Flaggen Finnlands und der NATO
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Neues NATO-Mitglied Was bedeutet Finnlands Beitritt?

Stand: 04.04.2023 17:59 Uhr

Finnland in der NATO? Noch Anfang 2022 was das ein abwegiges Szenario. Doch Russlands Krieg gegen die Ukraine hat alles verändert. Welche Bedeutung hat der Beitritt? Wie wird Moskau reagieren? Antworten auf einige Fragen.

Von Quelle: dpa

Welche Bedeutung hat Finnlands Beitritt für die NATO?

Für die anderen Bündnisstaaten hat der Beitritt Finnlands zunächst einmal eine erweiterte Beistandspflicht zur Folge. Sollte Finnland, das an Russland grenzt, vom Nachbarn angegriffen werden, würde dies als Angriff auf alle NATO-Staaten angesehen werden - und jeder Alliierte wäre aufgefordert, Beistand zu leisten.

Durch die finnische Mitgliedschaft wird sich die direkte Grenze zwischen der NATO und Russland um rund 1340 Kilometer verlängern und damit mehr als verdoppeln. Zugleich wird das 1949 gegründete Bündnis durch Finnlands Beitritt größer und schlagkräftiger.

Nach Angaben von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verfügt das nördlichste Land der EU über gut ausgestattete und trainierte Streitkräfte und investiert derzeit in mehr als 60 hochmoderne Kampfjets vom Typ F-35. Wegen der geografischen Lage Finnlands könnten zum Beispiel die baltischen NATO-Staaten Estland, Litauen und Lettland im Fall eines russischen Angriffs deutlich besser verteidigt werden.

Was heißt das in Zahlen?

Finnland gehört nach Zahlen des International Institute for Strategic Studies (IISS) schon jetzt zu den Ländern, die jährlich zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung investieren. Dieser wichtige NATO-Richtwert wird von Deutschland und etlichen anderen Bündnispartnern derzeit nicht erreicht. Die Größe der finnischen Streitkräfte wird vom IISS mit 19.000 Männern und Frauen angegeben. Hinzu kommen rund 238.000 Reservisten. Für den Schutz der Landesgrenzen verfügt Finnland unter anderem über etwa 100 Kampfpanzer von Typ Leopard 2A6 sowie Hunderte Artilleriegeschütze.

Markus Preiß, ARD Brüssel, über militärische Fähigkeiten Finnlands

tagesschau24 18:00 Uhr

Was bedeutet die NATO-Norderweiterung für Russland?

Aus Sicht von Stoltenberg ist die Aufnahme Finnlands ein klares Zeichen für das Scheitern der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin. Putin sei mit dem erklärten Ziel in den Krieg gegen die Ukraine gezogen, in Europa weniger NATO-Präsenz zu haben und eine Bündniserweiterung zu verhindern. Mit Finnlands Beitritt sei die Grenze der NATO zu Russland künftig mehr als doppelt so lang. Putin bekomme damit genau das Gegenteil von dem, was er wollte.

Zugleich betont die NATO, dass es für Russland keinerlei Grund gebe, sich durch die Norderweiterung bedroht zu fühlen. So widerspricht die Allianz auch Darstellungen, das Bündnis wolle Russland regelrecht einkreisen. Nach NATO-Angaben sind von der mehr als 20.000 Kilometer langen russischen Landgrenze derzeit nur 1215 Kilometer Grenze zu NATO-Staaten. Selbst wenn nun noch einmal 1340 Kilometer dazukommen, ist die gemeinsame Grenze damit vergleichsweise klein.

Wie sieht Moskau den Beitritt Finnlands in die NATO?

Kremlchef Putin hat immer wieder deutlich gemacht, dass er mit der NATO-Erweiterung in Richtung Russland ein großes Problem hat. Entsprechend reagierte Moskau in den vergangenen Monaten auf den Beitrittsprozess. Das russische Außenministerium kritisierte, ein Beitritt des Nachbarn werde den russisch-finnischen Beziehungen schweren Schaden zufügen. "Russland wird gezwungen sein, entsprechend zu antworten - in militärisch-technischer und in anderer Hinsicht -, um den Gefahren mit Blick auf seine nationale Sicherheit Rechnung zu tragen", hieß es bereits im Mai vergangenen Jahres in einer Mitteilung des Ministeriums.

Könnte Russland mit Gewalt auf den Beitritt reagieren?

Die NATO hält einen solchen Schritt für extrem unwahrscheinlich. Zum einen sind die russischen Streitkräfte durch den Krieg gegen die Ukraine gebunden und teils stark geschwächt. Zum anderen würde sich Putin dann auch mit den 30 anderen NATO-Staaten anlegen.

Für durchaus denkbar wird es in der NATO allerdings gehalten, dass Russland zum Beispiel Cyberangriffe gegen Ziele in Finnland führt oder versucht, mit verstärkten Aktivitäten der Luftstreitkräfte die finnische Bevölkerung zu beunruhigen. Zudem hat Dmitri Medwedew, Vizechef des nationalen Sicherheitsrats und Ex-Präsident, mit einer Stationierung von Atomwaffen in der russischen Ostseeregion gedroht.

Was bedeutet der Beitritt für Finnland?

Viele Jahrzehnte lang hat Finnland einen schwierigen Spagat zwischen Ost und West geschafft: Angesichts seiner überaus langen Grenze zu Russland versuchte das Land zum einen, sich mit dem Riesenreich im Osten gutzustellen. Zugleich baute es aber auch immer engere Drähte zum Westen auf. 1995 schloss sich Finnland der EU an. Als einziges nordisches Land führte es später auch den Euro ein. Mit der NATO arbeiteten die Finnen bisher als enger Partner zusammen - ohne jedoch die relativ guten Kontakte nach Moskau zu kappen.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat dieser Ost-West-Balance ein abruptes Ende gesetzt. Nach langjähriger militärischer Bündnisfreiheit beantragte Finnland im Mai 2022 gemeinsam mit Schweden die NATO-Mitgliedschaft. In Rekordzeit wurden die Finnen nun aufgenommen. Dieser Schritt sei fast genauso wichtig wie die EU-Mitgliedschaft, sagte der Politberater Risto E.J. Penttilä jüngst dem finnischen Rundfunk. "Die EU-Mitgliedschaft bedeutete, dass Finnland Teil Europas und des Westens ist, aber gleichzeitig waren wir außerhalb der NATO", sagte er. "Jetzt sind wir in Europa integriert, haben durch diese NATO-Mitgliedschaft aber auch eine starke Verbindung zu den USA."

Wie geht es mit Schweden weiter?

Eigentlich wollten die Schweden parallel mit ihren finnischen Nachbarn in die NATO gelangen - daraus wurde aber nichts. Grund dafür ist, dass die Türkei dem schwedischen NATO-Beitritt weiterhin nicht zustimmen will und auch Ungarn immer noch nicht ratifiziert hat. Ankara moniert einen aus türkischer Sicht unzureichenden Einsatz gegen "Terrororganisationen" und will Zugeständnisse erzwingen. Budapest stößt sich unter anderem an schwedischen Aussagen zur Rechtsstaatlichkeit in Ungarn.

Wann die beiden Länder die Tür auch für die Schweden aufmachen, ist weiterhin unklar. Stoltenberg sagte zuletzt, er sei absolut zuversichtlich, dass Schweden ebenfalls Mitglied werde. Das Land werde nicht allein gelassen und könne schon heute darauf zählen, dass die NATO auf Drohungen oder Angriffe gegen das Land reagieren würde.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 04. April 2023 um 18:00 Uhr.