Podium des 126. Deutschen Ärztetags

Deutscher Ärztetag Warnung vor Renditedruck durch Investoren

Stand: 24.05.2022 17:29 Uhr

Der Ärztekammerpräsident warnt vor immer mehr Renditedruck im Gesundheitswesen durch Finanzinvestoren. Auch sonst steht das System vor großen Herausforderungen: Zu wenig Nachwuchs und Notstand in der Pflege.

Zum Beginn des Deutschen Ärztetages hat der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, vor einer immer stärkeren Kommerzialisierung des Gesundheitswesens gewarnt. "Es kann nicht sein, dass die Versorgung mehr und mehr denjenigen überlassen wird, deren primäres Ziel es ist, für ihre Kapitalinvestoren möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften", sagte Reinhardt. "Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Gesundheitssystem in ein profitorientiertes Franchise-System umgewandelt wird. Und wir wollen auch keine industriegleichen Abläufe in der stationären Versorgung."

Klaus Reinhardt

Der Präsident der Ärztekammer Klaus Reinhardt warnt vor der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens.

Der ärztliche Alltag werde immer mehr durch Preiswettbewerb, Kosteneffizienz und Renditestreben bestimmt. Träger von Kliniken und Finanzinvestoren von Medizinischen Versorgungszentren drängten die Ärztinnen und Ärzte immer mehr, in rein betriebswirtschaftlichen Dimensionen zu denken und nach kommerziellen Vorgaben zu handeln.

Reinhardt kritisierte auch das System der Krankenhausfinanzierung in Deutschland, die über starre Pauschalen für die Behandlungen erfolgt. Das System müsse reformiert werden. Im ambulanten Bereich müsse der Einfluss von Finanzinvestoren gesetzlich eingedämmt werden, forderte Reinhardt.

Zehntausende Ärzte stehen vor dem Ruhestand

Ein weiteres Problem des Gesundheitswesens ist der Fachkräftemangel: Eine alternde Gesellschaft brauche mehr medizinisches Personal - deshalb müssten mehr Medizinerinnen und Mediziner ausgebildet werden, sagte Reinhardt. Insgesamt waren 2021 etwas mehr als 416.000 Ärztinnen und Ärzte registriert, jede und jeder Fünfte stehe jedoch kurz vor dem Ruhestand - das entspricht mehr als 83.000 Ärztinnen und Ärzten. Hinzu komme laut Reinhardt auch bei Ärzten der verstärkte Wunsch nach Teilzeit und weniger Überstunden, weshalb man mehr Personal brauche.

Ähnlich besorgt äußerte sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der die Länder kritisierte, über ihre Universitäten nicht für ausreichend Mediziner-Nachwuchs zu sorgen: "Ich halte es für einen großen Fehler der Länder, dass man sich hier nicht engagiert." Die Lösung könne nicht sein, ärztliche Fachkräfte mit besserer Bezahlung aus anderen Ländern abzuwerben - dies sei unethisch.

Kritik von Patientenschützern: Mehr Pflege statt mehr Ärzte

Kritik an den Forderungen nach mehr Personal kommt von der Stiftung Patientenschutz. Deren Vorstand Eugen Brysch erklärte, in den Kliniken gebe es heute im Vergleich zu vor 20 Jahren 50 Prozent mehr Ärztinnen und Ärzte - die Zahl der Patientinnen und Patienten sei aber auf ähnlichem Niveau geblieben. Er nannte die Zahl von 17 Millionen Patienten, die jährlich in den Klinken behandelt werden. Auch niedergelassene Ärzte gebe es heute 30 Prozent mehr. Nicht aufgestockt worden sei dagegen das Personal in der Pflege - hier sei sogar in vielen Bereichen "radikal abgebaut" worden, sagte Brysch.

Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist die Zahl der Pflegebeschäftigten jedoch gestiegen: Innerhalb von zehn Jahren um 18 Prozent bei den Kliniken, in Pflegeheimen und im ambulanten Bereich sogar um 40 Prozent. Allerdings arbeiten überdurchschnittlich viele Beschäftigte in der Pflege in Teilzeit.

Die Zahl der Patientinnen und Patienten, die in Kliniken stationär versorgt wurden, gibt das Bundesamt für 2020 mit knapp 17,3 Millionen an - deutlich weniger als in den Jahren davor, in denen die Zahl je bei rund 19,8 Millionen gelegen hat.

Polikliniken als Lösung?

Der Verband der Ersatzkassen plädiert für modernere Versorgungsstrukturen und mehr Miteinander der unterschiedlichen Gewerke im Gesundheitswesen. Regionale Versorgungszentren, in denen Haus- und Fachärzte unter einem Dach arbeiten, könnten helfen, ländliche und strukturschwache Gegenden zu versorgen, sagte die Verbandsvorsitzende Ulrike Elsner. Gerade junge Ärztinnen und Ärzte könnten dort auch eine bessere Work-Life-Balance finden als in einer Einzelpraxis.

Um und an den Zentren könnten sich außerdem auch Apotheken, Logopäden oder Physiotherapeuten ansiedeln. In der DDR war dieses System als Poliklinik bekannt und etabliert.

Tobias Hildebrandt, BR, 24.05.2022 18:28 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 24. Mai 2022 um 17:00 Uhr.