Interview

Bundestagswahl 1983 Grünen-Triumph im Strick-Schick

Stand: 06.03.2013 02:53 Uhr

Heute vor 30 Jahren wurden die Grünen erstmals in den Bundestag gewählt. Marieluise Beck war beim turbulenten Start dabei. tagesschau.de sprach mit ihr über ihren damaligen Respekt vor dem Plenarsaal, die Botschaft lilafarbener Mohairpullis - darüber, wie sich die Grünen seit 1983 verändert haben.

tageschau.de: Wie war der Einzug ins Parlament, mit welchen Gefühlen haben Sie dort Platz genommen?

Marieluise Beck: Es hatte etwas Unwirkliches und Atemberaubendes zugleich. Auch wenn wir uns antiautoritär gaben, so hatte doch dieser altehrwürdige Plenarsaal etwas Respekt einflößendes. Schon an unserem Auftreten und äußerem Erscheinungsbild wurde der kulturelle Clash, der dort stattfand, offensichtlich: auf der einen Seite wir Grüne, die wir schon vom Aussehen her - mit langen Bärten und langen Haaren - die Generation vertraten, die sich gegen die etablierten Normen auflehnte. Und auf der anderen Seite eben die etablierten älteren Herren in ihren Anzügen. Das war ein fulminantes Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen.

Zur Person

Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck ist seit 1983 Mitglied des Deutschen Bundestages. Unter Rot-Grün war sie Migrationsbeauftragte der Bundesregierung. Seit 2005 ist Beck Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Im Europarat ist sie zuständig für die Berichterstattung zur Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine.

Auftreten mit Aussage

tageschau.de: Haben Sie es gezielt darauf angelegt, durch das Äußere zu provozieren?

Beck: Ich beherrschte ja die hohe Strickkunst und habe das getragen, was ich immer trug: fein säuberlich selbst gestrickte Pullover. An diesem Tag war es ein zartlila Mohair-Pullover mit sehr kompliziertem Strickmuster, darunter eine sorgfältig gebügelte weiße Bluse und dazu einen weiten Rock.

tageschau.de: Sie erinnern sich daran noch so genau? Es war also auch den Vertretern der Grünen wichtig, gut gekleidet im Bundestag zu sitzen?

Beck: Natürlich lag in unserem äußeren Auftreten eine Aussage. Und ich war nach damaligen Landkommunen-Vorgaben durchaus schick gekleidet. Heute mag man das anders sehen.

Eine "Anti-Parteien-Partei" mit gewaltiger Meinungsvielfalt

tageschau.de: Mit welcher politischen Haltung sind die Grünen ins Parlament eingezogen?

Beck: Es gab sehr stark das Gefühl: Wir sind keine "normale" Partei. Es gab das Bonmot von Petra Kelly von der "Anti-Parteien-Partei". Und sie sprach damals auch von der "Instandbesetzung des Bundestags". Wir hatten das Selbstverständnis, die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Initiativen zu vertreten von der Anti-AKW- und Antipershing-Bewegung bis hin zu Homosexuellen-Initiativen und der Frauenbewegung. Wir wollten Vertreterinnen und Vertreter von gesellschaftlichen Gruppen sein und nicht Politiker und Partei im herkömmlichen Sinne.

tageschau.de: Die Grünen waren damals ein sehr bunter Haufen. Wie groß waren die innerparteilichen Querelen?

Beck: Die innere Zerreißprobe war ungeheuer groß. Es gab eine wahnsinnige Vielfalt der Meinungen und politischen Verortungen von Herbert Gruhl, der als konservativer Ökologe aus der CDU kam, bis zu Jutta Ditfurth, die eine Fundamentalopposition im Parlament für angebracht hielt. Das Spannungsverhältnis reichte von links außen bis sehr konservativ.

Wir versuchten, diesen Widerspruch aufzulösen durch den Spruch: "Weder rechts noch links, sondern vorn". Aber dieser Spruch konnte nicht übertünchen, wie groß die Zerreißprobe innerhalb der Partei war.

Heftige Kämpfe um Machtfragen

tageschau.de: Was waren damals die härtesten innerparteilichen Auseinandersetzungen?

Beck: Die erste Zeit im Parlament war vor allem gekennzeichnet durch heftige Kämpfe um die Frage: Wer bekommt was? Es ging um die Verteilung von Plätzen, Startchancen und Macht innerhalb unserer Fraktion.

tageschau.de: Das heißt, es ging bei Ihnen intern gar nicht anders zu als bei den anderen Parteien?

Beck: Zumindest ging es auch bei den Grünen um Machtfragen.

tageschau.de: Wie haben die etablierten Parteien auf die Grünen reagiert?

Beck: Viele waren regelrecht fassungslos und reagierten aggressiv - aber einige eben auch mit Humor. Es gab allerdings auch ernstzunehmende Bedenkenträger. Dazu zähle ich Annemarie Renger, die vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte die Sorge hatte, hier könnten mit einer Fraktion, die sich nicht an die Regeln des Parlaments halten wollte, die Turbulenzen der Weimarer Republik zurückkehren. Und ich bin sehr froh, dass wir Grüne in den Jahren danach deutlich gemacht haben, dass dies nicht der Fall war.

Schneller Abschied von Rotation und Diätenabgabe

tageschau.de: Die Grünen standen damals für andere Formen der Politik, Sie waren für Rotation und Diätenabgabe. Was ist davon übrig geblieben?

Beck: Von diesen Vorstellungen ist nicht viel übrig geblieben. Wir haben uns relativ schnell von der Rotation verabschiedet, weil wir begriffen haben, dass wenn wir gute Abgeordnete haben wollen, wir sie nicht nach zwei Jahren wieder nach Hause schicken dürfen, wenn sie gerade begonnen haben, gegenüber der Übermacht der anderen Parteien und Ministerien einen Bein auf die Erde zu bekommen. Gott sei Dank ist diese Schnapsidee begraben worden.

Auch die Abgabe der Diäten oberhalb der Grenze von Facharbeitergehältern erwies sich als nicht so recht machbar, weil das Leben als Abgeordneter doch auch finanziell recht aufwändig ist.

tageschau.de: Waren die Grünen zu naiv?

Beck: Es gibt ja zwei Formen der Naivität. Es gibt den Glauben an das Mögliche, den ich als guten Idealismus bezeichnen würde. Anderes geschah aus Unwissen, weil es sich angesichts der Gegebenheiten im Parlament als nicht machbar erwies. Wir haben gelernt, dass nicht alle Gepflogenheiten im Parlament nur schlecht sind.

"An unseren Herzthemen drangeblieben"

tageschau.de: Sind die Grünen ihren Idealen von damals untreu geworden?

Beck: Das finde ich nicht. Wir haben uns als Partei weiterentwickelt. Unsere politischen Inhalte sind aber noch gleich. Wir sind nach wie vor die Partei, die für Ökologie steht. Wir sind die Partei, die laut Umfragen besonders überzeugend für die Gleichstellung der Frau eintritt und bei der die Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf am besten aufgehoben sind. Wir sind an unseren Herzthemen drangeblieben und haben unseren Kern erhalten.

tageschau.de: Wie haben die Grünen das Parlament verändert?

Beck: Die parlamentarische Forschung belegt, dass der Bundestag durch die Grünen in der Handhabung seiner Instrumentarien belebt worden ist. Es gab zum Beispiel kaum Aktuelle Stunden, es gab nur sehr wenige Anfragen. Das alles haben die Grünen angeschoben. 

Die Debatten haben sich auch inhaltlich verändert. Die Grünen haben zum ersten Mal im Bundestag das Thema Homosexualität angesprochen - und jetzt haben wir eine Partei mit dem "C" im Namen, die über die Gleichstellung der Homo-Ehe debattiert. Auf unsere Initiative hin ist ein Gesetz zur Gewalt in der Ehe verabschiedet worden. Damals behauptete die große Mehrheit der Abgeordneten, es gebe keine Vergewaltigung in der Ehe. Die Liste ließe sich fortsetzen. 

Wir haben diese Themen ja nicht erfunden. Die Grünen waren vielmehr die Partei, die diese wichtigen Themen aus der Gesellschaft in das Parlament hineingebracht hat.

"Wir gehen mit unseren Kräften besser um"

tageschau.de: Und wie hat die parlamentarische Arbeit die Grünen verändert?

Beck: Wir sind sehr viel besser organisiert. Wir sind nicht mehr so chaotisch. Wir haben mehr Hierarchien, sind dadurch aber auch sehr viel effizienter geworden und gehen auch mit unseren eigenen Kräften besser um.

tageschau.de: Kritiker nennen das zu angepasst. Ist da was dran?

Beck: Früher hieß es, diese Chaostruppe sei nicht wählbar. Heute sagt man uns nach, wir seien nicht mehr streitbar genug. Ich glaube, wir können mit unserer Politik- und Streitkultur in unserer Partei ganz zufrieden sein.

tageschau.de: Wie hat Marieluise Beck sich verändert in 30 Jahren parlamentarischer Arbeit?

Beck: Wer sich von seinem 32. bis zum 60. Lebensjahr nicht verändert, dem würde ich einen Beileidsbrief schicken. Natürlich habe ich in den letzten 30 Jahren viel erlebt, gelernt und mich weiterentwickelt. Und ich bin geduldiger geworden.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.