Ein Jahr nach Bekanntwerden des NSU Der vergessene Terrorismus

Stand: 25.03.2015 16:18 Uhr

Schockiert und vollkommen überrascht reagierte die Öffentlichkeit auf das Bekanntwerden des NSU-Terrors. Doch Rechtsterrorismus ist alles andere als neu: Schon in den 1980er-Jahren griffen Neonazis zu Sprengstoff und Waffen. Die Parallelen sind frappierend, spielen bei der Aufarbeitung bislang aber keine Rolle.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Bislang stehen im Zusammenhang mit dem NSU-Terror vor allem Neonazis im Blick, die in den 1970er-Jahren geboren wurden. Dabei erscheint es fraglich, ob diese jungen Erwachsenen in den 1990er-Jahren ohne Anleitung in den bewaffneten Kampf ziehen konnten. Vorliegende Ermittlungsakten belegen, dass das Geld im NSU-Umfeld knapp war, mehrere Kader verfügten nicht einmal über Telefonanschlüsse, da diese wegen unbezahlter Rechnungen abgeschaltet worden waren. Schlechte Voraussetzungen für den Aufbau eines terroristischen Untergrunds.

Möglich erscheint somit, dass Veteranen der Nazi-Szene mit Rat und Tat halfen. Interessant könnte dabei beispielsweise die Rolle des Altnazis Manfred Roeder sein. Dieser verübte in den 1990er-Jahren in Erfurt gemeinsam mit weiteren Neonazis einen Farbanschlag auf die Wehrmachtsausstellung. Roeder wurde wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Bemerkenswert: An dem Prozess nahmen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie offenbar auch deren Weggefährten Ralf Wohlleben und Andre K. teil. Angeblich hatte der Neonazi und Vertrauensmann des Verfassungsschutzes Tino Brandt die Kameraden mit Presseausweisen versorgt, so dass sie ins Gericht konnten. Das steht zumindest in geheimen Papieren des Verfassungsschutzes, die tagesschau.de vorliegen.

Hier kreuzen sich nachweislich erstmals die Wege des verurteilten Rechtsterroristen Roeder sowie die der jungen Rechtsradikalen aus Jena.

Unverbesserlicher Nazi

Der 1929 geborene Roeder genoss zu dieser Zeit Heldenstatus im Neonazi-Milieu. Grund war seine Vorgeschichte: Wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung wurde Roeder im Jahr 1982 zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, und 1990, nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe, wieder entlassen.

Der mehrfach vorbestrafte Roeder gilt als Bindeglied zwischen der alten rechtsextremen Generation und den Neonazis. Das ehemalige CDU-Mitglied geriet immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt, war monatelang auf der Flucht, lebte im Ausland und baute so ein braunes Netzwerk auf - unter anderem mit Kontakten in den Iran und die die USA, offenbar auch zum Ku-Klux-Klan (KKK), der im Mordfall Michèle Kiesewetter möglicherweise eine Rolle spielt.

Bombenanschläge und Banküberfälle

Roeder hatte Anfang der 1980er-Jahre den Aufbau der Deutschen Aktionsgruppen vorangetrieben. Das Konzept dieser Terrorzellen war dem des NSU verblüffend ähnlich. So wurden Bombenanschläge verübt - unter anderem in Hamburg und Baden-Württemberg, bei denen zwei Menschen getötet und mehrere verletzt wurden. Finanzieren sollten sich die Terrorzellen durch Banküberfälle, eingesetzt wurden von den Rechtsterroristen auch Rohrbomben.

Die NSU-Zelle schlug ebenfalls in Hamburg und Baden-Württemberg zu, verübte zudem zahlreiche Banküberfälle - und auch bei Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren Rohrbomben gefunden worden, der Sprengstoff stammte aus Bundeswehr-Beständen.

Da überrascht es kaum, dass in der Wohnung der NSU-Terroristen auch eine Propaganda-Schrift von Roeder gefunden wurde. Zudem verteilten Neonazis aus dem Thüringer Heimatschutz, in dem Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aktiv waren, bereits im Jahr 2000 eine antisemitische Hetzschrift von Roeder.

Roeder und Zschäpe-Anwalt bei der NPD

Es gibt weitere Anknüpfungspunkte zwischen Roeder und dem NSU-Netzwerk. So trat der Rechtsterrorist im Jahr 1998 in Mecklenburg-Vorpommern als NPD-Kandidat für die Bundestagswahl an. Bei einem Parteitag in dem Bundesland rief Roeder offen zum "Umsturz in Deutschland" auf.

Ausgerechnet der damalige NPD-Landeschef in dem Bundesland, Hans-Günther Eisenecker, hatte wenig später Kontakt zum NSU-Netzwerk: Er sollte die Vertretung von Zschäpe übernehmen, die sich stellen wollte, während Mundlos und Böhnhardt offenbar nach Südafrika flüchten sollten, als möglicher Helfer wurde hier der rechtsextreme Publizist Claus Nordbruch genannt.

Wie aus V-Mann-Berichten hervorgeht, sollte der damalige NPD-Spitzenfunktionär Eisenecker Interesse an Zschäpes Vertretung angemeldet haben, genaueres sollte Anfang 1999 in seiner Kanzlei besprochen werden. Der mutmaßliche NSU-Unterstützer Wohlleben wollte zu diesem Treffen fahren und zuvor eine Vollmacht von Zschäpe besorgen.

V-Mann berichtete über Roeder-Gespräch

In den Ermittlungsakten findet sich zudem ein Hinweis auf eine Verbindung zwischen NSU, Nordbruch und Roeder. So berichtete der V-Mann Tino Brandt dem Verfassungsschutz über ein Gespräch mit einem mutmaßlichen NSU-Unterstützer, in dem es um eine mögliche Fluchthilfe durch Roeder ging, da dieser über internationale Kontakte verfügte. Brandt hatte damals nach eigenen Angaben Kontakt zu Roeder, der wiederum im Jahr 2001 einem Bericht des Fachmagazins "blick nach rechts" zufolge als Referent in Pretoria auftrat. Moderiert wurde die Veranstaltung demnach von Nordbruch. Die Neonazis sollen den Plan aber angeblich verworfen haben, weil sie Roeder als nicht zuverlässig einschätzten. Das behauptete zumindest V-Mann Brandt.

V-Mann Brandt, Anführer des Thüringer Heimatschutzes, war aber offenkundig eine Art Doppelagent, verkaufte Informationen und prahlte nach seiner Enttarnung, er habe 200.000 D-Mark vom Geheimdienst kassiert und das Geld in die Szene gesteckt. Brandt konnte offenbar unbehelligt weiter in Thüringen leben, obgleich er als "Verräter" eigentlich mit Drohungen hätte rechnen müssen. Auszuschließen ist somit nicht, dass der Verfassungsschutz bewusst an der Nase herumgeführt, eine falsche Spur gelegt wurde.

"Operation Flächenbrand"

Ein weiterer Anknüpfungspunkt zwischen NSU-Netzwerk und Roeder könnte der Neonazi Gerhard I. sein. Der fanatische Hitler-Anhänger pflegte enge Kontakte zum Thüringer Heimatschutz, soll mit der mutmaßlichen NSU-Unterstützerin Mandy S. im Jahr 2001 unterwegs gewesen sein. Im Jahr zuvor soll I. in Nürnberg ein Flugblatt verteilt haben, in dem unter dem Titel "Unternehmen Flächenbrand" die Parole "1. September 2000 - von jetzt ab wird zurückgeschossen.“ ausgegeben wurde. Dies war wenige Tage vor dem ersten NSU-Mord in der Stadt.

I. gehörte offenkundig zu Roeders Umfeld. Im Jahr 2003 trafen sich Neonazis auf dem Hof von Roeder in Hessen. Mit dabei laut Medienberichten: Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes sowie I. Jahrelang war der Neonazi auf der Flucht - unter anderem hatte er sich im Jahr 2006 mit einer Hetzschrift aus dem Iran zu Wort gemeldet, wo auch Roeder bereits zu Besuch war.

In einem internen Bericht des Verfassungsschutzes wird zudem über eine Sonnenwendfeier auf Roeders Hof im Juni 2004 berichtet - mit dabei waren demnach Neonazis aus Bayern, Sachsen und Thüringen.

Roeder und die Bundeswehr

Roeder verfügte über alles, was Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt brauchten: Erfahrung mit einem Leben im Untergrund, ein internationales Netzwerk, Geldgeber aus der braunen Bewegung sowie Kontakte zur Bundeswehr. Roeder war für eine Anfrage nicht zu erreichen.

Roeder und die Bundeswehr ist ein Kapitel für sich: 1995 war der Rechtsterrorist als Referent zur Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg eingeladen. Zudem stellte das deutsche Militär Ausrüstung für Roeders rechtsextremes "Deutsch-Russische Gemeinschaftswerk - Förderverein Nord-Ostpreußen" zur Verfügung, wie Panorama aufdeckte.

Die Rolle der Altnazis spielt in der Aufarbeitung des NSU-Skandals bislang kaum eine Rolle, auch in den Ermittlungsakten wird die mögliche Vorbildfunktion von Roeders Deutschen Aktionsgruppen nicht einmal erwähnt. Spekuliert wurde stattdessen über Parallelen zu einem schwedischen Rechtsterroristen.

Offenbar wird somit weiter konsequent übersehen, dass braune Strategen nicht nur ihre Konzepte für Freie Kameradschaften im "wilden Osten" der Nachwendezeit umsetzen konnten, sondern dass sie hier auch willige, militante Neonazis fanden, die bereit waren, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen - so wie Mundlos und Böhnhardt, die Anfang 20 waren, als sie beim Erfurter Prozess gegen Roeder auftauchten.

Der Rechtsterrorismus in Deutschland ist nicht neu - genauso wenig wie das konsequente Wegsehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der wochenspiegel am 4. November 2012 um 12:45 Uhr.