
Ermittlungen gegen Großfamilien Kampf gegen kriminelle Clan-Szene
Stand: 30.01.2019 16:39 Uhr
Raub, Drogenhandel oder Rotlichtmilieu - vor allem in Nordrhein-Westfalen kämpft die Polizei gegen Kriminelle in arabischen Clans. Doch einige fühlen sich zu Unrecht beschuldigt.
Von Nina Ostersehlte, WDR
"Aggressiv ist der Modus, der uns antreibt. Richter im Visier. Ihr seid nicht so wie wir. Habe Rücken wie Gorilla." In einem spärlich beleuchteten Essener Tonstudio rappt sich der Musiker Ghazi die Wut aus dem Leib.
Er ist frustriert über die aktuelle Berichterstattung über arabische Großfamilien. Auch er hat libanesische Wurzeln, kokettiert in seinen Musikvideos mit Clan-Verbindungen, Gewalt und Drogenkriminalität. Er bediene nur das Klischee, das die Medien und die Polizei ihm auferlegen: "Man versucht, uns in eine Schublade zu stecken. Nur weil einer kriminell ist, sind nicht alle kriminell."
Rapper Bushido und seine Clanverbindungen
Das Clan-Thema geht über das Essener Tonstudio hinaus, über Berlin bis in die Medien. Erfolgsserien wie "4Blocks" oder "Dogs Of Berlin" finden viele Zuschauer. Und es ist der bundesweit bekannte Rapper Bushido, der mit seinen Clanverbindungen immer wieder in der Presse auftaucht. Nachdem sich der Musiker von seinem ehemaligen Geschäftspartner, einem der bekanntesten Clan-Chefs in Deutschland, Arafat Abou-Chaker, getrennt hat, soll dieser versucht haben, Bushidos Kinder zu entführen. Nun soll ein anderer Clan, der Remmo-Clan, Bushido Schutz geben.
Aber auch durch spektakuläre Raubüberfälle auf das Berliner KaDeWe oder den Raub einer schweren Goldmünze aus dem Bode-Museum, schaffen es Clans immer wieder in die Presse.
Organisierte Kriminalität
Abseits der Musikszene und Boulevardpresse geht es um konkrete Fälle der Organisierten Kriminalität. 2017 wurden laut Bundeskriminalamt bundesweit 39 Verfahren im Bereich Organisierte Kriminalität geführt, die Bezüge zu arabischen und türkischen Clans hatten. In Essen kam es 2018 zu 15 Ermittlungsverfahren im Bereich der Clan-Kriminalität. Dabei kam es alleine in der Ruhrmetropole zu einer Vermögensabschöpfung von insgesamt 800.000 Euro.
Großangelegte Razzien in NRW
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul hat daher eine "Null-Toleranz-Strategie" gegenüber Clankriminalität ausgerufen. Seit Wochen gehen Sicherheits- und Ordnungsbehörden mit großangelegten Razzien gegen kriminelle Strukturen innerhalb arabischer Großfamilien vor. Alleine in Essen gab es laut neuster Zahlen der Polizei Essen im Januar 2019 320 Durchsuchungen, unter anderem bei der größten Razzien gegen Clan-Kriminalität in der Geschichte Nordrhein-Westfalens Anfang des Monats. Hierbei wurden 14 Verdächtige festgenommen, unversteuerter Tabak, Messer und Schlagstöcke sichergestellt.
Der Kriminologe Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum kritisiert die Aktion. "Generell seien solche Großrazzien eher eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme als eine angemessene kriminalpolizeiliche Maßnahme", sagt Feltes.
Dennoch rütteln diese "Nadelstiche" die Szene auf, meint Thomas Rüth, Sozialarbeiter der AWO Essen, der seit Jahrzehnten mit der Community arbeitet. "Die Leute werden nervös. Wir scheuchen da Strukturen auf. Ich erlebe, dass das viel Unruhe in die Großfamilien bringt." Er warnt aber ebenfalls davor, alle Mitglieder arabischer Großfamilien unter Generalverdacht zu stellen. Nicht jeder, der zu einem Clan gehöre, werde auch gleich kriminell.
Problem Integration
Die Mitglieder arabischer Großfamilien sind in den 1980er-Jahren vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland geflohen. Sie haben arabische, kurdische, türkische und libanesische Wurzeln. Bis Ende der Neunziger kamen laut Schätzungen bis zu 200.000 Menschen in die Bundesrepublik.
In der Vergangenheit seien damals viele Fehler gemacht worden, so Nordrhein-Westfalens Innenminister Reul: "Die Menschen wurden nicht integriert, erhielten Duldungen, der Zugang zum Arbeitsmarkt wurde ihnen zunächst verwehrt." So seien Parallelwelten entstanden.
Der Essener Rapper Ghazi kritisiert die misslungene Integration: "Wir sind gekommen als Flüchtlinge, als Kriegsflüchtlinge. Wir wurden in Randbezirke geschoben, ausgegrenzt. Wo soll ich mich da integrieren?"
Duldungsstatus wird weitervererbt
Diese Situation hat sich für die Betroffenen noch nicht verbessert, denn der Duldungsstatus wird an ihre Kinder weitervererbt. Bereits in dritter Generation sind die Menschen mit libanesischer Einwanderungsgeschichte nur geduldet, obwohl sie in Deutschland geboren wurden. In Essen zum Beispiel leben derzeit 1000 dieser Menschen mit unsicherer Bleibeperspektive.
Experten sind sich daher sicher: Das Problem kann nicht allein von polizeilicher Seite aus gelöst werden. Die Themen Duldung, Perspektivlosigkeit, Integration müssen ebenfalls angegangen werden. Das brauche Zeit, meint Rüth von der AWO. Das Thema sei leider auch keines, womit man schnelle Erfolge erzielen könne, sondern das seien Strategien, die mindestens zehn Jahre dauern würden.
Ebenfalls sollen mehr Informationen über Clankriminalität gesammelt werden. Im Mai wird das BKA in ihrem Bundeslagebild zur Organisierten Kriminalität erstmalig auch auf "Kriminelle Mitglieder von Großfamilien ethnisch abgeschotteter Subkulturen" schauen.
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