Parteitag bleiben wird. Besonders lobenswert findet er die Abkehr seiner Partei vom Marktradikalismus.

tagesschau.de: Linke und Grüne werfen der SPD vor, ihnen nacheifern zu wollen. Union und FDP sehen einen Linksruck. Ist die SPD nach links gerückt oder steht sie dort, wo sie immer war?

Erhard Eppler: Die SPD war immer die linke Volkspartei. Sie hat jetzt neu definiert, was das heute bedeutet. Das ist kein Ruck.

tagesschau.de: Gibt es keinerlei Unterschiede zu den SPD-Positionen der Agenda 2010?

Eppler: Die marktkritischen Äußerungen auf dem Parteitag bedeuten nicht, dass wir an der Funktion des Marktes zweifeln. Das Verhältnis zwischen Markt und Zivilgesellschaft ist in den letzten 20 Jahren völlig zugunsten des Marktes verschoben worden. Jetzt gibt es weltweit eine Gegenbewegung und an der nehmen wir teil.

Kurzbiografie

Erhard Eppler wurde am 9.12.1926 in Ulm geboren und gilt als Vertreter des linken SPD-Flügels. Mit 29 Jahren trat er in die Partei ein und war ab 1970 mehrfach Mitglied des Parteipräsidiums. Von 1968 bis 1974 war der Doktor der Philosophie auch Bundesentwicklungsminister. Eppler führte von 1973 bis 1981 den Landesverband der SPD in Baden-Württemberg. Im Anschluss engagierte er sich in der Friedens- und Ökologiebewegung. Eppler war wesentlich an der Überarbeitung des Entwurfs für das neue Grundsatzprogramm der SPD beteiligt.

tagesschau.de: Dann war die Ära Schröder ein sozialdemokratischer Ausflug hin zu den freien Marktkräften?

Eppler: Gerhard Schröder hat viele Entscheidungen getroffen, die ganz genau dem entsprechen, was im "Hamburger Programm" steht. So beispielsweise die Entscheidung gegen den Irak-Krieg oder die Entscheidung für die erneuerbaren Energien. Außerdem hat Schröder auf seine Weise versucht, die sozialen Sicherungssysteme auf Stand zu bringen, damit sie auch noch in 20 Jahren funktionieren. Das man jetzt die eine oder andere Feinjustierung machen muss, widerspricht dem nicht.

tagesschau.de: In Ihrer Rede sprachen Sie von den Herausforderungen, die Sie sehen: Ängste vor sozialem Abstieg, Ängste vor einer ökologischen Katastrophe, Globalisierung, Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols und ein Marktradikalismus, der Politikverdrossenheit fördert. In welcher Reihenfolge müssen die Punkte abgearbeitet werden?

Eppler: Das wichtigste ist, dass die Ideologie des Marktradikalismus an Einfluss verliert. Die Verheißung, man muss nur die Märkte gewähren lassen und dann werden alle reich und glücklich, kommt nicht mehr an. Weder in Deutschland noch anderswo. Aber die Leute fragen, was kommt jetzt? Da hat das Grundsatzprogramm eine wichtige Funktion.

tagesschau.de: Sie haben das "Hamburger Programm" wesentlich mitgestaltet. Welcher Satz aus dem Programm ist der charakteristischste?

Eppler: Wir wollen Deutschland zukunftsfähig machen.

tagesschau.de: Wie soll das geschehen?

Eppler: Es sind Anstrengungen auf verschiedensten Gebieten nötig. Da ist die Ökologie, Stichwort Klimawandel. Da sind die öffentlichen Haushalte, die wir in Ordnung bringen müssen. Da ist die Wirtschaft, die konkurrenzfähig bleiben muss. Da sind die sozialen Sicherungssysteme, die trotz veränderter Alterszusammensetzung der Bevölkerung funktionsfähig bleiben müssen.

tagesschau.de: Sie sind seit 51 Jahren SPD-Mitglied und haben viele Parteitage erlebt. Was wird von dem in Hamburg bleiben?

Eppler: Erst einmal wird bleiben, dass dies keine zerstrittene Partei ist. Die SPD ist viel einiger als etwa in den 70er Jahren. Als zweites wird bleiben, dass wir mit einem gewissen Selbstbewusstsein ein neues Grundsatzprogramm gemacht haben. Wir nehmen an, dass es zehn oder 20 Jahre hält und auch im Gegensatz zum vorherigen Grundsatzprogramm in der Partei und in der Öffentlichkeit wirklich gelesen und ernst genommen wird.

Die Fragen stellte Alexander Richter, tagesschau.de