
Herausforderungen der Omikron-Welle Was bringt die Corona-Warn-App noch?
Mit der rasant steigenden Zahl an Neuinfektionen nimmt auch die Zahl der Warnmeldungen in der Corona-Warn-App zu. Doch welchen Nutzen hat die App noch? Experten meinen, dass sie an Omikron angepasst werden sollte.
Als Paul Lukowicz vor ein paar Tagen die Corona-Warn-App auf seinem Smartphone öffnet, sieht er das, was man dort nicht sehen möchte: eine rote Warnmeldung - "erhöhtes Risiko". Lukowicz ist Professor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern. Am Tag, an dem er laut App einen Risikokontakt hatte, war er im Skiurlaub in Österreich.
"Ich weiß jetzt aber leider nicht: Schlägt die App Alarm, weil ich dort im Restaurant war, in dem auch eine infizierte Person saß? Oder stand ich nur zu lange mit Maske am Skilift in der Schlange und hinter mir befand sich eine infizierte Person?" Für die Risikobewertung sei das ein entscheidender Unterschied, so Lukowicz. Doch die App teilt einem nicht den genauen Zeitpunkt einer Risikobegegnung mit. "Datenschutz ist sicher wichtig, aber bei der App hat man es übertrieben", sagt der Experte. "Ohne Kontext, etwa zur Uhrzeit, ist der Nutzen sehr begrenzt. Denn am Ende kann der Mensch das Risiko besser einschätzen als die Technik allein."

Forscher Paul Lukowicz: "Datenschutz ist sicher wichtig, aber bei der App hat man es übertrieben."
Mehr als 40 Millionen Downloads
Mehr als 40 Millionen Mal wurde die Corona-Warn-App inzwischen heruntergeladen. Bei einer roten Warnmeldung wird empfohlen, nach Hause zu gehen, sich möglichst zu isolieren, auf Symptome zu achten und testen zu lassen. Die Zahl dieser Risikomeldungen durch die Nutzer der App ist angesichts der ansteckenden Omikron-Variante zuletzt deutlich angestiegen - und dürfte bald weiter steigen.
Aber wie sinnvoll ist das überhaupt noch, wenn wichtige Kontextinformationen fehlen? Müsste die App umfassend angepasst werden?
"Sensitivität der App müsste erhöht werden"
"Gerade in der jetzigen Phase der Omikron-Welle bringt die App noch etwas", sagt Timo Ulrichs, Epidemiologe an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaft in Berlin. Denn die Menschen seien nach den Feiertagen wieder mobiler, Restaurants noch offen. Die App könne hier unbemerkte Risikokontakte sichtbar machen.
Aber: "Wenn die Infektionszahlen rasant steigen, werden höchstwahrscheinlich wieder deutliche Einschränkungen im öffentlichen Leben kommen. Dann ist auch der Nutzen der App geringer", sagt Ulrichs. Er spricht sich dafür aus, dass die App an die Omikron-Variante angepasst werden sollte. Denn die App schlägt Alarm, wenn eine Risikobegegnung mindestens neun Minuten dauert und weniger als zwei Meter Abstand eingehalten wurden. Das letzte Update zu dieser Berechnungsgrundlage soll vom April vergangenen Jahres stammen - also lange vor der Entdeckung der Omikron-Variante. "Hier müsste man die Sensitivität der App erhöhen, weil die Omikron-Variante ansteckender ist", sagt Epidemiologe Ulrichs.

Epidemiologe Timo Ulrichs spricht sich dafür aus, dass die Warn-App an die Herausforderungen der Omikron-Welle angepasst wird.
RKI sieht Voraussetzungen nicht gegeben
Das Robert Koch-Institut, Herausgeber der Corona-Warn-App, sieht das bislang anders. Es teilt auf Anfrage mit: "Wir beobachten das Infektionsgeschehen kontinuierlich und prüfen vor diesem Hintergrund regelmäßig mögliche Änderungen der Corona-Warn-App. Eine Anpassung der Tracing-Funktion der CWA für Omikron durch engere Schwellwerte bei Distanz oder Zeitdauer führt zwangsläufig zu einem deutlichen Anstieg von Warnungen. Dies gilt es mit dem konkreten Infektionsrisiko durch die Omikron-Variante abzuwägen. Nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand sind die Voraussetzungen für diese Anpassung heute nicht gegeben."
Die Mitteilung der Uhrzeit einer Risikobegegnung sei aufgrund von Vorgaben von Google und Apple sowie aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich, heißt es weiter, "da es sonst in vielen Fällen möglich wäre, auf die Identität des Kontaktes zu schließen."
Personalisierte Warnmeldungen je nach Impfstatus?
Für die Bundestagsabgeordnete und Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg ist die Corona-Warn-App derzeit "das einzige Mittel, das überhaupt noch eine zeitnahe Kontaktnachverfolgung möglich macht". Viele Gesundheitsämter, die eigentlich für diese Aufgabe zuständig sind, kämen dem bereits nicht mehr nach. "Die App ist da die schnellste Möglichkeit, um Menschen zu warnen. Und eine rote Kachel hat ja auch einen psychologischen Effekt. Sie verdeutlicht: Es ist wichtig, sich zurückzunehmen - und mal lieber nicht die Oma zu besuchen."
Auch Domscheit-Berg spricht sich für eine Weiterentwicklung der App aus. So könne etwa das in der App hinterlegte Impfzertifikat berücksichtigt werden. Dadurch könnten personalisierte Warnungen je nach Impfstatus angezeigt werden. Eine solche Unterscheidung gebe es schließlich bereits bei den Quarantäneregeln. Ein Ungeimpfter würde dann in der App eine andere Warnbotschaft erhalten als ein Geimpfter, also noch kritischer gewarnt werden. "Das wäre sinnvoll", sagt Domscheit-Berg.
Informatik-Professor Lukowicz sieht das ähnlich. Seine Vorstellung: Eine persönliche Risikoeinschätzung, die der Nutzer am Ende jedes Tages in der App dargestellt bekommt.
Problem mit Impfzertifikat für Genesene
Dass so ein Feature kommt, ist derzeit jedoch unwahrscheinlich. Die neue Version der Corona-Warn-App hat aber eine andere Funktionserweiterung: Mit ihr sollen Nutzer ihre Impfbescheinigung direkt übermitteln können, wenn sie zum Beispiel online ein Ticket kaufen und der Veranstalter einen entsprechenden Nachweis verlangt.
Das Bundesgesundheitsministerium teilt außerdem mit, dass ein Fehler, der Genesene betrifft, bald behoben werden soll. Genesene konnten bislang in der App ihre zweite Impfung nicht als Auffrischungsimpfung hinterlegen - die App verlangte auch hier drei von drei Impfungen. Künftig soll es dafür ein eigenes Zertifikat geben. Dieses soll auch für Menschen gültig sein, die geboostert sind und vormals mit einem Impfstoff geimpft wurden, der nur eine Dosis erfordert. Die technische Umstellung für das Zertifikat soll laut Bundesgesundheitsministerium bis zum 1. Februar erfolgen.