Hubert Aiwanger, Spitzenkandidat der Freien Wähler, links, mit Markus Söder, CSU-Spitzenkandidat und Ministerpräsident von Bayern
Analyse

Streit in bayerischer Koalition Söder und Aiwanger im Vorwurfskarussell

Stand: 03.08.2021 04:43 Uhr

Der Impfstreit in der bayerischen Koalition dreht sich weiter und weiter. Ministerpräsident Söder und sein Vize Aiwanger hören nicht auf mit gegenseitigen Vorwürfen. Im Bundestagswahlkampf wird das zur Belastungsprobe.

Eine Analyse von Regina Kirschner, BR

Es kracht seit Tagen donnernd laut zwischen den beiden bayerischen Regierungsfraktionen, der CSU und den Freien Wählern. Ministerpräsident Markus Söder, der sich seit Monaten als vorderster Corona-Bekämpfer präsentiert, liegt im Clinch mit seinem Vize, Hubert Aiwanger von den Freien Wählern. Der will sich selbst nicht impfen lassen und spricht öffentlich von Impf-Nebenwirkungen bei denen ihm "die Spucke weg bleibt".

In der Paarforschung würde man sagen: Das Vorwurfskarussell wurde in Schwung gebracht. Der eine kritisiert, der Partner ist sauer und kritisiert zurück. Die gegenseitigen Vorwürfe nehmen kein Ende. Alles dreht sich im Kreis.

Eine "Unverschämtheit"

Im konkreten, politischen Fall ist es ähnlich. Da liegt der Anfang einen Monat zurück. Damals forderte Söder von seinem Vize-Ministerpräsidenten vor laufenden Kameras, zu seinem Impfstatus Stellung zu nehmen. Aiwanger bekräftigte, er wolle sich aus persönlichen Gründen nicht impfen lassen und legt seither Wert darauf, dass er das Thema von sich aus nie aufs Tableau gebracht hätte.

In den sozialen Medien war der Zuspruch für ihn groß. Also legte der Freie Wähler-Chef nach, warnte vor einer "Apartheidsdiskussion" in der Impfdebatte und verschärfte seine impfskeptischen Aussagen in einem Deutschlandfunk-Interview. Daraufhin warf ihm Söder im ZDF vor, die gleiche Wortwahl wie AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel zu verwenden. Es dauerte nicht lange, da folgte Aiwangers Konter. Er nannte die Aussagen des CSU-Chefs eine "Unverschämtheit".

Impfstreit beschert Aiwanger Aufmerksamkeit

Zu stoppen, so sagen es zumindest Paartherapeuten, ist ein solches Vorwurfskarrussel nur auf einer sachlichen Ebene und durch Entschuldigungen beider Partner. Doch Söder und Aiwanger sind kein Ehepaar, sondern Politiker im Wahlkampfmodus. Und im Wahlkampf geht es emotional zu. Entschuldigungen gelten als Fehlereingeständnisse und werden vermieden. Ob den beiden die bundesweite Aufmerksamkeit durch die wilde (Vorwurfs-)Karrussellfahrt im Wahlkampf vielleicht sogar gelegen kommt?

Aiwanger will als Spitzenkandidat die Freien Wähler in den Bundestag führen - am liebsten gleich in die Regierung. Seit einigen Wochen wirkt er geradezu euphorisch bei diesem Gedanken. Der passionierte Jäger hat sein Ziel ins Visier genommen: "Ich will jetzt nicht in erster Linie andere Parteien jagen, sondern ich jage dem Ziel hinterher, Deutschland zu retten", sagte Aiwanger kürzlich dem BR

Und Söder? Der will als CSU-Chef die Union in der neuen Bundesregierung sehen und versteht dabei nicht nur die Grünen als starke Konkurrenz. Gerade auf dem Land könnten die Freien Wähler der CSU einige Wähler abwerben. Die Sorge davor macht sich nun auch im Wahlkampf deutlich bemerkbar.

CSU legt Aiwanger Rücktritt nahe

Der Impfstreit in der bayerischen Koalition wird immer heftiger. Die CSU legt Aiwanger jetzt sogar nahe, vom Amt als Vize-Ministerpräsident abzutreten. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer sagte dem "Münchner Merkur", Aiwanger betreibe "billiges Kalkül" für den Wahlkampf: "Er muss sich überlegen, ob er stellvertretender Ministerpräsident bleiben kann."  

Krach gab es in den vergangenen Wochen und Monaten schon häufiger. Söder und Aiwanger - das ungleiche Regierungsduo, hat sich insbesondere beim Thema Corona bereits mehrmals in die Haare gekriegt.

Stratege Söder vs. Bauchmensch Aiwanger

Auf der einen Seite: Der fränkische Großstädter Söder, der Fußballvergleiche liebt und zuletzt zum Thema Wahlkampf der Union sagte, es sei besser wie im Fußball "auch noch mal selbst zu stürmen und offensiv zu werden". Seine Taktik: Guter Sturm, sichere Abwehr, ganz nach dem Motto: "Wir dürfen keine Leichtsinnsfehler machen." 

Bekannt ist Söder vor allem als politischer Stratege, der nichts dem Zufall überlässt und in Sachen Corona-Bekämpfung bundesweit Vorreiter sein will. "Vorsicht und Umsicht" sind die Schlagworte, die seine Corona-Politik prägen.

Auf der anderen Seite: Der Niederbayer Aiwanger, der gerne im Dorf wohnt, sich kürzlich sogar "vom politischen Establishment" distanzierte und als Bauchpolitiker gilt. Als bayerischer Wirtschaftsminister war er derjenige, der in der Corona-Politik schnell für Öffnungen von Gaststätten, Geschäften und Hotels plädierte. Nicht nur in diesem Punkt muss er sich immer wieder Populismus vorwerfen lassen. Seine Sprüche sind oft derb, aber auf den Punkt. Zumindest in Bayern ist er für seine oft unterhaltsamen Reden bekannt.

Gerne präsentiert er dabei Rechenaufgaben, wie zuletzt, um die Risiken des Impfens zu verdeutlichen: "Der eine kriegt eine Allergie, wenn er fünf Nüsse isst, und dem anderen tun 50 Nüsse nichts. Jetzt kann ich nicht sagen, jeder muss zehn Nüsse essen, dann ist das gut. Für den einen ist es zu wenig, und der andere kriegt eine fette Allergie."    

Zerbricht die Koalition in Bayern?

Fußballvergleiche und Rechenaufgaben - das klingt erst einmal irgendwie komisch. Doch gelacht wird darüber derzeit nicht. Eher stellt sich die Frage: Hat der Streit ums Impfen das Potenzial, die schwarz-orange Koalition in München in eine echte Krise zu stürzen?

Am Beginn der Auseinandersetzung beschwichtigte Aiwanger noch: Das sei politisches Alltagsgeschäft. Narben blieben keine, jedenfalls wenn keine weiteren Wunden dazu kämen. "Da darf man keine beleidigte Leberwurst sein." Doch nun gab es weitere Wunden und die Zeit bis zur Wahl ist so gesehen noch lange.

Trotzdem ist es mehr als unwahrscheinlich, dass die Koalition platzt. Vor der Bundestagswahl am 26. September würde das auch der CSU nur schaden. Und danach? Da hofft man, dass wieder Ruhe einkehrt. Im Grunde sei man sich ja in vielen Dingen einig und die Regierungsarbeit funktioniere sehr gut, betonen beide Seiten.

Profitieren am Ende AfD und FDP?

Aus Freie Wähler-Kreisen heißt es, der Impfstreit sei mittlerweile eher zu etwas Persönlichem zwischen Aiwanger und Söder geworden. Man versuche derzeit, zu deeskalieren. Schließlich gilt: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Die Angst, dass am Ende FDP oder gar AfD von alldem profitieren könnten, ist groß.

Ob die Streitschlichtung, oder, um im Bild zu bleiben, die Paartherapie, funktioniert, bleibt abzuwarten. Der Bauchpolitiker Aiwanger gilt schließlich als eigensinnig und meistens beratungsresistent. Und der Fußballfan Söder? Der ist bei politischen Mitspielern wie Gegnern dafür bekannt, dass er gerne selbst das Tor schießt und sich auch nicht immer dem Fairplay verpflichtet fühlt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 29. Juli 2021 um 17:00 Uhr.