
AfD unterliegt vor Gericht Beobachten erlaubt
Das Verwaltungsgericht Köln sieht bei der AfD "tatsächliche Anhaltspunkte" für extremistische Bestrebungen. Die Protagonisten des aufgelösten "Flügels" übten weiterhin maßgeblichen Einfluss innerhalb der Partei aus.
In langen Reihen stehen dicke Aktenordner hinter der Richterbank und hinter den Prozessvertretern des Bundesamts für Verfassungsschutz und der AfD. Auch daran merkt man: Es ist ein komplexes und umfangreiches Gerichtsverfahren. Das große öffentliche Interesse plus Pandemie haben dafür gesorgt, dass das Verwaltungsgericht Köln für diese Verhandlung umgezogen ist. Vom Stammgebäude in der Nähe des Doms hinüber auf die andere Rheinseite, in den "Kristallsaal" der Kölner Messe.
Nach einer wahren Marathonverhandlung von 10 Uhr morgens bis in den Abend verkündete der Vorsitzende Richter um kurz vor zwanzig Uhr die Urteile. Das Ergebnis lautet im Kern: Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD-Gesamtpartei als "Verdachtsfall" für extremistische Bestrebungen einstufen und als Geheimdienst beobachten.
Laut Gesetz muss der Verfassungsschutz für die Einstufung als Verdachtsfall "tatsächliche Anhaltspunkte" für extremistische Bestrebungen vorlegen. Also Fakten, keine bloßen Vermutungen. Die Gutachten und Materialsammlungen des Bundesamtes mit zahlreichen Äußerungen aus der Partei haben diese Hürde aus Sicht des Kölner Gerichts genommen.
Die mündliche Urteilsbegründung am späten Abend war allerdings ungewöhnlich kurz für so ein großes Verfahren und bestand nur aus wenigen Sätzen. Aus der Pressemitteilung des Gerichts sind zumindest einige Argumente des Gerichts zu entnehmen. Ein "ethnisch verstandener Volksbegriff" sei ein zentrales Parteiziel der AfD. Danach müsse das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten und sollten "Fremde" möglichst ausgeschlossen werden. Dies weiche vom Volksbegriff des Grundgesetzes ab.
"Ausländerfeindliche Agitation"
Außerdem sei eine "ausländerfeindliche Agitation" zu erkennen. Das Gericht zitiert hier den verwendeten Begriff "Messer-Migranten". Die Partei befinde sich in einem "Richtungsstreit", bei dem sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen könnten. Weitere Argumente werden in der schriftlichen Urteilsbegründung folgen. Zur Begründung stützt sich das Gericht auch auf Aktivitäten und Aussagen des besonders umstrittenen "Flügels". Diese Gruppierung innerhalb der AfD sei zwar inzwischen formal aufgelöst worden. Seine Protagonisten übten laute Gericht aber weiterhin maßgeblichen Einfluss innerhalb der Partei aus. Auch die die Jugendorganisation "Junge Alternative" darf laut Gericht als Verdachtsfall eingestuft werden.
Teilerfolge der AfD
Die AfD hatte argumentiert, das Vorgehen des Verfassungsschutzes sei allein politisch motiviert und verletze das Recht auf Chancengleichheit der Parteien. Damit hatte sie im Kern keinen Erfolg. Allerdings bei einigen Teilaspekten. Den "Flügel" durfte das Bundesamt zum Beispiel nicht als "gesichert extremistische Bestrebung" einstufen. Nach der formalen Auflösung fehle es heute an der nötigen Gewissheit, ob insoweit überhaupt ein Beobachtungsobjekt existiere. Der Verfassungsschutz hätte die Mitgliederzahl des "Flügels" auch nicht öffentlich mit 7000 angeben dürfen, so das Gericht. Eine reine Schätzung habe hier nicht ausgereicht.
Bei "Verdachtsfall" geheime Überwachung möglich
Wenn wie bei der Gesamtpartei AfD ein "Verdachtsfall" vorliegt, darf der Verfassungsschutz die Gruppierung mit geheimen nachrichtendienstlichen Mitteln "beobachten". Zum Beispiel darf er: V-Leute anwerben, also Informanten aus dem Umfeld der Partei sammeln. Personen observieren oder unter bestimmten weiteren Bedingungen sogar die Telekommunikation überwachen. Die Maßnahmen müssen dabei immer verhältnismäßig sein.
Folgen für Beamten, Richter oder Soldaten?
Eine mögliche Folgefrage der Urteile lautet nun: Kann die Einstufung als Verdachtsfall zum Problem für Beamte, Richter oder Soldaten werden, die Mitglied der AfD sind? Denn für Staatsdiener gilt traditionell der Grundsatz der "Verfassungstreue". Rechtlich dürfte die grobe Richtung hier lauten: Die reine Mitgliedschaft in der Partei reicht für Konsequenzen noch nicht aus. Für ein mögliches Disziplinarverfahren müssten weitere Pflichtverletzungen hinzukommen. Jeder Einzelfall müsste genau geprüft werden.
Rechtsmittel möglich
Das Verwaltungsgericht Köln ist die erste Instanz in diesem Verfahren. Es ist gut möglich, dass der Fall noch weiter durch die Instanzen zum Oberverwaltungsgericht in Münster und zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geht. Und ab wann darf der Verfassungsschutz die AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten? Jedenfalls nicht erst dann, wenn das heutige Urteil einmal durch alle Instanzen gegangen und rechtskräftig geworden ist. Die Lage ist insoweit etwas kompliziert.
Das Kölner Gericht hatte dem Bundesamt im März 2021 per "Hängebeschluss" im Eilverfahren untersagt, die AfD als Verdachtsfall einzustufen und zu beobachten. Dieser Beschluss wurde mit dem Urteil heute formal noch nicht wieder aufgehoben. Das dürfte aber laut Gericht "zeitnah" passieren.
Danach dürfte der Verfassungsschutz dann mit der Beobachtung der AfD beginnen. Sofern ihm höhere Gerichte keinen Strich durch die Rechnung machen.