
Warnung des Verfassungsschutzes "Steil ansteigender Antisemitismus"
Immer häufiger kommt es in Deutschland zu Gewalt- und Straftaten gegen Juden oder jüdische Einrichtungen, sagt Verfassungsschutzpräsident Haldenwang. Um Antisemitismus zu bekämpfen, sei die gesamte Gesellschaft gefragt.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sieht einen "steil ansteigenden Antisemitismus in Deutschland". In den vergangenen zwei Jahren habe die Zahl der Straf- und Gewalttaten gegen Juden und jüdische Einrichtungen erheblich zugenommen, sagte er in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" anlässlich des ersten Jahrestags des Anschlags auf die Synagoge in Halle. Die Sorge jüdischer Mitbürger vor Anfeindungen bis hin zu gewaltsamen Attacken auf offener Straße seien berechtigt.
"Hier müssen die Sicherheitsbehörden äußerst wachsam sein", sagte der Verfassungsschutzpräsident. "Vor allem muss der Gesellschaft ins Bewusstsein gebracht werden, gemeinsam gegen aufkommenden Antisemitismus vorzugehen." Mit Blick auf den Attentäter von Halle sowie den Angriff auf einen Juden am vergangenen Wochenende in Hamburg erklärte Haldenwang, dass den Behörden nicht nur organisierte Gruppen, sondern auch radikalisierte Einzeltäter große Sorgen machten.
Bei Radikalisierungsprozessen ließen sich Grundmuster beobachten, "die sich bei Rechtsextremisten, Islamisten und anderen Extremisten kaum unterscheiden", betonte Haldenwang. Solche Leute suchten oft nach Schuldigen für ihre desolate Lebenssituation und meinten dann, die Ursache bei gesellschaftlichen Minderheiten zu finden.
Schäuble fordert besseren Schutz von Juden
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagte zu Beginn der heutigen Plenarsitzung in Berlin, der Angriff von Hamburg zeige, "dass wir in unserem konsequenten Einsatz gegen gewaltbereiten Antisemitismus und beim Schutz von Bürgern jüdischen Glaubens in unserem Land schnell und deutlich besser werden müssen." Zum Jahrestags von Halle sprach er den Angehörigen der Ermordeten sein Mitgefühl aus. Man sei in Gedanken bei ihnen und bei denen, die bis heute an den Folgen der Tat litten.
Judenhass ist "Schande für unser Land"
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bezeichnet Judenhass als "Schande für unser Land". Der Terroranschlag von Halle bleibe ein unfassbares Verbrechen. Gegen Antisemitismus müsse noch konsequenter vorgegangen werden, erklärte Lambrecht. Außerdem sei es wichtig, das Vertrauen der Betroffenen in die Strafverfolgungsbehörden zu stärken. Bislang würde bei Übergriffen viel zu selten Anzeige erstattet. Die Bekämpfung des Antisemitismus ist heute auch Thema bei den Beratungen der EU-Justizminister.
Anschlag hat alles verändert
Maßnahmen, um Taten wie in Halle künftig zu verhindern, hält auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff für unabdingbar. Der Anschlag vor einem Jahr habe "faktisch alles verändert". "Die gesamte Sicht auf die gesellschaftliche Situation wurde durch dieses furchtbare Attentat und diese Verbrechen beeinflusst", sagte Haseloff dem MDR. Seit dem würden jüdische Einrichtungen besser geschützt und jüdisches Leben stärker gefördert. Die Landesregierung habe zudem eine Studie in Auftrag gegeben, um die Ursachen von Antisemitismus in Sachsen-Anhalt zu analysieren.