
Nach Orkan "Friederike" War der Stopp aller Fernzüge nötig?
Stand: 19.01.2018 19:08 Uhr
Wegen des Orkans "Friederike" stellte die Bahn erstmals seit 2007 den gesamten Fernverkehr ein. Kritiker rügen diese Entscheidung und zweifeln an der Begründung.
Von Alexander Westermann und Alina Stiegler, NDR
"Friederike" hat den Fernverkehr der Deutschen Bahn zum ersten Mal seit 2007 bundesweit zum Erliegen gebracht: Nachdem die Bahn zunächst Verbindungen in den vom Orkan stark betroffenen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen eingestellt hatte, wurde ab dem späten Donnerstagnachmittag bundesweit der gesamte Fernverkehr eingestellt.
Die Folge: Viele Reisende strandeten an den großen Verkehrsknotenpunkten im Land, mussten in Aufenthaltszügen und Hotels übernachten oder ihre Weiterreise anders organisieren. Die Bahn begründete ihre Entscheidung mit Sicherheitsrisiken für Fahrgäste und Personal. Man wolle auch vermeiden, dass volle Züge mitten auf der Strecke stehen bleiben, weil möglicherweise Bäume im Gleisbett den Weg versperrten, so die Begründung.
Pro Bahn kritisiert Vorgehen der Deutschen Bahn
tagesschau 20:00 Uhr, 19.01.2018, Anna Buch, NDR
Kritik von Pro Bahn
Der Fahrgastverband Pro Bahn kritisierte diese Argumentation: "Es ist sicherlich richtig, dass man dort, wo Gefahr besteht, den Verkehr auch vorsorglich einstellt. Aber die Gefahr bestand eben nicht überall und kein Kunde versteht, wenn irgendwo ein Regional- oder ein Güterzug fahren kann, dass dann ein Fernzug nicht fahren kann", sagt Karl-Peter Naumann. Private regionale Eisenbahnunternehmen wie der Metronom oder die Mittelrheinbahn seien schließlich auch auf freigegebenen Strecken gefahren.
"So ein Sturm weht nicht überall gleichmäßig"
Auch der Schweizer Bahnexperte und Chefredakteur der "Eisenbahn Revue International", Walter von Andrian, wundert sich über das Vorgehen: "Die pauschale Vorgehensweise für das ganze Land erscheint mir fragwürdig, denn so ein Sturm weht nicht überall gleichmäßig, das muss regional entschieden werden." Er sieht auch finanzielle Gründe als Ursache:
"Heute stehen ganz offensichtlich nicht mehr die Kunden, sondern allein die Kosten im Vordergrund. Früher als Staatsbetrieb hatte die Bahn die Pflicht, die Menschen zu transportieren. Jetzt ist der Gewinn das oberste Führungsprinzip - und wenn die Bahn zweifelt, ob sie überall sicher und kostendeckend fahren kann, stellt sie den Verkehr in diesem Fall lieber netzweit ein."
Die Bahn weist das zurück. Allein die Entschädigung der Fahrgäste koste das Unternehmen viel Geld, erklärt eine Bahnsprecherin:
"Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass wir fahren und unsere Kunden befördern wollen. Wir haben einen Sturm, der quer durch Deutschland ging. Das betrifft alle langlaufenden Linien und hat dann auch Auswirkungen auf den Verkehr in weniger betroffenen Regionen."
Pro Bahn fordert Umdenken
Nach den schweren Herbststürmen "Xavier" und "Herwart" ist "Friederike" der dritte Sturm innerhalb weniger Monate, der den Bahnverkehr massiv beeinträchtigt. Pro Bahn fordert daher ein Umdenken bei künftigen ähnlichen Wetterlagen. Die Bahn brauche ein Konzept für Notfälle, wenn Strecken gesperrt seien, meint Naumann. "Man muss sich dann überlegen, ob man auf bestimmten Abschnitten Pendelverkehre einrichten kann, denn es gibt ja Leute, die wollen von Mainz nach Köln oder von Hamburg nach Hannover und die kann man nicht einfach im Regen stehen lassen, vor allem dann nicht, wenn man dort fahren könnte."
Der Fernverkehr wurde im Laufe des Freitags wieder aufgenommen. Die Bahn beklagte Sturmschäden in Millionenhöhe, mindestens 200 Streckenabschnitte müssen nach Unternehmensangaben repariert werden.