
Abstimmung im Bundestag Warum die Impfpflicht gescheitert ist
Falscher Zeitpunkt, fehlende Einigkeit in der Koalition und keine Kompromissbereitschaft bei der Union: Die Corona-Impfpflicht ist vorläufig gescheitert. Doch die Debatte ist noch nicht vorbei.
Ende November des vergangenes Jahres hatte Bundeskanzler Olaf Scholz eine Impfpflicht angekündigt, sie sollte bis spätestens Anfang März kommen. Doch die Suche nach einem Kompromiss zog sich und scheiterte nun mit einem Abstimmungsergebnis, das deutlicher ausfiel als erwartet: nur 296 Ja-Stimmen für die Impfpflicht ab 60 Jahren und die Beratungspflicht für alle Ungeimpften. Dagegen waren 378 Abgeordnete. Da half auch nicht, dass Außenministerin Annalena Baerbock extra vom NATO-Treffen aus Brüssel zurückkam, um ihre Stimme im Bundestag abzugeben.
Eine Debatte, die zu spät kam
Einen Grund für das Scheitern der Impfpflicht sprach ein Unionsabgeordneter im Bundestag an: Die Debatte nun zu führen, sei zu spät, sagte Erich Irlstorfer. Denn die Omikron-Welle flaut langsam ab - und sie sorgte ohnehin für mehr milde Krankheitsverläufe als noch die Delta-Variante im vergangenen Herbst.
Die Regierung ist auf Lockerungskurs, gerade hat sie die Maskenpflicht abgeschafft. Die Dringlichkeit für eine Impfpflicht schien vielen wohl nicht mehr allzu groß. Und in seiner Unentschiedenheit spiegelt der Bundestag vielleicht auch die Meinung in der Bevölkerung wider. Diverse Umfragen zeigen zwar durchaus eine Mehrheit für eine Impfpflicht - doch aus welchem Grund und wie genau die aussehen soll, da gibt es große Unterschiede.
So ist es auch im Bundestag. Und angesichts des unklaren Meinungsbildes in der Bevölkerung ist es vielleicht besser, keine Impfpflicht zu beschließen als eine, die nur mit Ach und Krach eine Mehrheit gefunden hätte. Denn einen solchen Grundrechtseingriff müsste die Politik dann zumindest mit breiter Brust vertreten können.
Eine Koalition, die uneins war
Dem Parlament ist die Verständigung auf eine Impfpflicht auch deshalb nicht gelungen, weil in der Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP wieder einmal die unterschiedlichen Sichtweisen in der Corona-Politik aufeinanderprallten.
Zwar warb neben Scholz auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach unermüdlich für eine Impfpflicht ab 18 Jahren. Doch ein harter Kern rund um den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki blieb überzeugt davon, dass diese Beschneidung der persönlichen Freiheit nicht gerechtfertigt sei.
Überzeugungen, die grundsätzlich verschieden waren
Diese grundlegend unterschiedlichen Ansichten wurden in der Bundestagsdebatte deutlich: "Es ist nicht die Aufgabe des Staates, erwachsene Menschen gegen ihren Willen zum Selbstschutz zu zwingen", sagte Kubicki. Sein FDP-Kollege Andrew Ullmann hielt dagegen: "Lieber Wolfgang, es geht nicht um Selbstschutz, sondern um Fremdschutz."
Vorsorge für den Herbst zu treffen, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen - das wollten einige SPD-, Grünen- und auch FDP-Abgeordneten. Doch selbst mit Unterstützung einzelner Linker reichte es nicht. Das ist auch ein Schlag für Gesundheitsminister Lauterbach, der sowieso gerade wegen seines Zickzack-Kurses in der Corona-Politik in der Kritik steht.
Ein Kompromiss-Antrag, dem Unterstützer fehlten
Wie schwierig es war, einen Kompromiss zu finden, zeigte allein schon das lange Ringen im Bundestag. Ungezählte Gesprächsrunden führten zu keinem Ergebnis. Erst als zu Beginn der Woche die Gruppe, die eigentlich eine Impfpflicht ab 18 Jahren wollte, sich offen für eine Impfpflicht erst ab 50 zeigte, kam etwas Bewegung in die Sache.
Immerhin konnten so zwei verschiedene Anträge aus der Koalition, die auf unterschiedliche Art für eine Impfpflicht waren, zu einem gemeinsamen verschmolzen werden - wenn dies auch unter Zeitdruck und mit Zähneknirschen geschah.
Das wiederum schreckte aber ein paar Unterstützerinnen und Unterstützer der FDP ab - darunter prominente Namen wie Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann. Sie hätten einer Impfpflicht nur zugestimmt, wenn sie erst im Herbst eingesetzt worden wäre, nicht schon jetzt.
Eine Union, die auf dem eigenen Antrag beharrte
Und dann war da noch die Union, die keine Bereitschaft zeigte, auf die anderen zuzugehen. Sie beharrte auf ihrem Antrag als den besten und einzigen Kompromiss. Natürlich ist sie als Opposition keineswegs verpflichtet, der Regierung Mehrheiten zu verschaffen. Dennoch sieht konstruktive Opposition anders aus.
Nun müssen das die Abgeordneten von CDU/CSU auch vor ihren eigenen Ministerpräsidenten - die ausdrücklich für eine allgemeine Impfpflicht waren - verantworten. Darauf wies die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta in der Debatte hin: CDU und CSU würden nicht nur der Regierung eins mitgeben, sondern auch ihren Leuten in den Ländern und Kommunen. Natürlich könne man noch eine Runde drehen, wie die Ärztin es formulierte. Aber das koste Zeit.
Eine Corona-Welle, die noch kommen könnte
Die Union gibt sich kompromissbereit, der gesundheitspolitische Sprecher Tino Sorge will "die Tür zur Versöhnung offenhalten", sagte er.
Vielleicht wird das Parlament diese Tür noch brauchen. Die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr, die für eine Impfpflicht ist, prophezeit: "Im Winter behaupten, man habe es nicht kommen sehen, kann dieses Jahr keiner mehr."
Es ist also durchaus möglich, dass mit einer neuen Corona-Welle im Herbst die Debatte um eine Impfpflicht wieder aufkommt.