Heiko Maas

Afghanistan Fehleinschätzungen und Schuldzuweisungen

Stand: 20.08.2021 12:35 Uhr

Chaos am Flughafen Kabul, Verzweifelte wollen ausfliegen: Dass es so weit kam, hat auch mit Fehlern des Westens zu tun. Außenminister Maas - selbst schwer unter Druck - sieht auch andere in der Verantwortung.

Von Kai Küstner, ARD Berlin

Der Bundesaußenminister versucht, aus der Defensive zu kommen. Tagelang prasselte Kritik auf Heiko Maas ein - jetzt kritisiert er selbst den Bundesnachrichtendienst. Und das durchaus deutlich: Heiko Maas sagte dem "Spiegel", der BND habe für Afghanistan offensichtlich eine falsche Lage-Einschätzung vorgenommen, so wie andere Dienste auch. Die Entscheidungen, die auf Grundlage dieser - nach Maas' Einschätzung - fehlerhaften Berichte getroffen wurden, seien "im Ergebnis falsch gewesen, mit katastrophalen Folgen", so Maas. Womit er also zumindest einen Teil der Verantwortung von den eigenen Schultern auf die der Geheimdienstler abzuwälzen versucht - und auch Rücktrittsforderungen begegnet.

Maas' Vorgänger und SPD-Parteifreund Sigmar Gabriel sieht für einen Ministerwechsel keinen Anlass: "Das ist ja nicht das Problem eines einzelnen Außenministers in Deutschland, sondern insgesamt eine Blamage der NATO", sagte Gabriel dem WDR.

BND: Lage zuletzt falsch eingeschätzt

Sicher auch kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt, in diesen von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägten Tagen, noch etwas ans Licht kommt: Der Bundesnachrichtendienst habe die Bundesregierung bereits seit vielen Jahren vor einem Zusammenbruch des afghanischen Staates gewarnt, berichtet der "Spiegel".

Gleichzeitig hatte BND-Chef Bruno Kahl nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios am Donnerstag vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium einräumen müssen, die Lage zuletzt falsch eingeschätzt zu haben. Der Geheimdienst hatte noch am Freitag erklärt, die Taliban würden die Macht in Kabul nicht vor dem 11. September übernehmen. Doch schon zwei Tage später, am Sonntag, kontrollierten die Extremisten die afghanische Hauptstadt. Auch Außenminister Maas war unter Druck geraten, weil er Warnungen der Deutschen Botschaft in Kabul ignoriert hatte, wie ARD-Recherchen zeigten.

Arbeit der Nachrichtendienste im Fokus

Maas verlangt nun Konsequenzen für die Art, wie der deutsche Nachrichtendienst arbeitet. Und der Verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Henning Otte, findet, man müsse die Sicherheitsarchitektur neu aufstellen, wie er im Interview mit der ARD fordert: "Wir brauchen als Deutschland, als Europa innerhalb der NATO ein besseres Lagebild. Wir müssen die Arbeit der Nachrichtendienste verstärken."

Die Arbeit der Geheimdienste dürfte ebenso Thema bleiben wie die Arbeit der für Afghanistan zuständigen Ministerien. Dafür hatte schon CSU-Chef Markus Söder gesorgt, der klarstellte, dass er SPD-Politiker Maas nicht in einer neuen Regierung sehen möchte. Auch im Außenministerium war man noch am vergangenen Freitag davon ausgegangen, dass die Taliban Kabul zwar einzuschnüren, aber nicht zu übernehmen versuchen würden.

Schuld liegt auch im Verhalten des Westens

Auch der Afghanistan-Einsatz insgesamt, also die letzten 20 Jahre, dürften nun einer genaueren Durchleuchtung unterzogen werden. "Wir müssen uns wehren gegen Sprücheklopfereien in die Richtung: 'Wir haben versucht, den Afghanen den Weg in die Demokratie zu ebnen. Wenn die sich nicht selber helfen können, sind sie selbst Schuld.'", befand der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgan Ischinger, im Deutschlandfunk. Auch im westlichen Verhalten sollte man die Schuld suchen. Der Sündenfall sei das Abkommen von US-Präsident Donald Trump im vergangenen Jahr mit den Taliban gewesen. Die hätten von da an nur noch auf den Truppenabzug warten müssen, so Ischinger.

Derzeit versucht der Westen, versucht auch Deutschland, mit den Extremisten ins Gespräch zu kommen. Schon um die Luftbrücke aus Kabul weiter aufrecht erhalten zu können. Außer Frage steht dabei: Deutlich mehr lag bei diesen Verhandlungen in der westlichen Waagschale, als die Truppen noch in größerem Stil in Afghanistan stationiert waren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 20. August 2021 um 12:50 Uhr.