
Vor Orientierungsdebatte Bundestag diskutiert Impfpflicht
Geht es im Bundestag um ethische und moralische Fragen, werden die Debatten meist intensiv und persönlich. Das dürfte heute nicht anders werden, wenn die Abgeordneten erstmals über eine Impfpflicht debattieren.
Orientierung soll die auf drei Stunden angesetzte Debatte geben. Orientierung in einer hochumstrittenen Frage: "Das ist für uns, das haben wir schon im Dezember gesagt, eine medizin-ethische Frage, die es von allen Seiten abzuwägen gilt", sagt FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Es sind die Liberalen, die einer Impfpflicht eher skeptisch gegenüberstehen und verhindert haben, dass die rot-grün-gelbe Regierungskoalition einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorlegt.
"Kein Antrag der Koalition. Es handelt sich ausdrücklich um eine Entscheidung, die aus der Mitte des Deutschen Bundestages getroffen wird". FDP-Chef Christian Lindner betont die Vorteile, die es habe, wenn sich die Bundestagsabgeordneten ohne Fraktionsdisziplin und in aller Offenheit austauschen. Auch abweichende Meinungen würden so Gehör finden.
"Wir wissen, dass es viele Bedenken gibt in der Öffentlichkeit, die diskutiert werden." Und deshalb sei eine transparente, öffentliche Debatte im Bundestag besonders wichtig, findet auch Britta Haßelmann, die Fraktionschefin der Grünen.
Entscheidung muss in der Politik allgemein akzeptiert werden
Angesichts des hohen Konfliktpotentials sei der Bundestag und die Gewissensentscheidung jedes und jeder einzelnen Abgeordneten hilfreich, um für Akzeptanz und Befriedung bei der Impfpflicht zu sorgen.
Nur heißt das auch, dass die Entscheidung, die rauskommt, in der Politik auch allgemein akzeptiert werden muss. Und das könnte zum Beispiel aus Sicht des Gesundheitsministers im Worst Case auch sein, dass keine Allgemeine Impfpflicht kommt.
Das gibt die Bonner Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach mit Blick auf das Ende des parlamentarischen Verfahrens zu bedenken.
Drei Stoßrichtungen
Heute werden die unterschiedlichen Vorschläge und Positionen erst einmal erklärt und diskutiert. Dabei wird es voraussichtlich am Ende drei Anträge, drei Stoßrichtungen geben. Szenario eins: Die Ablehnung einer Impfpflicht. Die fordert Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki und - nach seinen Angaben - über 30 Abgeordnete. Bis auf wenige Ausnahmen gehören sie alle der FDP-Fraktion an. Nicht umsetzbar sei die Impfpflicht, und es sei unlogisch, Grundrechtseinschränkungen mit einer Mutante zu begründen, die noch keiner kennt.
"Da ist möglicherweise eine gestufte Impfpflicht, beispielsweise nach Altersgruppen - und eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren", so FDP-Fraktionschef Dürr zu zwei weiteren Vorschlägen. Sie stammen von Abgeordneten der Ampel-Fraktionen, also von SPD, Grünen und FDP.
Scholz jetzt für eine Impfpflicht
Die AfD fordert im Bundestag schon länger, dass keine Corona-Impfpflicht eingeführt wird. Wie viele Politiker im Deutschen Bundestag war auch Kanzler Olaf Scholz, SPD lange gegen die Impfpflicht. Jetzt verteidigt er sie, "angesichts der Tatsache, dass die Impfquote in Deutschland nicht hoch genug ist, um den ausreichenden Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten."
Ob sich Union und Linke an Gruppenanträgen beteiligen werden, ist noch offen: "Wir können und wollen uns nicht raushalten", erklärt Linken-Chefin Janine Wissler. Fraktionsübergreifende Gruppenanträge fände sie grundsätzlich gut, aber noch gebe es viele offenen Fragen - zum Beispiel nach der Umsetzbarkeit einer Impfpflicht und nach den Sanktionen. Man tausche sich noch aus innerhalb der Fraktion. "Bisher gibt es meines Wissens keine Linke, die angekündigt haben, Gruppenanträge zu unterstützen."
Die Union hatte immer wieder darauf gedrungen, dass die Regierung einen Entwurf vorlegt. Auch kurz vor der Orientierungsdebatte kritisiert Fraktionschef Ralph Brinkhaus: Die Koalition verhalte sich wie eine "Minderheitsregierung", die die Unterstützung der Opposition suche. Die Union werde auf eine Lösung mit einem Impfregister hinarbeiten, kündigte der Fraktionsvorsitzende an.