
Militärhilfe Ausbildung nicht zwingend "Kriegseintritt"
Welche völkerrechtlichen Folgen hätte es, wenn Deutschland ukrainische Soldaten an Waffensystemen ausbilden würde? Eindeutig geklärt ist das nicht, vergleichbare Präzedenzfälle gibt es kaum. Die Folgen wären wohl eher politischer Art.
Die politische Diskussion um Art und Umfang möglicher Waffenlieferungen für die Ukraine läuft auf Hochtouren. Auf (noch) hypothetischer Ebene wird dabei nun auch eine weitere Frage aufgeworfen: Welche rechtlichen Folgen hätte es, wenn Deutschland nicht nur Waffensysteme in die Ukraine schicken würde, sondern auch ukrainische Soldaten und Soldatinnen an diesen Waffen ausbilden würde?
Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags diskutiert, ob Deutschland damit zur Kriegspartei werden würde.
Ukraine darf sich gegen Russland verteidigen
Zunächst, gewissermaßen "vor die Klammer gezogen", ist festzuhalten: Unter Völkerrechtlern besteht große Einigkeit in diesem Punkt: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt einen klaren Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta dar. Auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat die Aggression Russlands festgestellt, ausdrücklich missbilligt und Russland zum Abzug seiner Truppen aufgefordert. Daraus leitet sich ab: Die Ukraine hat in der gegenwärtigen Situation ein Recht zur Selbstverteidigung.
Diese kann, ebenfalls laut Charta der Vereinten Nationen, "individuell oder kollektiv" ausgeübt werden. Die Ukraine hat ausdrücklich um Unterstützung ersucht. Das heißt in völkerrechtlicher Sicht: Eine Unterstützung der Ukraine durch andere Staaten ist voll vom Völkerrecht gedeckt. Das schließt nicht nur Waffenlieferungen ein, sondern theoretisch sogar das Entsenden von Kampftruppen. Das haben zwar alle unbeteiligten Staaten bislang ausgeschlossen - völkerrechtlich zulässig wäre es allerdings. Die Frage, wann ein Staat dabei selbst zur Konfliktpartei oder Kriegspartei wird, ist damit noch nicht geklärt. Klar ist allerdings: Kriegspartei zu sein bedeutet nicht, völkerrechtswidrig zu handeln.
Waffenlieferungen sind rechtlich keine "Beteiligung"
Viele Staaten, auch Deutschland, liefern schon Waffen an die Ukraine. Auch hier besteht unter Völkerrechtlern einhelliger Konsens: Das macht einen Staat noch nicht zum Beteiligten am Krieg. Ob eine damit einhergehende Einweisung ukrainischer Soldaten und Soldatinnen daran etwas ändert, ist nicht endgültig geklärt. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages sagt in seinem Gutachten: "Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei beziehunsgweise Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen."
Zum Beleg zitiert das Gutachten aus einem Interview der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) mit dem Bochumer Völkerrechtler Pierre Thielbörger vom 13. März: "An sich sind Waffenlieferungen allein noch keine Kriegshandlung", sagt der dort. "Es gibt keine Staatenpraxis, die das annimmt. Anders könnte es sein, wenn es eine Beratungsleistung gibt, wie Waffen zu gebrauchen sind. Aber auch hier bleibt die Betrachtung des Einzelfalls ausschlaggebend."
Waffenausbildung nicht zwingend "Kriegsbeteiligung"
Andere Völkerrechtler legen sich fest: Selbst die Ausbildung anderer Soldaten an Waffensystemen mache aus einem unbeteiligten Staat keinen beteiligten. Die Fälle, in denen Deutschland tatsächlich diese Rolle einnähme, seien sehr eng begrenzt. "Es gibt in meinen Augen nur zwei mögliche Szenarien, nach denen Deutschland gesichert zur Kriegspartei wird", sagt Philipp Dürr vom Institut für Öffentliches Recht und Völkerrecht der Universität Bonn. "Erstens: Russland greift uns direkt an, oder zweitens: Deutschland schickt Soldaten der Bundeswehr zum aktiven Kampfeinsatz in die Ukraine."
Ersteres Szenario könne man ohnehin nicht kontrollieren, da es allein von Putin abhänge - der ja auch die Ukraine angegriffen habe, ohne dass diese einen objektiven Grund geliefert habe. Zweiteres Szenario ist unwahrscheinlich, denn es wird von allen westlichen Regierungschefs ausgeschlossen. Es hätte völkerrechtlich zur Folge, "dass die deutschen Soldaten im Kampfeinsatz in der Ukraine und Schiffe der deutschen Marine auf hoher See angegriffen werden könnten", so Dürr. "Jegliche Militärschläge auf deutschem Territorium würden weiterhin als Angriffskrieg einzustufen und als Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot anzusehen sein."
Deutschland hätte dann in diesem Fall das Recht zur Selbstverteidigung dagegen, so wie es aktuell auch der Ukraine zusteht. Zudem würde dies dann auch den Bündnisfall nach NATO-Vertrag auslösen. Die anderen Staaten des Verteidigungsbündnisses wären dann verpflichtet, Beistand zu leisten.
Präzedenzfälle sind rar
Handfeste Urteile zur Frage, wie die Waffenausbildung durch "externe Staaten" völkerrechtlich zu bewerten ist, sind rar. Im Jahr 1986 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag entschieden, dass die USA das völkerrechtliche Interventionsverbot verletzten, indem sie in Nicaragua die Rebellengruppe der "Contras" unterstützen - und sie dabei auch militärisch ausbildeten.
Der Fall ist aber mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine kaum zu vergleichen, da es dort um einen innerstaatlichen Konflikt ging. Die USA reagierten damals also nicht auf einen bewaffneten Angriffskrieg, bei dem ein souveräner Staat um Hilfe ersuchte. Als Beleg für einen "Kriegseintritt" durch eine Waffenausbildung dürfte das IGH-Urteil daher nur sehr begrenzt verwertbar sein.
Aus rein völkerrechtlicher Sicht ist die Debatte um eine Ausbildung ukrainischer Kämpfer an Waffensystemen somit nicht besonders strittig. Davon unabhängig ist, wie ein solcher Schritt politisch bewertet wird. Hier gehen die Ansichten weit auseinander.