Ein gefechtsbereites Flugabwehrraketensystem vom Typ ·Patriot· des Flugabwehrraketengeschwaders 1 der Bundeswehr steht auf dem Flugfeld des Militärflughafens Schwesing.

Prominente und Wissenschaftler Appell gegen "massive Hochrüstung"

Stand: 22.03.2022 17:26 Uhr

Mit einem öffentlichen Appell protestieren Prominente, Wissenschaftler und Politiker gegen die geplante massive Aufrüstung der Bundeswehr. Mehr Geld für das Militär mache die Welt "nicht friedlicher oder sicherer".

Von Marcel Heberlein, ARD Berlin

Kurzer Satz, große Wirkung: "Putin will ein russisches Imperium errichten", sagte Kanzler Olaf Scholz neulich im Bundestag - und hat daraus die Notwendigkeit von allerlei großen Entscheidungen abgeleitet. Wenn es nach Scholz geht, soll ein Sondervermögen für die Bundeswehr ins Grundgesetz geschrieben werden, 100 Milliarden Euro für neue Waffen. Mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen dauerhaft in die Armee investiert werden. Deutschland soll massiv aufrüsten.

"Das hat mich und viele andere in dieser drastischen Zeitenwende schockiert", sagt dagegen Julia Schramm. Die Politikerin sitzt im Bundesvorstand der Linkspartei und ist eine der Initiatorinnen von "Der Appell", einem Aufruf von Prominenten aus Politik, Kultur und Wissenschaft, die sich gegen die Aufrüstungspläne der Regierung richten.

Initiative fürchtet um Kürzungen in anderen Bereichen

Klaus Dörre, Soziologieprofessor an der Uni Jena, macht schon der schiere Geldbetrag für die Bundeswehr Sorgen: "Das Geld, was man für Waffen ausgibt, wird anderswo fehlen. Aus meiner Sicht vor allem bei der wirksamen Bekämpfung des Klimawandels." Die Initiative fürchtet, dass auch im sozialen und kulturellen Bereich gekürzt werden könnte, um die Rüstungspläne zu finanzieren.

Auch die sicherheitspolitischen Argumente für mehr Aufrüstung überzeugen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Aufrufs nicht. "Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer", heißt es im Appell.

"Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen"

"Wieviele Panzer, bewaffnungsfähige Drohnen oder Tornados halten eigentlich Atomwaffen auf?", fragt Ingar Solty von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linkspartei nahesteht. Soll heißen: Eine Atommacht wie Russland ist durch konventionelles Kriegsgerät eh nicht zu beeindrucken. Und schon jetzt seien die Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten fast zwanzigmal so hoch wie die von Russland.

Die Initiative lässt keinen Zweifel, bei wem sie die Schuld für den aktuellen Krieg in der Ukraine sieht. "Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen", heißt es im Aufruf. "Putin trägt die volle Verantwortung für die Toten und die Menschen auf der Flucht." Die massive Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben und eine Grundgesetzänderung lasse sich damit aber nicht rechtfertigen. Das Maßnahmenpaket der Regierung sehe die höchste Steigerung der Rüstungsausgaben seit dem Zweiten Weltkrieg vor, und damit "eine Wende der deutschen Außenpolitik um 180 Grad".

Initiative fordert gesellschaftliche Debatte

Wie diese Wende politisch herbeigeführt wird, auch das ist den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern nicht geheuer. Ex-Juso-Chefin Franziska Drohsel etwa findet es "problematisch, wenn etwas, was vielleicht schon als gesellschaftlicher Nachkriegskonsens bezeichnet werden kann - 'nie wieder Krieg, nie wieder Aufrüstung" - wenn das soeben mal mit einer Rede im Bundestag ad acta gelegt werden soll." Und dieser Konsens sei ja "nicht aus gesellschaftlichem Hippietum entstanden."

Eine politische Auseinandersetzung über die 100 Milliarden für die Bundeswehr wird es im Parlament noch geben. Doch der Initiative reicht das nicht. Sie fordert eine breite gesellschaftliche Debatte.

Unterzeichnet haben den Appell im Internet bisher rund 3000 Menschen, etwa die Schauspieler Robert Stadlober und Katja Riemann, die Theologin Margot Käßmann, Politiker wie Gregor Gysi von der Linkspartei oder die Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich sowie Künstler wie Bela B. von den Ärzten.

Marcel Heberlein, Marcel Heberlein, ARD Berlin, 22.03.2022 16:52 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell am 22. März 2022 um 16:34 Uhr.