Beim CSD Ende Mai in Dresden ist ein Plakat mit der Aufschrift "Lieb' doch, wen du willst" zu sehen.
FAQ

Analyse zur Ehe für alle Ein Verstoß gegen das Grundgesetz?

Stand: 30.06.2017 04:01 Uhr

Vor allem aus der Union gibt es Stimmen, die sagen, die Ehe für alle sei nur mit einer Grundgesetzänderung möglich. Was sind die rechtlichen Hintergründe? Und wie wahrscheinlich ist eine Klage in Karlsruhe?

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion und Tobias Sindram, SWR

Wie soll die Ehe für alle eingeführt werden?

Wenn der Bundestag über die Ehe für alle abstimmt, geht es vor allem um die Ergänzung des Eheparagraphen im Bürgerlichen Gesetzbuch. § 1353 BGB beginnt bisher mit dem Satz: "Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen." Nach dem Gesetzentwurf des Bundesrats sollen sieben Wörter den Unterschied machen: "Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen."

Das Grundgesetz soll demnach aber nicht geändert werden. Hierfür wäre - anders als bei der geplanten Änderung des BGB - nicht nur eine einfache Mehrheit nötig. Bundestag und Bundesrat müssten dann mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen.

Wir argumentieren die Kritiker?

Aus Sicht der Kritiker reicht es nicht, das BGB zu ändern, vielmehr soll eine Grundgesetzänderung nötig sein, und zwar von Artikel 6 Grundgesetz. Dessen erster Absatz lautet: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung."

Aus Sicht der Kritiker meint Ehe im Sinne des Grundgesetzes allein die Ehe zwischen Mann und Frau. Sie berufen sich unter anderem auf "die Mütter und Väter des Grundgesetzes", die das Grundgesetz vor seinem Inkrafttreten 1949 ausgearbeitet haben. Die hätten damals nur an Ehen zwischen Männern und Frauen gedacht. Außerdem verweisen die Kritiker darauf, dass auch das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zur Ehe immer von einer Ehe zwischen Mann und Frau ausgegangen sei.

Ein lesbisches Paar liest mit seinem Sohn auf dem Sofa

Bislang können Homosexuelle nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen.

Was hat das Bundesverfassungsgericht bisher entschieden?

Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen bisherigen Entscheidungen immer davon ausging, dass die "Ehe" im Grundgesetz die Ehe zwischen Mann und Frau meint. Mehrere Urteile sprechen von einem "prägenden Strukturmerkmal der Ehe". Anderseits betonen die Verfassungsrichter z.B. in der Entscheidung über die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft von 2002, dass die Ehe nicht von den Veränderungen in der Gesellschaft ausgeschlossen sei. Auf diese Veränderungen könne der Gesetzgeber reagieren und die Ehe gewandelten Bedürfnissen anpassen.

Wichtig ist: Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts mit diesen Aussagen sind jeweils in dem konkreten Kontext zu sehen, in dem sie gefallen sind. Als 2001 die Lebenspartnerschaft für Homosexuelle eingeführt wurde, klagten die Bundesländer Bayern, Sachsen und Thüringen dagegen. Sie sahen damals schon in der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft einen Verstoß gegen den Schutz der Ehe, also Artikel 6 Grundgesetz.

Die Mehrheit der Verfassungsrichter entschied aber, dass kein Verstoß vorliegt. Die Richtermehrheit sagte, die Lebenspartnerschaft nehme der klassischen Ehe zwischen Mann und Frau nichts weg. Und: Ein sogenanntes "Abstandsgebot" bestehe nicht. Der Staat müsse die Ehe (zwischen Mann und Frau) zwar fördern und könnte sie auch nicht einfach abschaffen. Aber, er müsse die Ehe zwischen Mann und Frau nicht zwingend besser ausgestalten als die ohne Grundgesetzänderung eingeführte Lebenspartnerschaft für Homosexuelle.

Die entscheidende Frage, ob Artikel 6 des Grundgesetzes einer Ehe zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau entgegensteht, also erst geändert werden muss, bevor der "einfache Gesetzgeber im BGB die Ehe für alle einführt, hat das Bundesverfassungsgericht bisher jedenfalls nicht ausdrücklich entschieden. 1993 entschieden drei Verfassungsrichter einer Kammer nur den umgekehrten Fall, nämlich die Frage, ob aus Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz für Homosexuelle sogar ein Anspruch besteht, eine Ehe schließen zu dürfen. Das lehnten sie damals ab.

Welche Bedeutung hat der Wille der Mütter und Väter des Grundgesetzes?

Daran, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes Ende der 1940er-Jahre bei "Ehe" allein die Ehe zwischen Mann und Frau im Blick hatten, besteht kein Zweifel. Allerdings wird in Deutschland - anders als in den USA - nicht vertreten, dass die Verfassung immer streng nach dem Willen des ursprünglichen Gesetzgebers auszulegen ist. Was damals - also bei Verabschiedung des Grundgesetzes - gemeint war, ist zwar ein wichtiger Ausgangspunkt für die Frage, wie das Grundgesetz auch heute zu verstehen ist. Aber die Verfassungsrichter haben auch immer betont, dass beim Auslegen der Verfassung Platz für gesellschaftlichen Wandel ist.

So haben die Verfassungsrichter in ihrer Entscheidung zur Adoption durch eingetragene Lebenspartner festgestellt, dass sich auch eingetragene Lebenspartner in bestimmten Konstellationen auf das "Elterngrundrecht" in Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz berufen können. Und das, obwohl für die Väter und Mütter des Grundgesetzes gleichgeschlechtliche Eltern "schlicht außerhalb des damaligen Vorstellungshorizontes" lagen, so die Richter.

Könnte der Bundespräsident das Gesetz stoppen?

Der CDU-Politiker Patrick Sensburg hat den Bundespräsidenten ins Spiel gebracht und gesagt, es bleibe abzuwarten, ob der das Gesetz überhaupt unterzeichne. Zwar kann der Bundespräsident die Unterzeichnung eines Gesetzes ablehnen, wenn er ein Gesetz für verfassungswidrig hält. Allerdings haben die Bundespräsidenten selbst in Fällen, in denen sie große Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit hatten, nur sehr selten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Das liegt daran, dass ein solcher Gesetzesstopp eine starke Einmischung des Staatsoberhaupts in die Mehrheitsentscheidung des Gesetzgebers ist. Vor allem aber können Gesetze gegebenenfalls auch anders gestoppt werden, und zwar vor dem Bundesverfassungsgericht. Unabhängig davon, ob Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überhaupt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Ehe für alle ohne Grundgesetzänderung hat, scheint ein Stopp durch den Bundespräsidenten also eher unwahrscheinlich.

Sind Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht denkbar?

Es dürfte gar nicht so einfach sein, das Thema vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Der Journalist Christian Rath verweist in der "taz" darauf, dass Verfassungsbeschwerden von einzelnen Bürgern ausscheiden. Denn durch die Einführung der Homo-Ehe hat niemand einen persönlichen Nachteil. Heterosexuelle Eheleute werden schließlich nicht schlechter gestellt, und ein Abstandsgebot - nach dem die Ehe für Heterosexuelle besser sein müsste als die Lebenspartnerschaft für Homosexuelle - gibt es laut Verfassungsgericht nicht.

Damit das Gesetz direkt überprüft wird, müssten entweder die Bundesregierung, ein Viertel der Bundestagsabgeordneten oder eine Landesregierung das beantragen. Man bräuchte also z.B. 158 Bundestagsabgeordnete für eine Klage in Karlsruhe. Nicht jeder Abgeordnete, der gegen die Ehe für alle ist, wird aber auch gegen sie klagen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 29. Juni 2017 um 16:00 Uhr und tagesschau24 am 30. Juni 2017 um 09:00 Uhr.