Interview

Politikwissenschaftler analysiert Landtagswahl "Bremen ist wie ein Mikrokosmos"

Stand: 11.05.2015 11:53 Uhr

Die SPD mobilisiert nicht, die Grünen ohne Handschrift, die CDU hinter den Erwartungen zurück: Die Bremer Landtagswahl kennt viele Verlierer. Politologe Probst analysiert im Interview mit tagesschau.de die Hintergründe und die Folgen für die Bundespolitik.

tagesschau.de: Offensichtlich reicht es in Bremen für Rot-Grün. Allerdings müssen beide Regierungsparteien Verluste hinnehmen. Die SPD fährt sogar das schlechteste Ergebnis seit 70 Jahren ein. Was sind die Gründe dafür?

Lothar Probst: Die SPD hat ihre eigenen Wähler nicht mobilisieren können. Über diesem Wahlkampf lag eine eigentümliche Lethargie. Es gab keine Aufreger-Themen, keine Polarisierung, kein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kandidaten oder Lagern. Niemand traute der Opposition zu, das Land wirklich anders als Rot-Grün zu regieren.

Der Sparkurs, den die Regierung seit acht Jahren fährt, trug auch seinen Teil bei. Das enttäuschte manchen Wähler, vor allem manchen Wähler der SPD, der sich mehr soziale Wohltaten erhoffte.  Bremen ist tief gespalten, weist mehr als andere Städte arme und reiche Stadtteile auf. Diese Spaltung hat sich unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung vertieft. All das drückt auf die Stimmung.

Zur Person

Lothar Probst ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der Universität Bremen. Seine Forschungsgebiete sind unter anderem die politische Kultur und interkulturelle Studien. Probst forscht zu neuen sozialen Bewegungen und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten zu den Grünen.

tagesschau.de: Dass die SPD ihre Wähler nicht mobilisieren kann – ist das nicht nur ein Bremer Problem der SPD, sondern auch ein bundespolitisches?

Probst: Ich bin vorsichtig, diese Wahl zu sehr bundespolitisch zu interpretieren, aber ja: Die SPD hat insgesamt ein Problem, ihre Wähler zu mobilisieren. Wenn man sich die Umfragen anschaut, verharrt die SPD in einem Korridor von 25 bis 28 Prozent.

Offenbar haben sich die Nachwirkungen der Agenda 2010 immer noch nicht verflüchtigt, trotz aller Anstrengungen wie der Einführung des Mindestlohns oder der Frauenquote. Angesichts der Stärke einer Kanzlerin wie Angela Merkel werden diese Erfolge nur begrenzt wahrgenommen.  

Spardruck überlagert ökologische Themen

tagesschau.de: Die Grünen profitierten 2011 vom Reaktorunfall von Fukushima, konnten also ein grünes Kernthema besetzen. Warum haben sie es immer noch nicht geschafft, dazu Alternativen anzubieten?

Probst: Die Grünen hatten es doppelt schwer, eine grüne Handschrift zu hinterlassen, denn im Stadtstaat Bremen besetzen sie das Finanzressort. Die grüne Finanzsenatorin und Spitzenkandidatin Karoline Linnert musste ständig Sparmaßnahmen verkünden, was ihr in der Öffentlichkeit auch angekreidet wurde. Dahinter verschwanden die ökologischen Themen.

Auch gegen die Große Koalition im Bund können die Grünen ihre Kernthemen kaum deutlich machen. Beispiel Energiewende: Dieses ehemalige grüne Kernthema wird inzwischen von einem sozialdemokratischen Vizekanzler, von Sigmar Gabriel, verwaltet. Das würde anders aussehen, wenn die Grünen nach der Bundestagswahl die Koalition mit Merkel nicht verweigert hätten.

Weder im Bund noch in Bremen ist das grüne Führungspersonal gegenwärtig in der Lage, mit ökologischen Themen in die Offensive zu kommen.

tagesschau.de: Inwieweit versäumen es Grüne wie Sozialdemokraten, mit Personal und Persönlichkeiten zu punkten?

Probst: Das jetzige Spitzenpersonal der Grünen hat es nicht geschafft, sich nach der Wahlniederlage bei der Bundestagswahl als schlagfertige Führung zu etablieren. Anton Hofreiter und Karin Göring-Eckart als Fraktionsvorsitzende schaffen es einfach nicht, die Rolle des Oppositionsführers zu besetzen, das macht Gregor Gysi von der Fraktion der Linkspartei. Auch die grünen Parteivorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir können kaum bundespolitische Akzente setzen.

Bei der SPD liegt die Sache ein wenig anders. Gabriel konnte die Partei nach innen einen. Er ist der erste Parteivorsitzende seit geraumer Zeit, der länger als zwei Jahre im Amt ist. Aber seine Versuche, die Partei mit Themen wie Wirtschaftskompetenz in der Breite wählbar zu machen, zünden bislang nicht. Das ist bislang nur Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz gelungen. Er konnte wirtschaftliche und soziale Kompetenz miteinander verbinden.

tagesschau.de: Ob die AfD in die Bürgerschaft einzieht, ist genau so offen wie die Zukunft der Partei überhaupt. Bedeutet die Wahl in Bremen also zumindest einen Wendepunkt in der jungen Parteigeschichte oder vielleicht sogar den Anfang vom Ende?

Probst: Es deutet wenig darauf hin, dass es in absehbarer Zeit möglich ist, die Konflikte in der AfD zu befrieden. Wir haben es bei den Piraten erlebt: Wenn es nicht gelingt, nach schnellen Erfolgen eine Partei nach innen zu konsolidieren, wird es extrem schwer. Die Wähler reagieren sehr sensibel auf solche Konflikte und Flügelkämpfe. Sollte es zur Spaltung kommen, sehe ich nicht, dass die AfD oder eine Nachfolgepartei sich dauerhaft im Parteiensystem etabliert.

tagesschau.de: Zu den Gewinnern gehört die FDP, für Parteichef Christian Lindner der Beweis, dass man auch bundespolitisch auf dem richtigen Kurs ist. Sehen Sie das auch so?

Probst: Es ist verständlich, dass Lindner das Bremer Ergebnis so interpretiert. Aber nach Hamburg und Bremen stehen die wirklich wichtigen Wahlen im nächsten Jahr an, und die werden zur Nagelprobe für die FDP.

Sowohl in Hamburg als auch in Bremen konnte die FDP mit zwei Frauen im Zentrum des Wahlkampfs punkten. In Bremen wurde die liberale Spitzenkandidatin Lencke Steiner, die bis zur Wahl noch parteilos war, von einem ausgekügelten Marketingkonzept in Szene gesetzt. Sie traf die Stimmung in der Bremer Wirtschaft, eine zweite bürgerliche Partei neben der CDU in die Bürgerschaft zu bringen. Aber bis zur Renaissance der FDP auf Bundesebene ist es noch ein weiter Weg.

Frauen punkten für FDP und Linkspartei

tagesschau.de: Die Linkspartei hat in Bremen eines ihres besten Wahlergebnisse in den alten Bundesländern erzielt. Wie erklären Sie sich das?

Probst: Die Linkspartei hat in den letzten vier Jahren unter ihrer Fraktionsvorsitzenden Kristina Vogt eine konstruktive Oppositionspolitik gemacht – mal mit der Regierung gestimmt, mal sogar mit der CDU gemeinsame Sache gemacht.

Außerdem haben sie ihren Wahlkampf ganz auf die wachsende Schere zwischen Arm und Reich konzentriert und den Sparkurs der rot-grünen Koalition bekämpft. Das hat ihnen sowohl Wähler von Rot-Grün als auch aus dem Umfeld der Gewerkschaften zugetrieben.

tagesschau.de: Auch die CDU konnte zulegen, wenn auch nur leicht. Ist das ein Erfolg, der über Bremen hinaus strahlt?

Probst: Ich glaube nicht, dass man dieses Ergebnis als Erfolg bezeichnen darf. Die CDU wollte 25 Prozent plus x erreichen, da fehlen mindestens zwei Prozentpunkte. Und: Die CDU ist weit davon entfernt, eine konstruktive eigene Koalition gegen Rot-Grün in Bremen setzen zu können.

Von daher ist das Ergebnis für die CDU kein Ausweis eines Wachstumsprozesses in den Großstädten. Da sind die positiven Umfragen auf Bundesebene politisch wertvoller.

tagesschau.de: Die Wahlbeteiligung war so niedrig wie nie bei einer Landtagswahl in Westdeutschland. Wie sehr muss das auch der Bundespolitik zu denken geben?

Probst: Die Politik muss sich Gedanken machen, wie sie die Menschen erreichen will, die sich offensichtlich komplett aus dem System des Wählens verabschieden. Daran wird auch auf Bundesebene bereits gearbeitet. Denken Sie zum Beispiel an die Dialogforen, die verschiedene Ministerien bereits aufgebaut haben, auch in der Reaktion auf die „Pegida“-Bewegung, die durchaus als Alarmzeichen verstanden wurde.

Aus der Wahlforschung wissen wir, dass die Menschen besonders häufig dort nicht wählen, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist. Wer viele Transfer-Leistungen wie Hartz IV bekommt, erwartet oft wenig von der Politik. Bremen mit seiner tiefen Spaltung in reiche und arme Viertel ist dieser Beziehung für die Bundesrepublik wie ein Mikrokosmos.

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de